Im Gespräch mit Michael Otto vor seiner letzten Dramaturgie-Arbeit am Theater Magdeburg "Wir haben Spitzenplatz in der Bundesliga"
Michael Otto holte Musicals wie "Titanic", "Evita", "Sunset Boulevard" und die "Schöne und das Biest" in die Landeshauptstadt. Jetzt verlässt der Musikdramaturg des Theaters Magdeburg das Haus und wechselt nach München ans Staatstheater am Gärtnerplatz. Grit Warnat hat mit dem 32-Jährigen gesprochen.
Volksstimme: Die Operettengala "Wie einst im Mai" ist Ihre letzte Arbeit am Theater Magdeburg.
Michael Otto: Es hat mit Operette angefangen und geht damit zu Ende. Mein erstes Stück war 2006 "Schön ist die Welt". Jetzt schließt sich der Kreis wieder mit Operette. Für die Operettengala "Wie einst im Mai" orientieren wir uns thematisch an der Deutschen Theaterausstellung von 1927. Damals waren viele der berühmtesten Operettenkomponisten hier zu Gast und dirigierten in der Stadthalle, etwa Victor Hollaender, Eduard Künneke, Johann Strauß III., Paul Lincke und Walter Kollo. Sie stellen wir in den Mittelpunkt unserer Gala auf der Seebühne.
"Musicals sind oft mit Vorurteilen behaftet. Das ist schade"
Volksstimme: Ausgerechnet Operette. Sie sind ja eher bekannt als der Musical-Mann.
Otto: Ich habe in Magdeburg auch viel Oper und Operette gemacht. Mir ging es immer darum, alle Sparten gleichberechtigt zu bedienen.
Volksstimme: Aber Sie fühlen sich schon als Streiter für das Musical?
Otto: Ich mag das Musical, es ist ein unglaublich breites Genre, das von der leichten Schlagershow bis hin zu avantgardistischen Kammerstücken reicht. Oft ist es aber an den Theatern das Stiefkind, das nur dazu dient, Geld für vermeintlich ambitioniertere Projekte einzuspielen. Dabei ist Musical genauso eine Kunstform wie alle anderen Sparten. Und es hat sich längst zum lebendigsten zeitgenössischen Musiktheater entwickelt.
Volksstimme: Was entgegnen Sie Kritikern, die dann von Verflachung des Theaterangebots sprechen?
Otto: Musicals sind oft mit Vorurteilen behaftet, ähnlich wie die Operette. Das ist schade, weil es ein spartenübergreifendes, wirklich interessantes Genre ist. Es gibt sehr ambitionierte, kunstvolle Stücke, wie etwa Stephen Sondheims "Sweeney Todd", das in der neuen Spielzeit Premiere haben wird. Man muss natürlich auch Mut haben, solche Stücke zu entdecken. Viele Stadttheater spielen kaum etwas jenseits von "My Fair Lady", "Kiss me, Kate", "Anatevka" und sind meiner Meinung nach damit ein bisschen innovationslos. Ich wünsche mir, dass wir viele neue und gute Stücke entdecken, die nicht weniger publikumsträchtig sind als die Klassiker, die wir schon kennen.
Volksstimme: Als Sie 2006 nach Ihrem Studium ans Theater Magdeburg kamen, haben Sie sich stark gemacht für das Musical "Titanic". Es wurde bis dahin noch nie an einem Stadttheater aufgeführt. Sie waren Berufseinsteiger, wie kamen Sie auf so ein Projekt?
Otto: Wir spielten damals Operette auf der Seebühne mit Auslastungszahlen, die nicht so optimal waren, wie man sich das gewünscht hätte. Ich hatte damals die Idee, mal etwas ganz anderes zu machen, ein großes, spektakuläres Musical, das uns keiner zutrauen würde. Als Berufseinsteiger musste ich beim damaligen Intendanten Tobias Wellemeyer und seinem Team natürlich Überzeugungsarbeit leisten. Aber sie haben sich auf dieses Wagnis eingelassen, und Karen Stone ist diesen Weg glücklicherweise weitergegangen.
Volksstimme: Ein Weg, der sich bewährt hat. Die Musicals des Theaters sind der Publikumsrenner.
Otto: Ja, absolut. Aber nur, weil wir sie qualitativ auf hohem Niveau und mit viel Herzblut machen. Unsere Musicalproduktionen locken neben den Magdeburgern längst auch zahlreiche Gäste von außerhalb an, die noch nie bei uns waren. Das war vorher nicht so. Spannendes Musiktheater spricht sich rum, und Musicalbesucher sind sehr reisefreudig. Und sie sehen ihre Stars auch hier. Kevin Tarte zum Beispiel oder Drew Sarich in "Evita". Er übernimmt bald in Hamburg die Titelrolle in "Rocky" und war auch schon bei uns.
