Aufzeichnungen aus den Jahren von 1954 bis 1973 / Buch über zweiten Lebensabschnitt soll in zwei Jahren folgen Vor 100. Geburtstag: Strittmatter-Tagebücher vorgestellt
Berlin (dpa) l Der erste Band der Tagebücher des 1994 gestorbenen Schriftstellers Erwin Strittmatter ("Der Laden") ist am Sonnabend in Berlin vorgestellt worden. Dabei las der Schauspieler Jörg Gudzuhn in den Kammerspielen des Deutschen Theaters Auszüge aus den Tagebuchnotizen. Der von Almut Giesecke herausgegebene und im Aufbau Verlag erschienene Band mit dem Titel "Nachrichten aus meinem Leben" umfasst die Jahre 1954 bis 1973, ein zweiter Band soll vermutlich 2014 folgen. Strittmatter, der in Schulzenhof bei Rheinsberg und Gransee lebte, wurde als "Dichter der Ländlichkeit, der bäuerlichen Häuslichkeit" und "kosmologischer Dörfler" gewürdigt.
Der Autor, der am 14. August 100 Jahre alt geworden wäre, war einer der meistgelesenen Schriftsteller der DDR, aktives SED-Mitglied und Nationalpreisträger. Mit seinen Trilogien "Der Wundertäter" und "Der Laden", der auch im Westen verfilmt wurde, sowie den Romanen "Tinko" und "Ole Bienkopp" erreichte er Hunderttausende Leser. Nach der Wende wurde bekannt, dass er zeitweise mit der Stasi zusammenarbeitete und im Zweiten Weltkrieg dem berüchtigten Polizeibataillon 325 angehörte. Nach Recherchen des Literaturwissenschaftlers Werner Liersch gehörte er dem seit 1943 der SS unterstellten "Polizei-Gebirgsjäger-Regiment 18" an.
Der Chefredakteur der Literaturzeitschrift "Sinn und Form", Sebastian Kleinschmidt, sagte, Strittmatter habe "nicht nur Schuld auf sich geladen, wie alle deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg - er hat diese Schuld auch vielfach reflektiert". Die Scham darüber sei so groß gewesen, dass er verschiedene heikle Punkte nach 1945 auch vor Familienangehörigen und Freunden verschwieg, so zum Beispiel die Tatsache, dass er im März 1940 einen Antrag auf Aufnahme in die kurz zuvor gegründete Waffen-SS gestellt hatte. Die Scham sei bis hin zur Bereitschaft gegangen, "sich eine Zeitlang als Informant des Ministeriums für Staatssicherheit einspannen zu lassen", sagte Chefredakteur Sebastian Kleinschmidt.