Anhaltisches Theater Dessau zeigt "Sommer Nacht Traum" im Stadtpark Vielfältige Geschichten in der Parkmenschenwelt
Eine herausgestreckte Zunge – man denke nur an das weltbekannte Einstein-Porträt – hat Symbolcharakter für Frechheit, Dreistigkeit, auch Spott und Komik. So wie in der Sommer-Theaterinszenierung des Anhaltischen Theaters Dessau. Im Dessauer Stadtpark hatte "Sommer Nacht Traum" eine gefeierte Premiere.
Von Helmut Rohm
Dessau-Roßlau. Ein weitgeöffneter Mund mit eben der langen herausgestreckten knallroten Zunge ist eine Showbühne (Ausstattung Christian Wiehle). "Hallo Dessau!", schallt es in das Stadtparkareal. Der smarte Showmaster Cyprian (Matthieu Svetchine) ruft zum Finale Song-Contest "Goldener Mund Dessau 2010".
Einen tollen Gesangsvortrag gestalten Helen (Katja Sieder) und Norman (Deren Nowak) und Band mit Harald Thiemann, Jan Kerjes und Gerald Fiedler. Sonderbar dann nur, dass statt Publikumsfavoritin Helen der dunkelhäutige Norman gewinnt.
Aus dem Gesangswettbewerb heraus entwickelt Regisseurin Andrea Moses verschiedene eigenständige, nur andeutungsweise locker miteinander verbundene Spielebenen. Für "Sommer Nacht Traum" verwebt sie "Der Park" von Botho Strauß und "Herr Peter Squenz" von Andreas Gryphius.
Die nach dem Konzert zum Säubern in den Park geschickte Hartz-IV-Truppe arbeitsloser Dessauer Handwerker um deren Koordinator Peter Squenz (Uwe Fischer) hat die Idee, auf eben der Showbühne ein Theaterstück zu "tragieren", nämlich "Piramus und Tisbe". Es gehe ihnen um öffentliche Anerkennung, denn "Kunst ist auch Arbeit". Köstlich und durchaus einfallsreich ist ihr fast mittelloses, letztlich aber erfolgreiches Bemühen.
Die total enttäuschte Helen trifft derweil auf das mit Wohnwagen und Pkw angereiste Paar Helma und Wolf sowie dessen Freund Georg. Der Zuschauer erlebt lebensnah zwischenmenschliche Beziehungen – teils "über Kreuz" – die von Liebe und Freundschaft, derb-wildem Sex, jedoch auch von Eifersucht, Hass und handfestem Streit mit deftiger Fäkalsprache geprägt sind.
Norman indes gewann den "Goldenen Mund", weil Cyprian, ein verkappter Götterbote, von ihm noch viel mehr haben wollte. Er wird später sein hocherotisches Verlangen mit dem Tod zu bezahlen haben. Aber erst später.
Denn einen weiteren, sehr surreal anmutenden Handlungsstrang hat Andrea Moses in ihre Inszenierung "eingezogen". Oberon (Stephan Korves) und Titania (Antje Weber) sind in Dessau "heruntergekommene" Götter. Sie finden jedoch nicht den "Draht" zu den Parkmenschen.
Die Oberon und Titania an- und zugedachte Liebesmission für die irdische Menschheit artet aus in eigenem Streit, in wörtlich zu nehmender Entblößung. Antje Weber lässt den Zuschauer eine durch und durch laszive Göttin erleben, mit viel Frivolität – hart an der erträglichen Grenze, ohne bei der Betrachtung penibel sein zu wollen.
Natürlich gibt es im Park auch eine Jugendszene. Ein "aufmerksamer Inspizient" versucht jedoch, sie vom Geschehen wegzudrängen.
In zweieinhalb Stunden Sommertheater folgt der Zuschauer den abwechselnd dominierenden Geschichten. Das durchweg vergnügliche und unterhaltsame Stück, für Dessauer Befindlichkeiten vom Dramaturgen Holger Kuhla geschrieben, trägt auch einen bitteren Beigeschmack. Wenn der schwarze Junge im Stück durch den Park gejagt wird, erinnert das sehr an Alberto Adriano, der in diesem Stadtpark getötet wurde.
Andrea Moses inszenierte auf klassischer Grundlage ein Stück "aus, für und in Dessau". Und das gesamte Dessauer Schauspielensemble war bravourös zu Gange.
Bleibt nur zu hoffen, dass manch Gesehenes nur "schlechte Träume" in heißen Sommernächten sind und bleiben.
Die kommenden Aufführungen finden vom Mittwoch, dem 14. Juli, bis einschließlich Sonntag, dem 18. Juli, jeweils um 19.30 Uhr statt.