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Auf Gleisen durch Zentralasien Orient Silk Road Express: Mythos Seidenstraße im Sonderzug

Vier Länder auf knapp 4.600 Schienenkilometern: Von Usbekistans Hauptstadt Taschkent bis ins kasachische Almaty zu rattern, ist ein Erlebnis wie aus 1001 Nacht - und noch viel mehr. Eine Chronologie.

Von Andreas Drouve, dpa 16.06.2025, 00:05
Zwischenstopp in Usbekistan: Der „Orient Silk Road Express“ im Bahnhof von Shahrisabz.
Zwischenstopp in Usbekistan: Der „Orient Silk Road Express“ im Bahnhof von Shahrisabz. Andreas Drouve/dpa-tmn

Welch ein magischer, exotischer Klang – die Seidenstraße! In der Vorstellung tauchen Karawanen auf, schier endlose Reihen aus Menschen und Kamelen, schwer beladen mit wertvollen Stoffen. Weniger bekannt ist, dass sie über Seide hinaus auch Gewürze, Keramik, Edelsteine, Tee transportierten.

Und dass erst der deutsche Geograf Ferdinand von Richthofen (1833-1905) den Ausdruck „Seidenstraße“ erfand. Er umriss ein Netzwerk aus Handelsrouten, die von vorchristlicher Zeit bis ins Spätmittelalter ihre Blüte erlebten: von Ostasien in den Mittelmeerraum und umgekehrt.

Während China zwischen Xinjiang und dem Arabischen Meer derzeit an einer „Neuen Seidenstraße“ baut, hat das Original heute vor allem touristisches Potenzial. Den historischen Wegen und Stationen in Zentralasien folgt ein gecharterter Sonderzug, der „Orient Silk Road Express“. Knapp 14 Tage dauert die Reise auf Schienen durch die „-stan“-Länder Usbekistan, Tadschikistan, Kirgistan, Kasachstan.

Bevor 81 Zuggäste aus zehn Nationen in Usbekistans Hauptstadt Taschkent in die Waggons steigen, hält das Reiseprogramm am Abfahrtstag ein Beispiel für das moderne, junge Usbekistan bereit.

Bei einem Konzert im Konservatorium tritt die 22-jährige Muslimin Feruza Mamirjonova mit dem traditionellen Saiteninstrument Dutor und ohne Schleier auf - „Usbekistan ist in jederlei Hinsicht ein Land in der Entwicklung“, sagt die Musikerin, die wahre Beifallsstürme entfacht.

Tag 1-3: Märchen oder Disneyland?

Das Abenteuer beginnt, als der Zug am Abend Taschkent verlässt. Der Abschied am Nordbahnhof fällt leicht. Die Millionenstadt erscheint als Mittelmaß: moderne Moscheen, viele Baustellen, Staus. Es dröhnt. Es klackt. Es rattert. Das ist der Klang, mit dem der Sonderzug auf den Trip einstimmt. 

Ali Burkhanov, einer der Guides, räumt mit der Vorstellung eines Luxuszugs auf und gibt an die Hand: „Benutztes Klopapier kommt in den Eimer daneben.“ Wer nicht die teuerste Kategorie gebucht hat, teilt sich pro Waggon zwei Toiletten und ein Bad mit den anderen; bei den Duschzeiten trägt man sich in eine Liste ein. Die Schaffner putzen, räumen auf, machen Betten. 

Gänge und Abteile sind orientalisch gestaltet, mit Teppichböden ausgelegt. Kurze Liegeprobe im Bett. Die Maße: 184 Zentimeter lang, 67 Zentimeter breit.

Der Zug rollt in die untergehende Sonne, am Morgen sind wir in Chiwa. Der historische Kern schnürt sich in Stadtmauern, lockt als oft propagiertes „Märchen aus 1001 Nacht“ – und kostet Eintritt. Was in Europa heiß diskutiert würde, ist hier ein eiskaltes Geschäft. Für umgerechnet 18 Euro darf man durch die Gassen streifen und wichtige Monumente besuchen: den Palast Kunya Ark, das Haremshaus, die Dschuma-Moschee mit ihrem Holzsäulenwald.

In den Sturzfluten aus bunt glasierten Kacheln, die Minarette und Wände überziehen, fühlt sich Keramikerin Fränzi Iff aus der Schweiz in ihrem Element. Die 46-Jährige, eine der Jüngeren auf der Reise, begeistert sich an Schnörkelranken und den Größen der Kompositionen.

