Delhis Kampf mit dem Smog Halbmarathon trotz "Gesundheitsnotstand"
Ein "Gesundheitsnotstand" hält Tausende Sportler nicht davon ab, auf Delhis Straßen zu laufen. Kaum lässt der Smog etwas nach, geht das Leben hier weiter - mit erheblichen Risiken, vor allem für die ärmsten Bewohner.
Neu Delhi (dpa) - Gerade noch hat der dramatische Smog in Neu Delhi international Schlagzeilen gemacht, schon findet in der indischen Hauptstadt ein Halbmarathon statt.
Der nationale Ärzteverband IMA hatte versucht, das zu verhindern: Wer teilnehme, riskiere seine Gesundheit, warnte Ärzte-Chef K.K. Aggarwal. Doch ein Gericht entschied gegen eine Absage - und tausende Läufer gingen an den Start.
"Delhi hat das ganze Jahr über eine hohe Luftverschmutzung", sagt Preet Singh und erklärt damit, warum er am Sonntag bei der 13. Ausgabe des jährlichen Rennens mitläuft. Das regelmäßige Training im Freien habe ihn nicht krank gemacht. "Nur weil die Luftverschmutzung in dieser Jahreszeit durch den Smog sichtbar wird, kriegen die Leute Angst."
Auch Spitzen-Langstreckenläufer nehmen teil, etwa der Marathon-Weltmeister und Sieger des diesjährigen Boston Marathons, Geoffrey Kirui aus Kenia. Insgesamt rund 13 000 Menschen sind für die vollen 21,0975 Kilometer angemeldet. Mehr als 20 000 weitere machen zeitgleich bei kürzeren Läufen mit, darunter einer für Senioren.
Vor zehn Tagen registrierten Aktivisten entlang der Strecke pro Kubikmeter Luft bis zu 1501 Mikrogramm der winzigen Feinstaubpartikel PM2.5 - seither ist der Smog zurückgegangen. Die kleinen Feinstaubpartikel können in die Lunge und sogar in den Blutkreislauf eindringen. Aber auch am Tag des Rennens sind es in Teilen der Stadt zwischenzeitlich mehr als 200 Mikrogramm. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind Werte von maximal 25 im Tagesdurchschnitt und von 10 als Jahresmittel unbedenklich.
"Läufer und Personen, die im Freien Sport treiben, sind besonders gefährdet, giftige Schadstoffe einzuatmen", warnt Aggarwal in seinem Blog. Bei gesunden Menschen könne dies Husten und Kurzatmigkeit verursachen, bei Asthmatikern akute Anfälle und bei Herzkranken Infarkte. Aggarwal erinnert daran, dass beim Pekinger Marathon von 2015 Berichten zufolge sechs Teilnehmer und ein Mitarbeiter des Veranstalters Herzinfarkte erlitten.
"Luftqualität sehr schlecht - und das ist eine gute Nachricht", titelte die Zeitung "Times of India" am Mittwoch. Eine gute Nachricht deshalb, weil sich die Luftverschmutzung laut dem von der Regierung verwendeten Warnsystem von "ernst" auf "sehr schlecht" verbessert hatte. Das reichte, um nach kaum einer Woche ein Ende der Notmaßnahmen zu verkünden: Lastwagen durften wieder fahren, an Baustellen ging die Arbeit weiter.
Grund für die leichte Besserung war vor allem, dass der Wind die Richtung geändert hatte und Rauch von brennenden Feldern nicht mehr nach Delhi getragen wurde. Bauern in nahegelegenen Bundesstaaten beseitigen vor der Winteraussaat Reste der vorherigen Ernte, indem sie sie verbrennen - das ist eigentlich verboten, aber für modernere Methoden fehlt ihnen das Geld.
Inzwischen umhüllt jedes Jahr in der kühlen Jahreszeit eine staubige, stinkende Wolke die Hauptstadtregion Delhi - nach UN-Zahlen mit mehr als 26 Millionen Einwohnern die zweitgrößte Stadt der Welt. Aber auch im Sommer wären Werte, die in Stuttgart einen Feinstaubalarm auslösen, hier ein Segen.
Selbst an besonders schlimmen Tagen sieht man in Delhi nur wenige Passanten mit Atemschutzmasken, und die wenigsten sind von der wirklich wirksamen Sorte mit Partikelfiltern. Wer es sich leisten kann, hat Luftfilter in der Wohnung oder im Büro. Unzählige bitterarme Bewohner der Stadt sind allerdings weit davon entfernt, umgerechnet mindestens 100 Euro dafür ausgeben zu können. Schätzungen zufolge haben mehr als 100 000 Menschen hier kein Zuhause. Viele schlafen am Rande von extrem stark befahrenen Straßen.
Nach einer Studie des Fachblatts "The Lancet" starben im Jahr 2015 rund 2,5 Millionen Menschen in Indien an den Folgen von Umweltverschmutzung - der mit Abstand höchste Wert weltweit. Ein vergangene Woche veröffentlichter Bericht von Indiens staatlichem Rat für Medizinforschung besagt, dass Luftverschmutzung im Jahr 2016 landesweit die zweithäufigste Krankheitsursache war.
Delhis Krankenhäuser melden seit Beginn der jüngsten Smog-Krise deutlich gestiegene Zahlen von Patienten mit Atemwegserkrankungen. Medikamente können sich viele aber nicht leisten. Neben den Obdachlosen haben es vor allem diejenigen schwer, die schlecht bezahlte Jobs im Freien ausüben.
Ashok Shukla etwa, der neben seiner Autorikscha am zentralen Connaught Place auf Fahrgäste wartet. Ein halbes Dutzend der grün-gelben motorisierten Dreiräder, die an den Seiten offen sind, steht hier in einer Reihe. Shukla erzählt, dass er sich manchmal einen Schal um Mund und Nase wickele. "Eine Atemschutzmaske für 300 Rupien kann ich mir nicht leisten", sagt er. Das sind knapp vier Euro - so viel, wie Shukla am Tag verdient.
"Ich fahre seit 17 Jahren Autorikscha, und so schlimm ist es noch nie gewesen", erzählt Shuklas Kollege Aleem Dar. Er habe Brustschmerzen und Husten. "Ich atme Gift ein, aber mir bleibt nichts anderes übrig, als mein täglich Brot zu verdienen."
Der Halbmarathon immerhin endet ohne ernste Zwischenfälle. Als erste Frau kommt die Äthiopierin Almaz Ayana, Olympia-Siegerin von 2016 über 10 000 Meter, ins Ziel. Ihr Landsmann Birhanu Legese ist Sieger bei den Männern. "Es war nicht so schlimm", sagt er Reportern über die Luftqualität. "Die Atmosphäre war toll, aber die ungesunde Luft laugt einen aus", sagt dagegen der indische Teilnehmer Vijay Vashisht der Deutschen Presse-Agentur. "Man kann seine Muskeln trainieren, um ein guter Läufer zu werden, aber wie soll man seine Lunge trainieren, keine schlechte Luft aufzunehmen?"
Blog-Eintrag von IMA-Chef Aggarwal