Reise Lastminute-Hausboot an der Müritz: Entspannt über die Seenplatte tuckern
Kurz entschlossen zum Binnensee-Kapitän auf dem „kleinen Meer“ in Mecklenburg-Vorpommern.

Seefahrt, ohne das Meer zu sehen. Stimmt nicht ganz. Müritz heißt in der Sprache der alten Slawen, die hier im Süden des heutigen Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern vor 1.700 Jahren siedelten, „kleines Meer“. 18 Kilometer lang, zehn Kilometer breit. Und wenn man will, kommt man hier über Dutzende Seen und immer wieder Kanäle auf dem Wasserweg zum richtigen Meer: Über Elde und Elbe in die Nord-, über Havel und Oder in die Ostsee. Und wenn man es wirklich darauf anlegt, sogar zum Schwarzen Meer. Aber das ist eine andere Geschichte.
Marina Rechlin am Müritz-Ostufer. Es duftet nach Wasser und Weite. Etwa 200 Möwen sitzen auf der Kaimauer und machen Geschrei wie 2.000 Tiere. Frischer Nordostwind verursacht einen veritablen Wellengang auf Deutschlands zweitgrößtem Binnensee. Überhaupt kein Problem für den „Kormoran“. So heißt unser weißblaues Zuhause für die nächsten zwei Tage. Ein Hausboot, das nicht aussieht wie einer dieser schwimmenden Schuhkartons, sondern wie ein echtes Schiff. Spitzer Bug, Rumpf aus soliden Stahlplatten geschweißt. Zwei Kajüten, Salon, Sonnendeck und ein Führerstand mit richtigem Holz-Steuerrad.
Wenn man den „Kormoran“, also das Hausboot, charakterisieren müsste: Als Insekt wäre er am ehesten eine Hummel. Behäbig, pummelig, liebenswert.
Crashkurs am Steuerrad“Immer eine Hand am Schiff, damit ihr nicht reinfallt“, sagt Dagmar Kuhnle, Chefin eines der größten Hausboot-Vercharterers im Revier - und selbst glühende Müritz-Kapitänin. “Und die Toilettenspülung richtig bedienen“. Das sind schon die zwei wichtigsten Grundregeln der Hausboot-Schifffahrt. Und natürlich vor dem Ablegen Landstrom-Kabel rausziehen und ordentlich an Bord verstauen.
Alles andere erklärt René Gilger. René ist ein Tausendsassa. Früher IT-Experte bei einem großen Schweizer Unternehmen. Jetzt in Pension, nebenbei Mental-Coach mit eigener Agentur. René berät Firmenchefs in Führungsdingen und kümmert sich um Gefängnisinsassen in Resozialisierungsfragen. Zum Ausgleich managt er noch die Details bei der Bootsübergabe im Hafendorf Rechlin, knapp 1.000 Kilometer von seiner Züricher Heimat entfernt. “„Meine Frau hat daheim so viele Aufgaben für mich. Ich bin quasi vor dem Staubsauger geflüchtet“, erklärt René seinen temporären Wechsel an die Mecklenburger Seenplatte zu Wasser und Boot.
Steuerung erklären und alle Schalter. Ausrüstung überprüfen - vom Bootshaken bis zum Salzstreuer. Übergabeprotokoll ausfüllen. Damit auch alles passt. Und eine kleine Einführungsprobefahrt. Das 9,40-Meter-Teil „Kormoran 940“ aus der Hafenbox ausparken, zwischen den anderen Schiffen hindurch manövrieren, ohne irgendwo anzuecken. 360-Grad-Wende bei ordentlich Wind, schließlich rückwärts wieder einparken. Nicht trivial, mit etwas Übung und See-Verständnis aber machbar. Im Zweifel hilft hier einfach noch mehr Übung. Dafür sind die nächsten Tage da.
Traumschiff ohne FernsehenMit neun Knoten Höchstgeschwindigkeit (entspricht einem sehr gemütlichen Radfahrer) stampft „Kormoran“ durch die Wellen. Weiter im Schleichtempo über das spiegelglatte Wasser der Havel zum benachbarten See. Der heißt, sehr einfallsreich, Kleine Müritz. Später, an der Schleuse zeigt sich, wieviel Seefahrt-Gen im Hobby-Käpt'n steckt.
Gas wegnehmen, mit dem Rückwärtsgang bremsen. Und mithilfe des Bugstrahlruders (ein Motor, der das Schiff seitwärts bewegt) filigran in die schmale Einfahrt fädeln. Jetzt bloß nirgends anbollern. Das Schlimmste für einen Hausboot-Kapitän sind nämlich die hämischen Kommentare des Schleusenpublikums. Radeltouristen, die gerade eine Pause machen und sich natürlich total gut mit maritimer Feinjustierung auskennen (wenn sie diese nicht gar erfunden haben).
Trotzdem gibt es Traumschiff-Urlaub auf der „Kormoran“. Hier fühlt man sich wie Sascha Hehn (Käpt'n) und Harald Schmidt (Hotelchef) in einer Person. Die Häfen heißen Röbel und Rechlin statt Rio und Rotterdam. Unser Pool ist der See. Einfach über die Badeplattform an „Kormorans“ Heck zu erreichen.
Der wahre Luxus aber ist die komplette Abwesenheit von Fernsehen und die überwiegende von Mobilfunk. Entspannte Parallelwelt. Und die Freiheit, fast überall anzulegen oder zu ankern.
Die Deckterrasse mit Sonnenschirm, Plastikstühlen und Außendusche ist ein veritables Seegrundstück mit Wasser rundrum. Gut für einen Morgenkaffee an der frischen Luft, später einen Sundowner und/oder ein gutes Buch. Und wenn es uns zu warm wird hier oben, platsch, ab in den Pool. Also, siehe oben, in den See.
Bei Dauerregen (dauert hier normal nicht länger als einen halben Tag, aber manchmal gibt es auch unnormal viel) lässt sich auf der verglasten Brücke trefflich in der Eckcouch lümmeln und lesen. Mit zwei Schritten ist man - im selben Raum - in der voll ausgestatteten Küche. Kühles Bier im Kühlschrank, deftige Lasagne im gasbetriebenen Backofen. Später noch eine Runde Mensch ärger dich nicht (wann kommt man im wahren Leben schon dazu) und dann voller Seefahrt-Serotonin (maritimes Glückshormon, das für Zufriedenheit und emotionale Stabilität sorgt) ab in die Koje. Das sanfte Wellengeplätscher wiegt uns innerhalb von Sekunden in den Schlaf…


