Mollige Menschen sind oft fitter als dünne / Spezielle Kurse für Menschen mit mehr Pfunden Sport ist keine Frage des Gewichts
Dicke Menschen gelten oft als unsportlich. Doch das stimmt nicht unbedingt, denn Dünne sind nicht automatisch fitter. Wer mit ein paar Kilos zu viel einmal die Freude an der Bewegung entdeckt hat, überrundet oft die vermeintlich sportlicheren Bohnenstangen.
Berlin (dpa) l Gisela Enders ist ein sportlicher Mensch, Bewegung spielt in ihrem Leben eine große Rolle. Zwei- bis dreimal pro Woche geht sie ins Fitnessstudio. Wer die 46-Jährige sieht, traut ihr das im ersten Moment vielleicht nicht zu.
Denn Gisela Enders ist nicht schlank. "Aber dick sein bedeutet nicht, unfit zu sein", sagt die Vorsitzende von Dicke, einem Verein in Berlin, der sich für die Akzeptanz schwergewichtiger Menschen stark macht. "Auf dem Stepper oder auf dem Fahrrad bin ich deutlich ausdauernder als mein Mann, der schmal wie ein Handtuch ist", erzählt sie. Dicke seien nicht grundsätzlich unsportlich. "Das ist das gesellschaftliche Bild und das Bild, das wir von uns selbst haben", sagt Enders. Und das werde schon früh geprägt - durch Leistungsvergleiche im Sportunterricht und Hänseleien der Mitschüler.
"Die meisten Dicken haben eine negative Sportbiografie."
"Die meisten Dicken haben eine negative Sportbiografie", erläutert Chloé Kleinknecht vom Psychologischen Institut der Deutschen Sporthochschule Köln. Zu der schlechten Erfahrung in der Schule komme hinzu, dass Sport mit einem dicken Körper einfach anstrengender sei als bei normalem Gewicht.
Was also tun, um trotz höheren Körpergewichts Freude an der Bewegung zu entdecken? Für Gisela Enders ist es vor allem eine Haltungsfrage, ob jemand von sich sagt: Ja, ich kann sportlich sein! "Für mich war Sport lange verbunden mit dem Thema Abnehmen", erklärt sie. "Diese Koppelung habe ich bewusst abgelehnt." Und damit genau richtig gehandelt, wie Kleinknecht bestätigt: "Die meisten Dickeren machen Sport, weil sie es tun sollen oder sich sagen, dass sie es müssen." Das sei aber die falsche Herangehensweise. Der Sport werde dadurch instrumentalisiert - und nervt irgendwann nur noch.
Außerdem sei es für jemanden, der richtig adipös ist, also 50 bis 60 Kilogramm zu viel mit sich herumschleppt, ohnehin utopisch, jemals ein Normalgewicht zu erreichen. Viel wichtiger sei daher das Ziel, gesund und fit zu werden - und mit seinem Gewicht seinen Frieden zu machen, rät die Sportwissenschaftlerin. "Sport tut mir gut", bestätigt Enders. "Ich nehme nicht ab, aber es ist der Kampf gegen den Verfall des Körpers."
Auch der Diplom-Sportlehrer und Buchautor Markus Hederer rät, jede Bewegung unter dem "Anti-Aging-Aspekt" zu sehen. Wer Sport treibt, fühle sich besser und steigere damit seine Lebensqualität. Er empfiehlt übergewichtigen Sport- einsteigern, sich eine Betätigung zu suchen, bei der das Körpergewicht einigermaßen getragen beziehungsweise nicht zu einer Zusatzbelastung wird. "Radfahren und Fahrrad-ergometer sind gut, und wer wasseraffin ist, geht schwimmen", sagt er. Joggen sei zu Anfang eher nicht geeignet, ebenso wenig zum Beispiel Squash, weil die schnellen Stopps und Drehungen bei einem Untrainierten zu Verletzungen führen können.
Der Tipp von Enders lautet, sich zu überlegen: Welche Bewegung macht mir Spaß? Was habe ich als Kind gern gemacht? Dafür sollte man sich dann einen "vorurteilsfreien Raum" suchen. Das könne zum Beispiel ein Fitnessstudio sein, in das viele verschiedene - dicke, ältere, behinderte - und nicht nur dünne, durchtrainierte Menschen gehen. Dann sollte man die einzelnen Angebote unter die Lupe nehmen. "Es gibt Kurse in meinem Studio, da gehe ich nicht hin, weil dort Übungen gemacht werden, die nicht auf einen dicken Körper abgestellt sind", nennt sie ein Beispiel.
"Man muss sich mit den Menschen, die einen umringen, identifizieren können."
Volkshochschulen, Landessportbünde und Sportvereine bieten oft spezielle Kurse für Menschen mit mehr Pfunden an - "Sport für starke Frauen" etwa oder "Gymnastik für Mollige". Die Übungsleiter haben in der Regel eine spezielle Ausbildung dafür. Auch hier lohnt sich ein genauer Blick auf die Umgebung, wie Kleinknecht sagt. "Man muss sich mit den Menschen, die einen umringen, identifizieren können." Das könnte bei einem spindeldürren Trainer womöglich nicht der Fall sein. Und nicht jedem behagt womöglich ein komplett verspiegelter Raum.
Wer lieber erstmal allein trainiert, dem schlägt Hederer eine Kombination aus ausführlichen Spaziergängen und Kräftigungsübungen vor. Dazu sind keine Maschinen oder Gewichte nötig - es reiche, mit dem eigenen Körpergewicht zu trainieren. "Man sollte so anfangen, dass man sich nicht überfordert, sondern merkt, dass man langsam besser wird", sagt der Sportlehrer. Später kann Krafttraining dazukommen, in das man sich von qualifizierten Trainern einweisen lässt. Der beste Trick, um dabei zu bleiben, seien Erfolgserlebnisse - zum Beispiel, dass man zunehmend mehr Kilos stemmen kann.