Beweislast liegt beim Betroffenen Wer Opfer eines Stalkers wird, braucht Durchhaltevermögen
Nächtlicher Telefonterror, überquellende E-Mail-Eingänge, Angriffe auf offener Straße : Stalking ist eine immense Belastung für die Opfer. Laut einer Studie des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim hatte jeder achte Deutsche schon einmal darunter zu leiden.
Kassel / Mainz ( ddp ). Experten sprechen von Stalking, wenn eine Person gegen ihren Willen wiederholt verfolgt und belästigt, oft auch bedroht wird : Der Stalker ruft ständig an, schreibt SMS oder E-Mails, bestellt im Namen des Opfers Waren, verfolgt, beleidigt oder bedroht es ; in Extremfällen kommt es zu Körperverletzungen, sogar zur Tötung.
Von Beginn an ist Stalking eine Situation, die überfordert. Rechtsanwalt Volkmar von Pechstaedt, der seit vielen Jahren Stalkingopfer vertritt, weiß : " Leider machen sie oft dieselben Fehler. " Der erste Impuls ist häufig, die Bedrohung nicht ernst zu nehmen und auf den Stalker einzugehen. Verständlich, ist er doch meist eine nahe stehende Person, in jedem zweiten Fall sogar der Ex-Partner. Experten raten aber, einmal und sehr deutlich zu kommunizieren, dass man keinerlei Kontakt wünscht, und den Stalker fortan zu ignorieren.
" Die Bedeutung dessen ist nicht zu unterschätzen ", sagt Karl-Günther Theobald, Koordinator Medizin / Psychologie der Opferschutzorganisation Weißer Ring. Der nächste Schritt, so Theobald : " Man sollte Bekanntenkreis und Kollegen einweihen, sich Verbündete suchen. So wirkt man dem Ziel des Stalkers entgegen, einen in die Vereinsamung zu treiben. " Experten sind sich einig, dass auch professioneller Beistand unerlässlich ist. Theobald verweist auf die regionalen Präsenzen des Weißen Rings, die gut vernetzt seien und so Opfern nicht nur ein offenes Ohr und Beratung bieten, sondern sie auch weitervermitteln können, etwa an Traumatherapeuten. Volkmar von Pechstaedt plädiert zudem dafür, sich früh einen Anwalt mit einschlägiger Erfahrung zu suchen und keinesfalls ohne rechtlichen Rat gegen den Stalker vorzugehen.
Da beim Stalking die Beweislast beim Opfer liegt, rät er dringend, E-Mails und SMS " vom ersten Verdacht an " zu archivieren und jeden Vorfall zu dokumentieren. Wichtig seien auch sofortige schriftliche Zeugenaussagen, um zu vermeiden, dass etwa Bekannte, die einen Vorfall miterlebt haben, sich später nur noch bruchstückhaft erinnern. Um gesundheitliche Schäden zu belegen, solle man sich ein ärztliches Attest ausstellen lassen, das nicht nur physische und psychische Erkrankungen festhält, sondern diese auch dem Stalking zuordnet.
Seit 2007 gilt Stalking als Straftat. Zuvor reagierten Polizei und Justiz meist erst, wenn der Stalker über Psychoterror hinausging, das Opfer etwa körperlich verletzte. Mit dem neuen Gesetz sei das besser geworden, so Theobald, " aber es ist immer noch schwer, bei der Polizei eine Anzeige durchzukriegen ". Der Psychologe empfiehlt deshalb, Hilfseinrichtungen um Beistand zu bitten – beispielsweise den Weißen Ring oder andere lokale Beratungsstellen, mit denen die Organisation zusammenarbeitet. Die Polizei könne unter Umständen schon viel erreichen, etwa wenn sie den Stalker ermahnt, seine Handlungen einzustellen : " Das kann durchaus zum Erfolg führen. "
Die Staatsanwaltschaften aber, sagt Anwalt von Pechstaedt, erwarteten für eine Anklage oft extreme Voraussetzungen wie Körperverletzung oder Arbeitsplatzverlust ; Verfahren würden meist eingestellt. Wenn es doch zur Verurteilung komme, dann meist nur mit geringer Geldstrafe. Zudem sei es seit 2009, seitdem Stalkingopfer sich nicht mehr an Zivil-, sondern an Familiengerichte wenden müssen, sehr viel schwieriger geworden, über einstweilige Anordnungen Kontaktverbote zu erwirken. Und gegen psychisch gestörte Stalker, sagt der Anwalt, " kann juristisch nichts unternommen werden, solange sie keine schwere Straftat begehen ".
Stalkingopfer sehen sich also mit einer doppelten Belastung konfrontiert : Nicht nur mit dem Stalker selbst, sondern auch mit einem System, das sie zwingt, sich intensiv mit ihm auseinanderzusetzen, obwohl sie am liebsten nichts mit ihm zu tun hätten. " Wenn man gegen Stalker angehen will, muss man einiges vom Mandanten fordern ", sagt Volkmar von Pechstaedt. " Das bedeutet vor allem aktive Mitarbeit, große psychische Belastung, aber natürlich auch finanziellen Aufwand. " Bei alldem können Opfer allerdings Unterstützung bei Organisationen wie dem Weiße Ring finden.
Es bleibt die Frage, ob man es vermeiden kann, zum Stalkingopfer zu werden. " Ganz vorbeugen kann man nicht ", sagt Karl-Günther Theobald. " Klar ist aber : Je früher ich interveniere, desto bessere Chancen habe ich, da schnell wieder rauszukommen. " Um das Risiko zu mindern, helfe es sicher, seine Telefonnummer nicht zu veröffentlichen, generell " pfleglich mit den eigenen Daten " umzugehen. Auch von Pechstaedt rät vor allem dazu, " nichts von Belang " über sich selbst ins Internet zu stellen : " Stalker sind Jäger und Sammler. Sie sammeln alles über ihre Opfer. "