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Im zweite Teil der Volksstimme-Reihe zur Grundsicherung geht es heute um konkrete Leistungen Alle Finanzen müssen offengelegt werden

16.10.2012, 01:15

Nachdem im ersten Teil der Volksstimme-Reihe zur Grundsicherung die Antragsstellung erläutert wurde, geht es in der heutigen zweiten Folge um konkrete Leistungen. Die Fragen beantwortet Simone Borris, Amtsleiterin Sozial- und Wohnungsamt Magdeburg.

Frage: Wann ist jemand leistungsberechtigt und wie viel kann man erhalten?

Antwort: Mit der Antragstellung ist die Darlegung der aktuellen Einkommens- und Vermögensverhältnisse verbunden. Der Antragsteller muss sich also an dieser Stelle "nackt" machen und alle seine Finanzen offen legen. Aber nicht nur seine Verhältnisse spielen eine Rolle - bei Ehe, eheähnlichen Gemeinschaften und Lebenspartnerschaften werden Einkommen und Vermögen des Partners mit berücksichtigt.

Frage: Bekommen alle Antragsteller die selben Leistungen?

Antwort: Nein. Vielfach kursieren unter der Bevölkerung Richtwerte, mit welcher Rentenhöhe es sich lohnen könnte, Grundsicherung zu beantragen. Richtwerte geben eine Orientierung. Ein wichtiges Prinzip in der Sozialhilfe ist jedoch das Individualprinzip. Das bedeutet, dass die individuellen Gegebenheiten bei der Antragsbearbeitung zu berücksichtigen sind. Was gleich scheint, muss nicht gleich sein. Hinzu kommt, dass nicht nur die Rentenhöhe (als Orientierung wird hier mit 850 Euro öffentlich operiert) eine Rolle spielt, sondern andere Faktoren die Höhe der Leistung bestimmen. In der Praxis wird an erster Stelle vorhandenes Vermögen betrachtet.

"Geldwerte werden oft als zu gering angesehen."

Frage: Was rechnet zum "vorhandenen Vermögen"?

Antwort: Viele insbesondere ältere Menschen verstehen unter Vermögen nicht das, was sich sozialhilferechtlich dahinter verbirgt. Geldwerte werden oft als zu gering angesehen, um aus Betroffenensicht Vermögen darzustellen. Oder aber es wird mit der Zweckbindung - "das brauche ich, damit meine Kinder mich unter die Erde bringen können" - als nicht einsetzbar angesehen.

Frage: Was ist Vermögen im sozialhilferechtlichen Sinne?

Antwort: Vermögen ist all das, was man in Geld schätzen kann. Es muss einen gewissen Wert haben und muss auch verwertet werden können. Wesentlich zu nennen sind Sparguthaben in verschiedenen Formen, Kapital in Form von Versicherungen, Bausparverträgen, Immobilien und Vergleichbares.

Frage: Gibt es Vermögen, das bei Berechnung nicht angerechnet wird?

Antwort: Unter bestimmten Bedingungen muss Vermögen nicht eingesetzt werden - es ist geschützt. Das betrifft zum Beispiel ein angemessenes Hausgrundstück, dass der Antragsteller selbst bewohnt. Weiterhin sind das kleinere Barbeträge oder sonstige Geldwerte. Bei einer Einzelperson bleibt ein Betrag von 2600 Euro bei der Hilfe unberücksichtigt. Gibt es einen Partner, erhöht sich der Gesamtbetrag auf 3214 Euro. Übersteigen die Geldwerte den jeweiligen Betrag, muss erst dieses Geld für den Lebensunterhalt eingesetzt werden. Erst danach besteht Anspruch auf Grundsicherung, wenn darüber hinaus das vorhandene monatliche Einkommen für den notwendigen Lebensunterhalt nicht reicht.

Frage: Wie wird also der Anspruch ermittelt?

Antwort: Wie bereits beschrieben, steht auf der einen Seite der (individuelle) Bedarf. Zum Bedarf zählen der notwendige Lebensunterhalt, ein eventuell zustehender Mehrbedarf und die angemessene Miete, gegebenenfalls Krankenversicherungsbeiträge (zum Beispiel einer freiwilligen Versicherung).