Ebenso spannend findet sie die typische Lehmbauweise und die Vielzahl geschnitzter Holztüren. Weniger märchenhaft sind Andrang und weiterer Kommerz. Die aufpolierte Altstadt ist ein Riesenbasar und vermarktet sich als Architektur- und Kultur-Disneyland. Für den Massentourismus im Angebot sind Seiltanzshows, Kamelritte und Fotoposierbänke, wo man kapitale Fellmützen aufsetzt und Krummsäbel hält. 

Tag 4-6: Kunsthandwerk und schwebende Frauen

Verschluckt von der Finsternis, schaukeln wir nach Buchara, ebenso Weltkulturerbe wie Chiwa, ebenso an der alten Seidenstraße gelegen. Dort tönen feine Schläge über den Platz vor der einstigen Moschee Toqi Zargaron. Gerade ziseliert Mahmud Mamurov mit Hämmerchen und Punze ein raffiniertes Muster in eine Bronzeschale. Er sitzt auf einem Stuhl im Schatten, treibt sein Werk millimetergenau voran und sagt unbescheiden: „Ich bin Meister.“ Dabei ist er erst 15. Das Know-how hat er von seinem Vater gelernt, das Business floriert in Familienhand.

Usbekistan ist ein Land des Kunsthandwerks, von Stickereien bis zu Gold-, Silber- und Schmiedearbeiten. Kreativität und Kommerz knüpfen an die Geschichte der Seidenstraße an. „Buchara war ein wichtiger Knotenpunkt und das große Minarett der Leuchtturm für die Karawanen“, sagt Touristenführer Ali. Durch einen Vergnügungspark – auch das typisch Usbekistan – führt der Weg zum Mausoleum der Samaniden-Dynastie, ein Zuckerbäckerwerk aus gebrannten Ziegeln, auf das 10. Jahrhundert datiert.

Das Gros der Baupracht entstand weit später: die Kuppelbasare, die Moschee Kalon, die islamische Lehranstalt Mir-i-Arab. Heute wird niemand vom Rattern in den Schlaf begleitet, das Quartier ist ein Hotel.

In Bucharas Wüstenklima scheinen die Frauen in ihren luftigen, edlen Kleidern fast zu schweben. Adrett angezogen sind selbst die Schulkinder im Bergdorf Changak, Ziel eines Busabstechers in die Provinz. Vor Lehmmauern fangen die 16-jährige Farangiz und ihre Freundin Nigina mich ab, um ihr Englisch zu testen und um ein Foto von sich zu bitten. So fühlen sie sich geehrt.

Ähnliche Begegnungen setzen sich in Shahrisabz fort, wo auf der Seidenstraße über Afghanistan einst mehrere Karawansereien zur Wahl standen. Das örtliche Welterbe ist von Touristen noch kaum entdeckt, doch Originale aus der Ursprungszeit sind verschwunden. Der 40-jährige Ali erinnert an Zerstörungen, Kriege, wechselnde Machthaber in Zentralasien. Der Tag klingt mit einem Grill- und Weinfest vor dem nüchternen Bahnhofsbau aus.

Tag 7-9: Tore ins Paradies

Die eisigen Berge Tadschikistans, die wie auf einer Kinoleinwand vorbeiziehen, rufen am nächsten Tag die Beschwernisse von einst ins Gedächtnis. Die Seidenstraße zog sich über Gebirgspässe, durch Wüsten, Steppen, Schluchten. Eine Karawane, so Guide Ali, schaffte im Schnitt 30 Kilometer pro Tag. Unser Zug schnaubt auf der im Tourenverlauf vorgesehen Schleife zurück nach Usbekistan. Die Türen der Abteile stehen offen. Niemand verschließt sich. Jeder plauscht mit jedem.

Eindruck schinden, Besucher überwältigen – das gelingt der Stadt Samarkand seit alter Zeit. Was mit dem modernen Protzbahnhof beginnt, setzt sich mit Traumkulissen zentralasiatischer Architektur fort: im Mausoleenkomplex Shah-i-Zinda und um den Registan-Platz mit drei vormaligen Koranschulen, die im Nachgang zur Ära der Seidenstraße die Entwicklung, Kultur und Wissenschaft beflügelten.

