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Der Kampf um den renommierten Verlag geht weiter / Schriftsteller drohen mit Rückzug Wird Suhrkamp zu einem Geisterhaus?

22.12.2012, 01:24

Der Kampf um den Suhrkamp Verlag schwelt weiter. Der Medieninvestor Hans Barlach hat den früheren Kulturstaatsminister Michael Naumann als Vermittler abgelehnt. Was Barlach noch vorhat, bleibt offen.

Berlin (dpa) l Es ist die literarische Heimat von Hermann Hesse, Bertolt Brecht und Peter Handke, das Haus der farbigen Bändchen, das die Theorie für die Studentenbewegung lieferte, die Bestseller-Schmiede von Uwe Tellkamp und Don Winslow: Mit dem Namen Suhrkamp verbindet sich ein guter Teil der Kulturgeschichte der Bundesrepublik.

Der Verlag, der seit 2010 seinen Sitz in Berlin hat, ist in einer Krise, und ob seine Existenz auf dem Spiel steht, wird sich in den kommenden Wochen erweisen.

Vordergründig geht es um die Nutzung von Räumen in der Villa in Berlins Nobelviertel Nikolassee, wo die Suhrkamp-Verlegerin Ulla Unseld-Berkéwicz wohnt und wo sie einen verlagseigenen Literatur-Salon führt. Der Unternehmer Hans Barlach, der über die Medienholding Winterthur Minderheitseigner an Suhrkamp ist, hat gegen Unseld-Bérkewicz geklagt - und in erster Instanz gewonnen.

Die Witwe des einstigen Suhrkamp-Patriarchen Siegfried Unseld hält über eine Familienstiftung 61 Prozent am Unternehmen, dem Enkel des Bildhauers Ernst Barlach gehört der Rest. Das Berliner Landgericht verfügte die Abberufung von Unseld-Berkéwicz als Verlagsgeschäftsführerin. Sie soll bei der Vermietung der Villa für Events Geschäftliches und Privates vermischt haben. Es geht dabei um rund 280000 Euro. Barlach wirft der Verlegerin Missmanagement vor und fühlt sich von der Geschäftsführung nicht ausreichend informiert. Der Versuch, über den früheren Kulturstaatsminister Michael Naumann einen Vermittler zu bestellen, scheiterte.

Literaturkritiker Steiner sprach von einer "suhrkamp culture"

Suhrkamp hält an einer Lösung im Konsens fest. Auch Barlach signalisiert Gesprächsbereitschaft. Dass der Streit ausgerechnet um die Berliner Villa der Verlegerin ausgebrochen ist, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Jahrzehnte betrieb Suhrkamp in Frankfurt eine ähnliche Dependance, die zum wichtigen Treffpunkt während der Buchmesse wurde. In Berlin soll ein ähnliches Gravitationszentrum entstehen.

Jahrzehntelang lieferte Suhrkamp, mit seinen Titeln zur Kritischen Theorie, etwa mit den Schriften von Theodor W. Adorno, Walter Benjamin und Ernst Bloch, das intellektuelle Futter der Republik. Der Literaturkritiker George Steiner sprach von einer "suhrkamp culture". Suhrkamp verlegte die Stars des lateinamerikanischen Literaturbooms wie Isabel Allende ("Das Geisterhaus"), die legendäre Übersetzung von James Joyces "Ulysses" von Hans Wollschläger oder den Israeli Amos Oz.

Nach dem Krieg hatte Peter Suhrkamp, der in der NS-Zeit den in Deutschland gebliebenen Teil des S. Fischer Verlags leitete, seinen eigenen Verlag in Frankfurt gegründet und 33 Autoren mitgenommen.

Offen ist, welche Ambitionen Barlach mit Suhrkamp verbindet. "Hier geht es um einen seit zehn Jahren schwelenden Machtkampf, ohne dass Hans Barlach öffentlich erkennbar eine inhaltliche, verlegerische Vision vorgestellt hat, wie er für einen solchen Verlag unabdingbar ist", sagt Stephan Füssel, Professor am Mainzer Institut für Buchwissenschaft. "Ein Haus wie Suhrkamp bedarf einer verlegerischen Persönlichkeit, wie sie Peter Suhrkamp und Siegfried Unseld verkörperten." Investoren können bei Suhrkamp nur begrenzt auf das große Geld hoffen. "Bei Suhrkamp geht es zunächst einmal um eine kulturelle und gesellschaftliche Rendite und erst in zweiter Linie um eine finanzielle", sagt Füssel. "Natürlich muss auch ein Verlag langfristig schwarze Zahlen schreiben. Aber dass Suhrkamp etwa wie Random House aus dem Bertelsmann-Konzern zehn Prozent Gewinn erwirtschaftet, ist nicht von vornherein zu erwarten."

Bekannte Autoren sehen in dem Absetzungs-Urteil ein Menetekel für den Verlag. Sollte Barlach die Macht übernehmen, wollen Schriftsteller dem Verlag den Rücken kehren. Uwe Tellkamp und Kleist-Preisträgerin Sibylle Lewitscharoff stellten sich hinter Unseld-Berkéwicz. Peter Handke nannte Barlach einen "Unhold".

Das größte Potenzial für einen Verlag seien seine Autoren, sagt Füssel, diese zu "pflegen" sei die bedeutendste Leistung von Suhrkamp. Zu Unselds Zeiten wurden wichtige Namen wie Wolfgang Koeppen und Uwe Johnson durch schwierige Zeiten begleitet. Dazu gehört wohl auch, die Autoren zu umgarnen. Füssel zitiert aus einem Brief von Unseld an Hans Magnus Enzensberger. "Uns läge also daran, Sie überhaupt in unser Verlagsschiff zu übernehmen und Sie zu bitten, auch in Zukunft mit uns zu manövrieren."