Leserfrage Lösen moderne Insuline Krebsgeschwülste aus?
Ich bin seit langem Diabetiker und wurde vor zwei Jahren auf ein neues Insulin ( Glargin ) umgestellt. Jetzt habe ich gehört, dass dieses Medikament möglicherweise Krebs auslöst. Sollte ich das Insulin weiter nehmen oder die Dosis verringern ? Es antwortet Professor Dr. Peter R. Mertens, Direktor der Uniklinik für Nieren- und Hochdruckkrankheiten, Bereich Endokrinologie und Stoffwechselkrankheiten Magdeburg.
Die " neuen Insuline ", die sogenannten Insulin-Analoga, ermöglichen eine gesteigerte Flexibilität und optimierte Blutzuckerkontrolle bei Zuckerkrankheit. Diese deutlichen Vorteile in der Therapie können dazu beitragen, Langzeitfolgen wie Nierenschädigung, Gefäßverengungen, Nervenschädigungen und Sehstörungen zu vermeiden. Neben den allgemein bekannten Eigenschaften von Insulin, die Aufnahme von Zucker ( Glukose ) in Zellen zu fördern und somit den Blut- und zellulären Zuckergehalt zu steuern, vermag Insulin als Botenstoff weitere Signale zu übermitteln. Hierzu gehören für alle Gewebe Wachstums- und Überlebenssignale. Mit diesen Informationen wird verständlich, warum in klinischen Studien untersucht wird, ob bei neueren Insulinentwicklungen die Entstehung von Tumorerkrankungen gefördert wird, da diese auf Wachstumsfördernde Signale besonders gut ansprechen.
In den jetzt kontrovers diskutierten Studien wurden Daten von einer großen Zahl an behandelten Diabetes-Patienten in Deutschland, Schweden, Schottland und England rückschauend ( retrospektiv ) erhoben. Das Auftreten bösartiger Erkrankungen bei Verwendung von bestimmten Insulinen stellte einen Schwerpunkt dar.
Risikofaktoren blieben unberücksichtigt
Unsicherheit in der Datenqualität liegt jedoch vor, da diese im Einzelfall unvermeidbar schlecht sein kann, weil Informationen fehlen und eine rückschauende Datenerfassung erfolgt ( im Gegensatz zu geplanten, prospektiven Studien ). Es fehlten Informationen über Risikofaktoren wie Rauchen oder familiär gehäufte Erkrankungen. Weiterhin wurden statistische Analysen angewandt, die eindeutige Schlußfolgerungen nicht zulassen. Welche Ergebnisse liegen aktuell vor ?
In allen vier Studien wurde gefunden, dass unter den " neueren " Insulinen bei Typ-1-Diabetes keine vermehrten Krebsfälle auftreten. Zudem benötigen mit dem langwirksamen Glargin-Insulin ( Handelsname Lantus ) behandelte Patienten, die einen Typ-2-Diabetes aufweisen, weniger Gesamt-Insulineinheiten, als wenn sie nicht-modif zierte Insuline zuführen. Vorteilhaft ist weiterhin, dass weniger gefährliche Unterzuckerungen auftreten. Das sind unbestreitbare Vorteile.
Kalkuliert man jedoch die Zahl der Brustkrebs-Erkrankungen auf die verabreichten Insulin-Einheiten, war diese Zahl in der Hälfte der Studien bei Glargin-Behandlung geringgradig erhöht. Die Absolutzahl an Tumorerkrankungen bei Glargin-Behandlung war sogar niedriger als bei Patienten, die andere Insuline bekamen. In zwei weiteren Studien konnte eine derartig gedeutete Förderung von Brusttumoren nicht gefunden werden.
Die deutsche Diabetes-Gesellschaft und andere Fachorganisationen raten Patienten, die unbestrittenen Vorteile von Glargin in der Blutzuckereinstellung weiter zu nutzen und eine Umstellung der Insulintherapie nur bei besonderer familiärer Neigung zu Brustkrebs oder vorliegender Tumorerkrankung bei Typ-2-Diabetes zu erwägen. Wir empfehlen in gleicher Weise vorrangig eine optimierte Blutzuckereinstellung anzustreben. Eine grundsätzliche Umstellung der Therapie oder Dosisreduktion ist nicht sinnvoll.