Hier fühlt man sich vom Orient wie betäubt. Jedes Portal öffnet sich als Tor ins Paradies. Kuppeln und Kachelbilder überwältigen in Blau und Türkis, mit Blumen- und Sternendekors, Inschriften, geometrischen Symmetrien.

Verwoben mit dem Gestern und Heute ist die Seide. Leicht gebückt, mit scharfem Blick auf die Vorlage und eigenen Finger sitzt Sarvinoz Hamroqulova vor ihrem Webstuhl. In einer Manufaktur in Samarkand arbeitet die 35-Jährige seit sieben Monaten an einem Seidenteppich, den sie selbst nie bezahlen könnte. Wenige Wochen fehlen bis zur Vollendung. „Man braucht viel Geduld und die Liebe zur Arbeit“, sagt sie.

Tag 10-13: Natur und Finale

Auf den 1.067 Kilometern nach Kirgistan steht Chefköchin Larisa Koshevnikova mit ihrem Team extrem unter Dampf. Suppen, Omelettes, Schweinerippchen. Keine Haute Cuisine, aber lecker. Das Schaukeln macht der 59-Jährigen in der Bordküche nichts aus. Koshevnikova hat schon auf einem Ozeandampfer gearbeitet.

Was schmeckt ihr an dem Job vielleicht nicht so? „Die Hitze in der Küche!“ In ihrem Drei-Quadratmeter-Reich kocht die Temperatur. Unter den Gästen hebt eine Wodkaprobe die Stimmung auf den Siedepunkt. Zum Glück bleibt der befürchtete Kopfschmerz aus.

Die Weichen der Reise werden neu gestellt: von Kultur auf Natur. Kirgistan empfängt mit Weite, Wiesen, Ketten aus Gipfeln. Majestätisch erheben sich Berge mit Eisüberzügen im Nationalpark Ala-Artscha. Der Wind rauscht durch ein breites Flusstal, fegt durch Fichten, Birken, Wacholder.

„Die Perle Kirgistans“, wie es heißt, ist der Yssyk-Köl, der zweitgrößte Gebirgssee der Welt, nach dem Titicacasee in Südamerika. Bei einer Bootstour saugen wir die frische Luft ein, die Blicke auf Vier- und Fünftausender. Zerfaserte Wolken nehmen Spiegelbäder im Dunkelblau des Wassers. Die Varianten der Seidenstraße liefen am Nord- und Südufer entlang.

Auf den fruchtbaren Böden wachsen Aprikosen, Äpfel, Kirschen. „Kymyz“, fermentierte Stutenmilch, ernährte schon die alten Nomadenvölker und gerät geschmacklich zum Härtetest. Echt animalisch.

Das Morgenlicht überzieht Kasachstans baumlose Hügelwellen. Im Bahnhof von Almaty kreischen die Bremsen, ersterben die vertrauten Klänge des Zuges. Endstation.

Bei der Citytour sehen wir monströse Prunkbauten aus der Sowjetzeit, hippe Cafés und Relieftafeln, die am Denkmal der Unabhängigkeit die Geschichte des Landes erzählen: In einer der Szenen ziehen bepackte Kamele auf der Seidenstaße voran.

Links, Tipps, Praktisches:

Reiseziel: Die vier bereisten Länder liegen in Zentralasien.

Beste Reisezeit: Frühling und Herbst; die Sommer sind heiß, die Winter frostig.

Anreise: Ab Frankfurt am Main gehen Flüge bis Taschkent oder Almaty, meist über Istanbul.

Einreise: Der Reisepass genügt, nirgendwo sind Visa nötig.

Reise im Zug: Der Berliner Veranstalter Lernidee organisiert Sonderzugreisen auf der Seidenstraße zwischen Taschkent und Almaty in beiden Richtungen. Station wird auch in den Hauptstädten Tadschikistans und Kirgistans, Duschanbe und Bischkek, gemacht. Etwa die Hälfte der Übernachtungen erfolgt in Hotels, sonst im Zug. Für Ausflüge stehen Begleitbusse zur Verfügung; Reiseleitung auf Deutsch.

Alternative: Auch in Eigenregie lassen sich viele der Orte bereisen. Ab Taschkent gibt es regelmäßige Verbindungen nach Samarkand, Buchara und Chiwa.

Strom: In den Ländern und im Sonderzug passen die Stecker von daheim.

Weiterführende Informationen: uzbekistan.travel; traveltajikistan.tj; discoverkyrgyzstan.org; kazakhstan.travel