Frage: Wie wird der Lebensunterhalt berechnet?

Antwort: Der notwendige Lebensunterhalt wird nach Regelbedarfsstufen bemessen. Die Regelbedarfsstufen werden fortgeschrieben. Der Regelbedarf berücksichtigt Aufwendungen für Lebensmittel, Bekleidung, Haushaltsgegenstände und Geräte sowie persönliche Bedürfnisse. Die persönlichen Bedürfnisse gestalten sich natürlich sehr unterschiedlich. Für den einen ist das die Zigarette, für den nächsten der Hund und für andere der Besuch kultureller Veranstaltungen. Wichtig: Mit dem Regelbedarf ist auch die Stromzahlung berücksichtigt. Für eine alleinstehende erwachsene Person mit eigenem Haushalt liegt der Regelbedarf derzeit bei 374 Euro. Bei dieser Person würde bei Vorliegen eines Merkzeichen "G" im Schwerbehindertenausweis ein Mehrbedarf von 63,58 Euro dem Bedarf zugeschlagen. Es gibt noch weitere Mehrbedarfe, die bei den vorliegenden Voraussetzungen zusätzlich berücksichtigt werden, zum Beispiel für werdende Mütter oder Alleinerziehende. Hinzu kommen die (angemessenen) Aufwendungen für Unterkunft und Heizung. Diesem Gesamtbetrag steht dann ein zu berücksichtigendes Einkommen gegenüber.

"Auch Zinsen und Einnahmen rechnen zum Einkommen."

Frage: Was wird als Einkommen berücksichtigt?

Antwort: Der Grundsatz lautet zunächst: Einkommen ist alles Geld oder Geldeswert, das dem Betroffenen zufließt. Im Sozialhilferecht gibt es Ausnahmen. Die häufigsten Ausnahmen sind beispielsweise Leistungen aus der Sozialhilfe selbst, Pflegegeld und Grundrente sowie Entschädigungsleistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz. Darüber hinaus gibt es eine lange Auflistung von Ausnahmen. Fließen Gelder, bei denen sich der Antragsteller über eine Anrechnung nicht im Klaren ist, sollte Rat gesucht werden. Zum Einkommen rechnen neben der üblichen Rente aber auch Zinsen aus Vermögenswerten, Miet- und Pachteinnahmen, tatsächlich gezahlter Unterhalt, um nur einige zu nennen. Zwar geht die Berechnung grundsätzlich vom Bruttoeinkommen aus. Davon sind jedoch eine Reihe Beträge absetzbar, beispielsweise Steuern und Pflichtversicherungen. Jahreseinkünfte werden in der Regel gezwölftelt. Man kann sagen, es gelten die Grundsätze des Steuerrechts.

Frage: Wie wird ganz konkret gerechnet?

Antwort: Liegt nach allen möglichen "Bereinigungen" das Einkommen unter dem ermittelten Bedarf, wird die Differenz als Grundsicherung gezahlt. Liegt das Einkommen über dem ermittelten Bedarf, sollte sich der Betroffene auf alle Fälle beraten lassen - er oder sie könnten möglicherweise Anspruch auf Wohngeld haben. Mit dem Wohngeld wird ein Zuschuss zu den Wohnkosten geleistet, aber eben nur ein Teil der Aufwendungen nach eigenen Regeln.

Frage: Können Sie das an einer Beispielrechnung konkret machen?

Antwort: Nehmen wir eine alleinstehende 70-jährige Person, die eine Altersrente nach Abzug der Pflichtbeiträge von 564 Euro bezieht und im Besitz des Schwerbehindertenausweises mit dem Merkzeichen "G" ist. Für ihre Unterkunft hat sie Kosten von 275 Euro, die Heizkosten schlagen mit 46 Euro zu Buche. Insgesamt hat sie einen Bedarf von 758,58 Euro. Davon wird ihr Einkommen von 564 Euro abgezogen. Danach verbliebe der Person ein Anspruch von 194,58 Euro an Grundsicherungsleistungen. Diese Leistung würde ab Antragstellung für einen Zeitraum von zwölf Monaten monatlich gezahlt werden.

Im dritten und letzten Teil der Volksstimme-Reihe zur Grundsicherung geht es am 23. Oktober um Unterkunft und Heizung.