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Ingeborg-Bachmann-Preisträger Peter Wawerzinek schreibt über "Matthias" BAADER Holst Von der Freundschaft zweier unangepasster Schreiber

Von Grit Warnat 10.08.2010, 06:18

Er wäre ein Großer geworden, ist sich Peter Wawerzinek sicher: Sein Dichterfreund "Matthias" BAADER Holst wäre berühmt. Doch der Hallenser Holst ist tot, seit genau 20 Jahren, und Wawerzinek ist bekannt – zumindest im Literaturbetrieb. Wawerzinek ist der diesjährige Ingeborg-Bachmann-Preisträger. Zum 20. Todestag des DDR-Untergrundpoeten Holst hat er eine sehr persönliche, sehr ehrliche "Festschrift für einen Freund" geschrieben. Erschienen ist sie im Hasenverlag Halle.

Magdeburg. Der Hallenser Lyriker "Matthias" BAADER Holst ist erst 28, als er am 30. Juni 1990, dem Tag der Währungsunion, stirbt. Eine Straßenbahn in Berlin ist stärker als er.

Peter Wawerzinek, 1954 in Rostock als Peter Runkel geboren, der sich später ScHappy nennt und vor wenigen Wochen den renommierten literarischen Ingeborg-Bachmann-Wettstreit in Klagenfurt gewonnen hat, fühlt sich durch diesen Tod entwurzelt. Er stirbt von Tag zu Tag ein Stück schneller, schreibt er in "Das Desinteresse" und quält sich mit dem Gedanken, was gewesen wäre, wenn er Holst nicht nach Berlin gelotst hätte.

Wawerzinek schreibt sich auf 126 Seiten von der Seele, was er gefühlt hat und heute noch fühlt: diesen Schmerz, diesen Verlust, diese vielen Erinnerungen an ein zweijähriges künstlerisch geprägtes Zusammenleben, das zur außergewöhnlichen Freundschaft wuchs, Höhen und Tiefen inbegriffen. Wie zwei Brüder, die sich herzen und streiten.

Alles beginnt zu DDR-Zeiten in Halle, wo der schreibende Außenseiter Wawerzinek den schreibenden Außenseiter Holst sucht, weil Wawerzinek das "Gemeinsame in der Sache" finden will, einen Gleichgesinnten, einen, der nicht kneift, der ausspricht, "was gesagt werden muss". "Demonstrativ werden." Schon Holsts Name ist Beispiel dafür: BAADER als Zusatz nach dem gleichnamigen Dadaisten Johannes und dem RAF-Mann Andreas. Und das Matthias immer in Anführungszeichen.

"Kunst will Unruhe, will den Unruhestifter"

Holst ist faszinierend und abschreckend zugleich, schreibt Wawerzinek. Durchgesessenes Sofa, geschlossene Fenster ("Man hat hier wohl Angst, die besten Gedanken könnten Flucht ergreifen?"), Wein aus Senfgläsern. Ein Unangepasster wohnt in dieser Hallenser Bude, ein Unangepasster gesellt sich dazu. Holst und Wawerzinek finden zueinander, gehen gemeinsam nach Berlin, zu Gleichgesinnten im Prenzlauer Berg. Sogar dort fällt Holst auf: "In einem seiner Aufzüge sorgt er für Aufruhr unter selbst schreiend bunt gekleideten Punks." Auch die Polizei wird auf ihn aufmerksam – wegen seiner "Überangezogenheit". Holst will "sich absichtsvoll anders kleiden". Er will polarisieren, mit seiner Kleidung, mit seinen Gedichten, mit seinem Leben. Er erfährt Desinteresse – auch am Prenzlauer Berg. Das tut ihm, das tut Wawerzinek weh.

Beide touren durch den Osten, treten vor Punk-Konzerten auf. Es ist laut, schräg, verrückt. Fotos zeigen: BAADER wälzt sich auf dem Boden. Immer voller Körpereinsatz. Seine "Auftritte sind Unwetter/Stürme".

Auch neben der Mugge treffen sie sich immer häufiger, oft, zu oft, weil Holst wie eine Klette sein könne, gesteht Wawerzinek. Der hat bald keine Liebe mehr, weil die keine Klette haben möchte.

Dafür ist die Staatsmacht da mit ihrer Überwachung: "Sie sagen uns Aufruhr und Staatsfeindlichkeit nach". Weil beide nicht lahm sein wollten wie die DDR. "Kunst will Unruhe, will den Unruhestifter."

Dann Holsts plötzlicher Tod. "Er wäre Nobelpreisträger für Lyrik geworden", schreibt Wawerzinek anerkennend und: "Er ist ein Mann, der mit Zeilen zaubert."

Auch der frischgekürte Preisträger zaubert mit Wörtern – auf jeder Zeile dieses Erinnerungs-, Freundschafts-, Seelen-, Geschichts- und Literaturszene-Büchleins. Und wenn sich das Feuilleton auf "Rabenliebe" stürzt, Wawerzineks preisgekrönten, vielgelobten, auch vom Publikum in Klagenfurt ausgezeichneten Roman, der am 19. August im Galiani-Verlag auf den Markt kommen wird, rückt hoffentlich auch "Das Desinteresse" in unser Lesebewusstsein. Diese äußerst lebendige, persönliche Erinnerungsarbeit, die auch ein Stück von Wawerzineks Leben freilegt, hat alles andere als Desinteresse verdient.

"Ich schreibe über ,Matthias‘ BAADER Holst, ihn den Hallensern nahe – und ins Bewusstsein zu bringen", steht auf der Rückseite des Einbandes als Bekenntnis.

Auch Halle erinnert im 20. Todesjahr an den Unbequemen – mit einer Ausstellung, die im Stadtmuseum Halle zu sehen ist und bis zum 15. August verlängert wurde. Am Sonntag gibt es ab 15 Uhr eine Finissage mit Kurator Peter Lang.

Im Hasenverlag ist zudem ein weiteres Buch veröffentlicht worden. "hinter mauern lauern wir uns auf" von Tom Riebe enthalte erstmals komplett alle Texte, die zu Holsts Lebzeiten in Künstlerbüchern und Editionen erschienen sind. so der Verlag. Dem Buch liege eine DVD mit zwei Filmdokumenten bei.