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Ausstellung Zwischen Genialität und Wahnwitz

Das Winckelmann-Museum Stendal zeigt bisher unveröffentlichte Zeichnungen und Dokumente des Künstlers Max Klinger.

Von Claudia Klupsch 10.08.2015, 23:01

Stendal l Max Klinger (1857-1920) schuf ein gewaltiges druckgraphisches Werk, für das er selbst den Begriff „Griffelkunst“ prägte. Nicht nur durch seine Produktivität verschaffte Klinger der Künstlergraphik zum Ende des 19. Jahrhunderts einen enormen Aufschwung. Er perfektionierte die Tiefdruckverfahren Radierung und Aquatinta, variierte sie mit Kupferstich, Schabkunst und Lithografie.

Der aus Leipzig stammende Künstler gilt als ein Hauptvertreter des deutschen Symbolismus, als Wegbereiter des Jugendstils. „Klinger war der moderne Künstler schlechthin“, zitiert Kuratorin Kathrin Schade im Ausstellungskatalog den italienischen Künstler Giorgio de Chirico.

Die Stendaler Ausstellung erlaubt einen umfassenden Einblick in das Klingersche Schaffen. Zunächst präsentiert sie den wertvollsten Bestand der Sammlung mit den bisher unveröffentlichten Werken.

Die verschollen geglaubte erste Entwurfszeichnung des Thrones für das Leipziger Beethoven-Denkmal und „Max Reger auf dem Totenbett“ gehören dazu. Aus dem Spätwerk stammen weibliche Akte. Klinger schulte sich an der Natur. Sehr sinnlich und genau hat der Künstler die Konturen der Frauenkörper gezeichnet.

Klinger und die Frauen – ein Ausstellungsrundgang mit der Kuratorin lässt diese Überschrift zu. „Frauen spielen im Schaffen Klingers eine große Rolle“, so Schade. „Sie waren ihm Inspiration.“ Besucher können an einem digitalen Bildschirm in „20 Studien zu Bildern, Plastiken und Stichen“ blättern, während das original Album in einem Schaukasten zu sehen ist. Das Album war laut Schade eine „Fundgrube für den Universalkünstler Klinger“ und enthält u.a. weibliche und männliche Akte. Darin zu finden ist zum Beispiel auch ein Akt seiner Muse Gertrud Bock, die Vorlage für „Eremit und nacktes Weib“.

In seinen graphischen Zyklen setzt sich Klinger mit Frauenschicksalen sozialkritisch auseinander. Seine Affinität zu Schopenhauers Philosophie (die Frau als Verführerin und Leidende) findet hier ihren Ausdruck. Er prangert die Doppelmoral seiner Zeit an, thematisiert Prostitution in „Ein Schritt“ und bildet das Gericht gegen eine Kindsmöderin ab („Eine Mutter III“). Im Zyklus „Ein Leben“ zeigt er den Weg eines Mädchens – von der Verführung durch einen jungen Mann bis zum Untergang in der Gosse – zu Zeiten Klingers kein ungewöhnliches Schicksal. Beim Bild „Träume“, das Liebende in inniger Umarmung zeigt, bestand die Zensur übrigens auf ein bedeckendes „Lätzchen“ ums „Gemächt“.

Je älter Klinger wurde, desto stärker wurden die erotischen Darstellungen. Beleg für die Annäherung gar ans Pornografische: „Stehauf-Männchen“. Einen Hang zum Voyerismus ist dem Künstler nicht abzusprechen. Doch bei Klinger geht es auch immer wieder um Albtraum und Tod. Grauen und psychische Abgründe spiegeln Bilder wie „Dritte Zukunft“. Der Zyklus über einen gefundenen Handschuh habe bei Veröffentlichung unter Betrachtern die Frage aufkommen lassen, ob es sich um „Genialität oder Wahnwitz“ handele, so ein Zeitgenosse Klingers.

Der heutige Besitzer der Sammlung ist mit der Altmark verbunden – ein Fakt, der die Leihgabe an den Stendaler Ausstellungsort begünstigte.

Ein weiterer Pluspunkt ist Klingers große Neigung zur Antike, die wunderbar ins Konzept des Winckelmann-Museums passt, die Rezeption der Antike bekannt zu machen. Die Ausstellung zeigt Klingers vor allem ironischen Umgang mit der Antike.

Abgerundet wird die Schau mit der Ausstellungsabteilung, die Klinger als großen Musik-Liebhaber, als Wagner- und Brahms-Verehrer ausweist.