Volksstimme: Wo steht das Theater Magdeburg im Musicalbereich?
"Man schaut mittlerweile mit großem Interesse nach Magdeburg"
Otto: Wir sind auf einem Spitzenplatz in der Bundesliga. Diesen Platz haben wir uns in den letzten Jahren erarbeitet. Das spiegelt sich unter anderem in der Fachpresse und in der Fachszene. Dort schaut man mittlerweile mit großem Interesse nach Magdeburg. Großartige Regisseure und tolle Darsteller kommen gern zu uns. Es macht mich stolz, dass wir uns vor interessanten Anfragen kaum retten können.
Volksstimme: Magdeburg hat mehrfach Inszenierungen erstmals auf einer Stadttheaterbühne gezeigt. Hat Magdeburg eine Vorreiterrolle übernommen?
Otto: Natürlich. "Titanic" beispielsweise wird jetzt open air bei den Thuner Seespielen gezeigt, wofür unsere Produktion Vorbild war. Und "Sunset Boulevard" kommt demnächst unter anderem nach Braunschweig und Hof, nachdem wir die Aufführungsrechte wieder nach Deutschland geholt haben.
Volksstimme: Sie sind Dramaturg, haben Sie immer auch die Rechte für diese Musicals verhandelt?
"Ich suche nach Werken, die es zu entdecken lohnt"
Otto: Ich habe inzwischen intensive Kontakte zu Verlagen geknüpft und eine gute Zusammenarbeit aufgebaut. Trotzdem muss man immer wieder hart kämpfen.
Volksstimme: Musical in Stuttgart, Berlin, Hamburg ist kommerzielles Theater. Wo sehen Sie auch zukünftig die Chance für ein Stadttheater, gegen dieses kommerzielle Theater anzukommen?
Otto: In der Vielfalt. Das kommerzielle Theater muss solche Stücke spielen, die an einem Standort über einen langen Zeitraum verkauft werden können. Sie schränken sich dadurch extrem ein. Wir im Stadttheater können Stücke planen, die sich nicht so verkaufen wie etwa eine "Tarzan"-Produktion in Hamburg. Die meisten dieser Stücke würden mich fürs Stadttheater auch nicht so reizen. Da suche ich lieber nach Werken, die es mit den Mitteln des Stadttheaters zu entdecken lohnt. Unsere Stärken sind vor allem der stimmstarke Chor, das große Orchester und die Ballettkompagnie. Andererseits haben Stadttheater meist ein Opernensemble, das für viele moderne Musicals oft nur begrenzt besetzbar ist. Es gibt Theater wie Hildesheim und Linz, die haben da schon eine eigene Musicalkompagnie.
Volksstimme: Dann bräuchte man aber ein Fünf-Sparten-Haus in Magdeburg ...
Otto: Das wäre ein Traum!
Volksstimme: Im nächsten Jahr wird "Les Misérables" als Domplatz-Open-Air gezeigt. Sie haben sich um die Rechte gekümmert. Sind Sie noch involviert in die Vorbereitungen?
Otto: Ich habe das Stück mit ausgesucht, den Regisseur empfohlen und sitze jetzt noch in den Castings. Aber die Umsetzung geht in die Hände meiner Nachfolgerin Johanna Jordan.
Volksstimme: Werden Sie zum Domplatz-Open-Air 2013 die Reise von München nach Magdeburg antreten?
Otto: Selbstverständlich will ich in der Premiere sitzen!
Volksstimme: Welche Erinnerungen nehmen Sie aus Magdeburg mit?
Otto: Viele schöne. Die schönste ist meine Frau. Sie ist Magdeburgerin und folgt mir nach München zusammen mit unserem Sohn, der im Juli zur Welt kommen wird.
Volksstimme: Wie viel Wehmut schwingt mit?
Otto: Nach sechs Jahren Abschied von der Stadt und von meinen Kollegen zu nehmen, fällt nicht leicht. Auf der anderen Seite freue ich mich ungemein auf die neuen Herausforderungen in München am Gärtnerplatztheater, dem Theater, an dem ich schon immer einmal arbeiten wollte. Es ist einfach mein Wunschtheater, weil es sich ganz dem unterhaltenden Musiktheater verschrieben hat.
Operettengala "Wie einst im Mai" am 24. Juni um 17 Uhr und am 29. Juni um 18 Uhr auf der Seebühne im Elbauenpark mit Auszügen aus "Die Csárdásfürstin" von Emmerich Kálmán, "Der Vetter aus Dingsda" von Eduard Künneke, "Die lustige Witwe" von Franz Lehár, "Frau Luna" von Paul Lincke, "Wie einst im Mai" von Walter Kollo.