Die Hartz-IV-Regelsätze werden neu berechnet – Was bedeutet das für Betroffene ? Vor allem bei "Härtefällen" kommt es zu Änderungen
Das Bundesverfassungsgericht urteilte am 9. Februar 2010 : Die Hartz-IV-Regelsätze sind verfassungswidrig und müssen neu berechnet werden. Zudem hatten die Karlsruher Richter entschieden, dass Hartz-IVEmpfänger in Ausnahmefällen einen zusätzlichen Sonderbedarf geltend machen können. Das hat nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit bereits zu einer Flut von Anträgen geführt. Was ändert sich genau ? Wer bekommt ab sofort mehr Geld ? Die Volksstimme fragte bei Romy Kauß, Sozialarbeiterin in der PARITÄTISCHEN Regionalstelle Magdeburg, nach.
Volksstimme : Für wen ändert sich etwas ?
Romy Kauß :
Nach dem Urteil hat sich das Bundesarbeitsministerium mit der Bundesagentur für Arbeit auf einen Katalog verständigt, in dem die sogenannten Härtefälle aufgelistet
sind. Dazu gehören, wie zum jetzigen Zeitpunkt bekannt ist, Rollstuhlfahrer, die eine Putz- oder Haushaltshilfe benötigen, sowie nicht verschreibungspflichtige Medikamente für einige festgelegte Erkrankungen ( zum Beispiel Neurodermitis und HIV ). Weiterhin können getrennt lebende Eltern für die Wahrnehmung des Umgangsrechtes die Kosten für die Fahrt und / oder Übernachtung erstattet bekommen. Ferner kann im Einzelfall unter bestimmten Voraussetzungen Nachhilfe für schulpflichtige Kinder übernommen werden.
Volksstimme : Lohnt es sich, jetzt schon zur ARGE zu gehen und mehr Leistungen zu beantragen ?
Kauß : Der Leistungsanspruch greift ab sofort, wenn Hilfebedürftige einen " unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarf haben ". Anträge auf Leistungen aus dem erarbeiteten Katalog können ab sofort beim zuständigen Jobcenter eingereicht werden. Es ist jedoch damit zu rechnen, dass zahlreiche Anträge abgelehnt werden müssen, da die notwendige " außergewöhnliche Belastung " nicht erfüllt wird. Hilfreich ist, den Fall plausibel zu begründen und die entsprechenden Nachweise einzureichen, um ein rasches Ergebnis zu erzielen. Derzeit ist nicht klar, ob der Katalog demnächst geändert wird, so dass die Härtefallregelung mehr hilfebedürftige Menschen berücksichtigt als aktuell.
Volksstimme : Muss man überhaupt etwas beantragen oder wird es automatisch angepasst ?
Kauß : Die Anträge können ab sofort formlos erfolgen, eine automatische Anpassung wird nicht erfolgen. Sobald das Arbeitsministerium die Genehmigung für den Katalog erteilt hat, kann die Auszahlung erfolgen.
Volksstimme : Ab wann kann ich mit mehr Geld rechnen ? Und für wen trifft das zu ?
Kauß : Es ist nicht damit zu rechnen, dass ab sofort der Regelsatz für alle Hilfebedürftigen nach dem SGB II erhöht wird. Kann der besondere Härtefall nachgewiesen werden, werden diese Hilfen ab sofort ausgezahlt. Das Urteil sagt aber auch aus, dass die gesetzlich festgelegten Regelsätze nicht bedarfsgerecht und transparent genug erscheinen. Hier wird mit einer Änderung zum 31. Dezember 2010 gerechnet.
Volksstimme : Wer gilt als Härtefall ?
Kauß : Nach dem aktuellen Erkenntnisstand gehören vier Personengruppen dazu : chronisch Kranke, Rollstuhlfahrer, getrennt Lebende und versetzungsgefährdete Kinder. Bei chronisch Kranken sollen auch Medikamente übernommen werden, die nicht als verschreibungspflichtig, aber trotzdem als notwendig erachtet werden ( zum Beispiel Hautpflegeprodukte bei Neurodermitis ). Für Rollstuhlfahrer, die gewisse Tätigkeiten im Haushalt nicht ohne fremde Hilfe erledigen können, besteht die Möglichkeit, eine Haushaltshilfe als außergewöhnliche laufende Belastung geltend zu machen. Getrennt lebende Eltern werden als Härtefall angesehen, wenn sie nicht auf eigene Kosten die Fahrt zu ihren Kindern bewältigen können. Hier können gegebenenfalls Fahrt- und Übernachtungskosten beantragt werden. Versetzungsgefährdeten schulpflichtigen Kindern kann Nachhilfe unter besonderen Voraussetzungen gewährt werden, zum Beispiel bei langfristiger Erkrankung.
Volksstimme : Habe ich Anspruch auf Ersatz, wenn meine Waschmaschine kaputt geht ?
Kauß : Nach wie vor gilt, dass defekte Haushaltsgeräte nicht erstattet werden, da der Grundsatz der " regelmäßig, nicht einmaligen Kosten " nicht eingehalten werden kann. Die Jobcenter entscheiden hier im Einzelfall, ob die Gewährung eines Darlehens möglich ist, was aber zu 100 Prozent zurückgezahlt werden muss und somit komplett aus der Regelleistung zu finanzieren ist.
Volksstimme : Stellen die Bedürfnisse von Kindern – wie zum Beispiel Neuanschaffung von Kleidung durch rasantes Wachstum oder eintägige Ausflüge mit Kita, Hort oder Schule – besondere Härtefälle dar ?
Kauß : Nein. Derzeit geht die Bundesregierung davon aus, dass Bekleidung, Ausflüge und dergleichen aus dem Regelsatz der Kinder finanziert werden können. Im Gespräch ist, Kindern die Teilhabe am sozialen Leben zu ermöglichen. In welcher Form das erfolgen kann, lässt die Bundesregierung jedoch offen.
Volksstimme : Wird das Kindergeld auch weiterhin in voller Höhe auf den Regelsatz der Kinder angerechnet ?
Kauß : Ja, bis auf weiteres bleibt die Berechnungsgrundlage für die Regelsätze der Kinder bestehen.
Volksstimme : Wer übernimmt Mehrkosten, die entstehen, wenn eine alleinerziehende Mutter im Schichtdienst tätig ist und ihr Kind auch außerhalb der regulären Öffnungszeiten der Kita betreuen lassen muss ?
Kauß : Laut Katalog wird dies nicht als Härtefall angesehen. Für die Übernahme der Kinderbetreuungskosten ist das Jugendamt zuständig.
Volksstimme : Kann eine alleinerziehende Mutter zweier schulpflichtiger Kinder, die keinen Unterhalt erhält, die Übernahme der Mittagessenversorgung beantragen ?
Kauß : Dieser Antrag würde laut Härtefallregelung abgewiesen werden. Hierbei handelt es sich zwar um einen laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarf. Trotzdem droht laut Bundesregierung keine " erhebliche Unterversorgung " und rechtfertigt damit keinen Antrag. Somit sind die Kosten aus der Regelleistung zu decken.