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Fragen an den Direktor der Chirurgischen Universitätsklinik Magdeburg / Prof. Dr. Hans Lippert : "Leben nach Nierentransplantation ist wie Autofahren ohne Ersatzrad"

26.08.2010, 04:49

Gerade hat sich der SPDFraktionsvorsitzende Frank Walter Steinmeier eine Niere entnehmen lassen, um seiner Frau damit zu helfen. Volksstimme-Volontär Peter Althaus sprach mit dem Direktor der Chirurgischen Klinik des Universitätsklinikums Magdeburg, Prof. Dr. Hans Lippert, über Voraussetzungen für Nierenspenden, Risiken und den Verlauf der Operation.

Volksstimme : Herr Professor, rund 11 000 Menschen in Deutschland warten derzeit auf eine Spenderniere. Woran leiden diese Menschen ?

Prof. Dr. Hans Lippert : Das sind Patienten mit funktionslosen Nieren. Sie müssen in der Woche zweimal zur Dialyse, also zu einer Blutreinigung. Das müssen sie oft jahrelang. Damit sind enorme Einschränkungen des Alltags verbunden. Zum Beispiel müssen sie auch im Urlaub sicherstellen, dass sie Zugang zu einer Dialyse haben.

Volksstimme : Wie lange warten diese Patienten im Schnitt auf eine Niere ?

Lippert : Sie warten zwischen vier und fünf Jahre. Bevorzugt

werden dabei nur Kinder mit Nierenleiden und gleichzeitigen anderen Krankheiten.

Volksstimme : Kann die jahrelange Dialyse Auswirkungen auf den Körper haben ?

Lippert : Im Grunde genommen ist es so : Je kürzer der Körper ohne künstliche Niere auskommen muss, desto besser. Die Dialyse ist zwar eine gute Hilfe, aber sie kann Auswirkungen auf andere Organe haben. Die Wahrscheinlichkeit für Infektionen ist größer. Und es kann zu einer Blutarmut kommen.

Volksstimme : Welche Voraussetzungen muss ich denn als Spender mitbringen ?

Lippert : Sie brauchen zwei gesunde Nieren. Eine davon wird dann entnommen. Chirurgisch ist das für beide Seiten unproblematisch. Spender dürfen lediglich keine Infektionskrankheiten haben oder an Bluthochdruck leiden. Wenn jemand dem Alkohol zugeneigt ist oder raucht, ist das erst mal kein Problem. Falls dies Auswirkungen auf die Blutgefäße hatte, würde man das bei der Voruntersuchung feststellen.

Volksstimme : Wie verläuft die OP für den Spender ?

Lippert : Meist findet die Operation noch offen statt, auch wenn es mittlerweile die Möglichkeiten gibt, sie minimalinvasiv, also mit sogenannter Knopflochchirurgie, durchzuführen. Beim Spender wird das Organ von den Blutgefäßen und dem Harnleiter getrennt. Danach wird die Wunde zugenäht.

Volksstimme : Und dann hat der Spender dort einen Hohlraum ?

Lippert : Nein. Der Körper füllt das dann schnell mit Flüssigkeit. Später nehmen dann andere Organe diese Räume ein.

Volksstimme : Nun ist das Organ entnommen. Wird es dann umgehend beim Empfänger eingesetzt ?

Lippert : So bald wie möglich. Meistens wird die neue Niere in der Beckenregion eingesetzt und dort mit Blutgefäßen und der Harnblase verbunden. Der Empfänger hat dann also drei Nieren, von denen dann allerdings nur die neue Niere funktioniert.

Volksstimme : Und der Spender hat nur noch eine. Wie lebt es sich dann damit ?

Lippert : Nicht viel schlechter als vorher. Der Körper muss sich zunächst erst mal von der Operation erholen. Dann kommt noch eine Regenerationsphase hinzu, in der die verbliebene Niere die Aufgaben der anderen übernimmt. Der Patient bleibt dann in einer Nachbetreuung.

Volksstimme : Die Niere wächst also mit ihren Aufgaben ?

Lippert : In der Tat. Sie hat sich bis dahin die Arbeit mit der anderen Niere geteilt. Im Grunde genommen kann sie aber viel mehr. Trotzdem sollte man jedoch auf sich acht geben. Das ist so ähnlich wie mit einem Auto ohne Ersatzrad zu fahren.

Volksstimme : Ist der Empfänger dann auch ein Auto ohne Ersatzrad ?

Lippert : Bei ihm ist es nicht so gut wie beim Spender, aber viel besser als mit einer Dialyse. Jedoch sind die Empfänger anfälliger für Infektionskrankheiten. Sie müssen nämlich ein Medikament täglich einnehmen, welches das Immunsystem unterdrückt, damit der Körper die neue Niere nicht abstößt – und das ein Leben lang. Das wird dann alle zwei bis drei Wochen in einer Blutspiegelung kontrolliert. Trotzdem können diese Patienten dann auch Sport treiben oder den einen oder anderen Rotwein trinken. Erst letztes Jahr war eine Gruppe von Nierentransplantierten an unserer Klinik zu Gast, die für Organspenden werben wollten.

Volksstimme : Macht es einen Unterschied, ob ich ein Organ von einem Lebendspender oder einem Verstorbenen bekomme ?

Lippert. Organe von lebenden Spendern sind deshalb besser, weil sie von einem gesunden Spender kommen. Man kann dann mitunter den Zeitpunkt wählen, an dem gespendet wird. Das ist optimal.

Kürzlich verstorbene Organspender haben oft vor ihrem Tod Medikamente einnehmen müssen. Dadurch kann auch die Niere beeinträchtigt werden.

Volksstimme : Wie viele Menschen warten in Sachsen-Anhalt derzeit auf eine Niere ?

Lippert : Es sind rund 240 Patienten in Behandlung zur Dialyse. Die Anforderungen, um auf die Warteliste zu kommen, sind an verschiedene medizinische Kriterien gebunden. Das wird den Patienten dann vom Arzt erklärt.

Volksstimme : Wo könnte ich mich in Sachsen-Anhalt operieren lassen, wenn ich eine Niere bekommen würde ?

Lippert : Wenn Sie nur eine Niere bräuchten, dann würden Sie die in Halle bekommen. In der Magdeburger Uniklinik machen wir vorrangig Lebertransplantationen. Wenn Sie allerdings Leber und Niere bräuchten, dann würden Sie auch in Magdeburg operiert werden.