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Fall 1: Arbeitslosengeld II Pflegende Angehörige muss vorerst nicht zur Schulung

Von Gudrun Oelze 12.09.2011, 04:42

Kurz vor ihrem 55. Geburtstag wurde eine Langzeitarbeitslose aus dem Landkreis Jerichower Land vom Jobcenter in eine "Perspektive 50 Plus" vermittelt. Nachdem sie eine ähnliche Maßnahme Anfang des Jahres gerade absolviert hatte, sollte es Mitte August also wieder losgehen. Würde sie der Einladung ohne wichtigen Grund nicht Folge leisten, werde das ALG II gekürzt, teilte man der Frau aus dem Genthiner Raum mit.

"Ich hatte meine Arbeitsvermittlerin vorab aber informiert, dass ich die Pflege meines Vaters übernommen habe, und wollte nach dem Schreiben des Jobcenters die Sachlage nun vor Ort abklären", schrieb die Leserin. Bei Pflegestufe I gebe es keine Freistellung und sie habe acht Stunden am Tag an der Maßnahme teilzunehmen, sagte man der Mitfünfzigerin. Sie gab zu bedenken, dass der Vater an Parkinson und Demenz leide, sie für ihn täglich die Mahlzeiten vorbereiten, die Medikamente verabreichen und ihn nicht selten auch füttern müsse, da er an manchen Tagen einfach nicht in der Lage sei, allein zu essen.

Alles kein Problem, meinte wohl die Mitarbeiterin des Jobcenters. Morgens könne ja eine Pflegekraft beim Vater vorbeischauen und das Mittagessen von der Tochter, wenn sie von der Ganztagsmaßnahme aus Genthin wieder am Wohnort sei, für den Vater vorgekocht und von ihm am nächsten Tag in der Mikrowelle erwärmt werden. Zum Abendbrot sei die ALG-II-Bezieherin dann ja ohnehin wieder da. Bei dieser Schilderung der Leserin über den Gesprächsverlauf in der Behörde tauchte bei uns die Frage auf, ob die Arbeitsvermittlerin wohl schon einmal in einer ähnlichen Situation war, in der neben dem eigenen Haushalt der eines an Demenz und Parkinson erkrankten nahen Angehörigen zu führen und der Patient zu pflegen war?

Bei der Leitung des Jobcenters wurde nach unserer Anfrage nicht ausgeschlossen, dass die Mitarbeiterin "nicht ausreichend einfühlsam auf die persönliche Situation" der Kundin eingegangen sei. Sollte sie sich missverstanden gefühlt haben, bitte man dies zu entschuldigen.

Persönliche Situation mit dem Berater klären

Letzlich sei es bei dem Beratungsgespräch aber über die Rechte und Pflichten der ALG-II-Bezieherin sowie aktuelle Förderleistungen des Jobcenters Jerichower Land gegangen. Die Kundin wurde "zum einen über die gesetzlichen Regelungen zum Bezug von Arbeitslosengeld II bei der Pflege von Angehörigen und zum anderen über mögliche Hilfen durch Dritte, z.B. Haushaltshilfen oder Pflegedienste" informiert. Denn grundsätzlich sind Empfänger von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende verpflichtet, jede Arbeit anzunehmen, zu der sie geistig, seelisch und körperlich in der Lage sind. Als eine Ausnahme davon wird im Merkblatt "Arbeitslosengeld II" unter anderem aber auch genannt, "wenn die Pflege eines Angehörigen sich nicht mit der Ausübung einer Arbeit vereinbaren lässt und die Pflege nicht auf andere Weise sichergestellt werden kann."

Nach einem Attest vom Hausarzt des Vaters und der Information, dass eine Höherstufung in der Pflegeversicherung beantragt worden sei, legte man im Jobcenter zwischenzeitlich "als Ermessensentscheidung" in diesem Fall fest, "dass eine Teilnahme an der Maßnahme bis zur Entscheidung über die Pflegestufe nicht erfolgt". Ob und in welchem Umfang später eine Vermittlung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch möglich sei, hänge von der Entscheidung der Pflegekasse ab.

Nach einer früheren Auskunft der Regionaldirektion Sachsen-Anhalt-Thüringen der Bundesagentur für Arbeit zu dieser Problematik erfolge die Beurteilung, in welchem zeitlichen Umfang ein ALG-II-Bezieher wegen der Pflegetätigkeit keiner Beschäftigung nachgehen kann, immer unter Berücksichtigung des Pflegeaufwandes gemäß der festgelegten Pflegestufe. Die vom erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nachgewiesenen Einschränkungen hinsichtlich Dauer, Lage und Verteilung der Arbeitszeit müssten einzelfallbezogen mit dem persönlichen Ansprechpartner besprochen werden.