Sprachwissenschaft Darf man noch von "Flüchtlingen" sprechen?
In vielen Begriffen schwingen politische Haltungen mit. Journalisten müssen deshalb umso mehr auf ihre Wortwahl achten.
Eine Sprachwissenschaftlerin hat kürzlich mit der Erkenntnis überrascht, dass das Wort „Flüchtlinge“ die Menschen abwerte, die in Europa Schutz vor Krieg und Terror suchen. „Mit der Endung ,-ling‘ wird der Flüchtende klein gemacht, abgewertet“, sagte Elisabeth Wehling von der University of California in Berkeley im Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“. „Der Flüchtling“, indem er als männlich erscheint, impliziere zudem: „Er ist eher stark als hilfsbedürftig. Er ist eher aggressiv als umgänglich. Dieses Bild hat sich nach den Übergriffen von Köln verstärkt ...“, erklärte die Wissenschaftlerin. Auch die Gesellschaft für deutsche Sprache hatte, als sie „Flüchtlinge“ zum „Wort des Jahres 2015“ kürte, darauf hingewiesen, der Begriff „klingt für sprachsensible Ohren tendenziell abschätzig“. Elisabeth Wehling hat indes eine simple Lösung parat: „Streichen Sie das Wort ,Flüchtling‘ aus Ihrem Vokabular.“
Wenn das denn so einfach wäre. Gewiss darf man noch von „Flüchtlingen“ sprechen, wird der „Flüchtling“ als Art Oberbegriff weiter in der Berichterstattung verwendet werden, zumal „Flüchtling“ ja auch fest verankert ist in offiziellen Bezeichnungen, wie „Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen“, „UNO-Flüchtlingshilfe e.V.“ oder „Bundesamt für Migration und Flüchtlinge“.
Gleichwohl erinnert die Sprachwissenschaftlerin uns Journalisten daran, dass es in der Berichterstattung nicht zuletzt auf die richtige Wortwahl ankommt. „In vielen Begriffen schwingen politische Haltungen oder Forderungen mit“, stellt der Verein „Neue deutsche Medienmacher“ in einem Glossar fest, das Formulierungshilfen gibt.
Diese Hilfestellung ist umso willkommener als tatsächlich in der Berichterstattung die Begriffe gelegentlich durch-einander geraten. So sind etwa „Asyl“ und „Flüchtlingsschutz“ nicht Synonyme, sondern unterschiedliche rechtliche Schutzformen. Einen Anspruch auf Asyl haben nur politisch verfolgte Geflüchtete in Deutschland, der Flüchtlingsschutz dagegen wird nach der Genfer Flüchtlingskonvention gewährt.
Flüchtlinge, Flüchtende, Geflüchtete, Schutzsuchende, Asylbewerber – alle diese Begriffe haben am Ende eines gemeinsam: Sie bezeichnen Menschen, Menschen in Not, die Hilfe brauchen.