Als Angehöriger oder im Job Erste Hilfe für die Seele lernen: Was bringt ein MHFA-Kurs?
Wie erkennt man, ob jemand nur gestresst ist oder Hilfe braucht? Kurse zeigen, wie Laien in psychischen Krisen richtig reagieren und helfen – und nehmen die Angst, etwas falsch zu machen.

Mannheim/München - Die Freundin zieht sich zurück, der Vater wirkt dauernd erschöpft, der Kollege reagiert plötzlich aggressiv: Oft sind das erste Anzeichen für eine psychische Krise. Doch wie reagiert man richtig – und wo hört Alltagsstress auf, wo beginnt eine Erkrankung?
Antworten geben die sogenannten MHFA-Kurse (Mental Health First Aid). Sie vermitteln Laien Grundlagen im Umgang mit psychisch belasteten Menschen – ähnlich wie ein Erste-Hilfe-Kurs nach einem Unfall, nur für die Seele.
Das Konzept entstand 2000 in Australien: Der Psychologieprofessor Anthony Jorm und die Pädagogin und Krankenschwester Betty Kitchener entwickelten ein Schulungsprogramm, das Laien befähigt, Menschen mit psychischen Problemen initial zu helfen.
2019 brachte das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim die Schulungen nach Deutschland. Das ZI ist ein Krankenhaus für psychische Erkrankungen und eine Forschungseinrichtung der Psychiatrie und Psychotherapie. Initiatoren sind der dort leitende Oberarzt Professor Michael Deuschle sowie seine Kolleginnen Simona Maltese und Tabea Send.
Warum ist das wichtig? Zum einen kann jede und jeder, etwa durch Ereignisse, in eine akute seelische Ausnahmesituation kommen. Und: „Alle psychischen Störungsbilder können Krisen beinhalten – etwa Suizidgefahr bei Depression oder Panikattacken bei Angststörungen“, so Michael Deuschle.
Was lernt man im Kurs?
In MHFA-Ersthelfer-Kursen vermitteln Fachleute, meist Psychologen oder Psychotherapeuten, Grundlagen zu häufigen psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen oder Psychosen, wie sich typische Symptome psychischer Erkrankungen zeigen – und wie man reagieren kann.
- Warnsignale von Depression, Angststörungen oder Psychosen erkennen
- einfühlsam ins Gespräch kommen, auch über schwierige Themen wie Suizidgedanken
- Sicherheit im Handeln gewinnen: zuhören, stabilisieren, nächste Schritte anbahnen
Für wen ist so ein Kurs geeignet?
- Angehörige von psychisch Erkrankten
- Kolleginnen und Kollegen, die im Arbeitsumfeld unterstützen wollen
- alle, die ihr Wissen über psychische Gesundheit erweitern möchten
Gerade „Angehörige psychisch erkrankter Menschen erleben sich im Alltag häufig ohnmächtig, überfordert oder allein gelassen – insbesondere in akuten Krisensituationen“, sagt Sabrina Weidenbacher vom Landesverband Bayern der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen.
Der Kurs kann Angehörige dabei unterstützen, Selbstsicherheit zu entwickeln und die eigene Rolle bewusster wahrzunehmen, so Weidenbacher: „Ihnen hilft der Kurs, das vorhandene Wissen zu strukturieren, Abstand zur oft emotional aufgeladenen Situation zu gewinnen und das eigene Verhalten zu reflektieren.“ Sie spricht aus Erfahrung, denn sie hat selbst teilgenommen und ist mittlerweile als Instruktorin tätig.
Wie lange dauert die Ersthelfer-Schulung?
Zwölf Stunden dauert der Kurs, verteilt auf mehrere Einheiten – online oder in Präsenz.
Teilnahme und Kosten:
- ab 18 Jahren, eigene psychische Stabilität ist Voraussetzung
- keine Vorkenntnisse nötig
- Kosten: meist 220 bis 290 Euro, inklusive Arbeitsmaterial
- Buchung: über das Projektportal MHFA Ersthelfer oder regionale Bildungszentren
Der Großteil der Kurse findet im Rahmen betrieblicher Prävention statt, daneben gibt es offene Kurse. Die Kurse können online über das Projektportal MHFA Ersthelfer oder regional über Bildungszentren gebucht werden.
Wo sind Grenzen der Ersten Hilfe bei mentalen Problemen?
Es heißt Ersthelfer, und das wie bei der klassischen Ersten Hilfe aus gutem Grund. Ersthelfer diagnostizieren nicht, sie therapieren nicht – und sie ersetzen weder eine medizinisches noch psychologisches Fachpersonal. Ihre Rolle ist es, im Freundeskreis, in der Familie oder am Arbeitsplatz als erste Ansprechpartner da zu sein. Ebenso sollen sie Fremden in der Krise helfen können.
Sie hören zu, fragen nach, stabilisieren, und zwar bis die Krise abgeklungen ist oder der Betroffene professionelle Hilfe erhält - dazu leiten sie, wenn nötig, den nächsten Schritt ein. Oft könne man bei Hausärztin oder Hausarzt beginnen, so Michael Deutschle: „Sie haben ein gutes Gespür dafür, wann eine Beeinträchtigung vorliegt und behandelt werden sollte.“
Für Ersthelfer wichtig und „hilfreich ist die klare Abgrenzung der eigenen Verantwortung“, sagt Sabrina Weidenbacher. Auch das werde im Kurs vermittelt: Ersthilfe bedeutet nicht, therapeutische Aufgaben zu übernehmen, sondern Handlungsbedarf zu erkennen, anzusprechen und Unterstützung zu geben - und zwar ohne die Angst, etwas falsch zu machen.
Denn zuhören, offen fragen, Hilfe anbieten – das ist in der Regel immer besser als nichts zu tun.
Reden hilft - und man kann es üben
„Ins Gespräch zu kommen ist oft der schwierigste Schritt. Viele Laien neigen dazu, zu schnell Ratschläge zu geben. Dabei geht es darum, zuzuhören, offene Fragen zu stellen und dem Betroffenen Raum zu geben, sodass er reden kann, wenn er dazu bereit ist“, sagt Deuschle.
Ein zentrales Kurs-Element ist daher das Gespräch mit Betroffenen. Wie beginnt man es? Wie fragt man sensibel, ohne zu bedrängen? Wann ist es okay, das Wort „Suizid“ offen anzusprechen – und wie geht man mit der Antwort um? Solche Situationen werden im Rahmen der Kurse in Rollenspielen geübt.
Eine Schieflage kann man beispielsweise mit einer Ich-Botschaft ansprechen: „Ich mache mir Sorgen um dich, weil ich beobachtet habe, dass du nicht mitkommst.“
So können Laien lernen, in schwierigen Momenten nicht sprachlos zu bleiben – und Betroffenen den Weg aus der Krise zu erleichtern.