Verhaltensstörung Hilfe für kleine Zappelphilipps
Eltern und Lehrer fühlen sich im „Kampf“ mit rebellischen Kindern oft überfordert. Können moderne Psychopharmaka helfen?
Magdeburg l Heutzutage gibt es vermutlich kaum noch Lehrerinnen und Lehrer von Grundschulklassen, die nicht mit Kindern zu tun hatten, die Lehrstunden störten und Erzieher an den Rand der Verzweiflung brachten. Leidtragende der unter Einschränkungen der Aufmerksamkeit und Mangel an Impulskontrolle, oftmals kombiniert mit einem unbändigen Bewegungsdrang, sind nicht zuletzt die Kinder und Jugendlichen selbst. Sie bekommen selten soziale Anerkennung und haben meist auch noch die schlechteren Schulnoten. Ohne Hilfe gleiten sie in jugendliche Außenseitergruppen bis hin zur Straffälligkeit.
Ein neues, gesellschaftliches Phänomen ist dieses Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) keineswegs. Anzeichen einer ADHS hat bereits 1844 der Frankfurter Psychiater Heinrich Hoffmann in der Weihnachtsgeschichte „Struwwelpeter“ beschrieben.
Die betroffenen Kinder können keine Ruhe geben, nicht abwartend stillsitzen und den Rat von Erwachsenen und gleichaltrigen Freunden nicht befolgen. Sie drängen sich in den Mittelpunkt jeder Gesellschaft, halten sich nicht an Regeln und geraten so immer wieder in Streitigkeiten mit Gleichaltrigen und Erziehern.
In den vergangenen 25 Jahren nahm die Zahl dieser ADHS-Diagnosen deutlich zu. „Für die Vermutung eines eindeutigen Zusammenhangs zwischen der Häufigkeit der Benutzung von Handys, Smartphones, Video- und Computerspielen einerseits und Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen andererseits gibt es keine sicheren Beweise“, so Universitäts-Professor Dr. Hans-Henning Flechtner, Direktor der Universitätsklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin des Kindes- und Jugendalters der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Im Gegenteil: „Manche Kinder, die leicht ablenkbar sind, können sich bei der Beschäftigung mit dem Handy sogar gut konzentrieren“, so Flechtner. „Ich denke, dass die Anforderungen an Kinder heute höher als noch vor 25 Jahren sind: Die Familienverhältnisse sind vielfach komplexer und die Leistungserwartung größer.“
Wenn Erziehungsberechtigte Hilfe benötigen, weil ihr Kind durch aggressives oder depressives Verhalten auffällt, finden sie Hilfe in Erziehungsberatungsstellen sowie bei Kinder- und Jugendpsychiatern. Zur Feststellung eines ADHS gibt es für Kinderpsychiater und Kinderärzte klare Diagnosekriterien.
Die Behandlung von ADHS stützt sich auf zwei Säulen: Medikamente und, wenn zusätzlich notwendig, auch auf ergänzende Eingriffe wie Verhaltens-, Spiel- und Ergotherapien.
„Die Medikamente sind ein Hauptpfeiler der Therapie“, so Dr. Dieter Sontheimer, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Harzklinikum Dorothea Christiane Erxleben. Unbehandelt bleiben ADHS-Kinder oft isoliert, weil sie von ihren Mitschülern gemieden werden. „Die Sorge, dass Medikamente zu einer Abhängigkeit führen, ist unbegründet“, sagt der Kinderarzt. Eltern sollten sich aber auf eine durchschnittliche Therapiedauer von drei Jahren einstellen.
Manche Menschen brauchen die Medikamente auch bis ins Erwachsenenalter. Können Probleme nicht im ambulanten Bereich gelöst werden, ist eine Überweisung in eine Kinder- und Jugendpsychiatrie notwendig. Um die erzieherischen Kompetenzen der Eltern zu stärken, bietet das Harzklinikum zum Beispiel in Kooperation mit dem Paritätischen Wohlfahrtsverband ein spezielles Elterntraining an.