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Blick zurück Wörter der 70er und 80er: Fußgängerzone und Waldsterben

Welche Begriffe nahm der Duden in den 70er und 80er Jahren erstmals auf? Zwei neue Bücher geben Einblick in deutsche (Wort-)Geschichte und erzählen von Punks und Poppern, Softies und Yuppies, Fußgängerzonen und Waldsterben.

Von Gregor Tholl, dpa 14.10.2019, 15:52

Berlin (dpa) - Retroreise mit Wörtern: Plattenbau, Ölkrise, Ostpolitik, RAF, Schlaghose, Disco und Bürgerinitiative - typische Begriffe der 70er Jahre; Aerobic, Gruftis, NDW, Butterberg, Privatfernsehen, Schulterpolster und Mauerfall - ganz klar: die 80er. Jede Zeit hat ihre Ausdrücke, die ins Wörterbuch aufgenommen werden.

Laut einer vor bald vier Jahren gemachten YouGov-Umfrage sind die 80er Jahre das Lieblingsjahrzehnt der Erwachsenen in Deutschland, gefolgt von den 70ern.

Der Autor Hans Hütt (66) hat zwei neue Bücher über Wörter verfasst, die in diesen beiden Jahrzehnten den Weg in den Duden fanden: "Die 70er - Ein Jahrzehnt in Wörtern" und "Die 80er - Ein Jahrzehnt in Wörtern" sind im Dudenverlag erschienen. Schon im Frühling ging es um die beiden Dekaden davor. Mit jeweils hundert Wörtern stellte der Autor die 50er und 60er Jahre vor.

Für Herbst 2020 plant Hütt, der als freier Journalist für Medien wie die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", "taz" und "Freitag" schreibt, einen weiteren Band. "Ob die 90er nächstes Jahr in Angriff genommen werden, hängt von der Resonanz auf die ersten vier Bände ab."

Der Autor erläutert: "Der Dudenverlag hat eine Datenbank, aus der hervorgeht, wann welches Lemma erstmals in den Duden aufgenommen worden ist, das gilt auch für neu hinzukommende Bedeutungen und Verwendungsweisen." Mit "Lemma" bezeichnet die Linguistik die Grundform eines Wortes, unter der Leser einen Begriff in einem Nachschlagewerk finden. Hütt sagt, er habe sich an der Datenbank bedient und zusätzlich in Zeitschriftenarchiven recherchiert. Er habe umfangreiche Dossiers angelegt und daraus seine etwa 1000 Zeichen umfassenden Beiträge zu den Begriffen verfasst.

So schreibt Hütt feuilletonistisch zum 70er-Wort "Fußgängerzone": "Ihre Geburtsstunde schlägt, als die automobilisierte Stadt sich als Ideal durchgesetzt hat. Nun wird dem Fußgänger (...) eine eigene Zone eingerichtet, während die andere Zone, die sogenannte DDR, weiter auf winddurchwehte breite Straßen setzt, in denen die Partei- und Staatsführung das Volk paradieren lässt." Und zum "Piktogramm" heißt es: "Otl Aicher, einer der Gründer der Ulmer Hochschule für Gestaltung, entwirft für die Olympischen Sommerspiele 1972 in München eine Serie von Piktogrammen, die seither als Klassiker gelten."

In der Rubrik Wohnen (mit Wörtern wie "Flohmarkt" und "Heimwerker") heißt es zum strubbeligen Teppich "Flokati": "Er gilt als flauschige Absage an die Wisch-und-weg-Kultur der Älteren." Beim Essen der 70er geht es um "Bratschlauch", "Schlauchmilch" und "Mettigel", bei Kultur und Unterhaltung um "Glamrock", "Kassettenrekorder" und "Trimm-dich-Pfad".

Typische 70er-Wörter sind auch "Sponti" ("sind es satt, persönliche Interessen der Revolution zuliebe zurückzustellen"), "Softie" ("findet für seine Gefühle mehr Worte als andere Männer") und "Punks" ("In einer Welt, in der Optimismus als Bürgerpflicht gilt, wirkt die Subkultur der Punks als Gotteslästerung").

Auch das Bundesausbildungsförderungsgesetz - besser bekannt als "Bafög" ("Endlich gibt es auch für Arbeiterkinder die Chance zu studieren") - gelangte in den Duden. Neu ist damals auch das Wort "verkopft" ("Hinter dem Vorwurf des Verkopften verbirgt sich eine Haltung, die sprachliche Differenzierung nicht akzeptiert").

Vielsagend ist die psychoanalytische "Trauerarbeit": "Willy Brandts Kniefall vom 7. Dezember 1970 in Warschau ist ein Akt stellvertretender Trauerarbeit."

Fast 50 Jahre später ist angesichts der heutigen Klimadebatten das Wort "Wachstumsgrenzen", das auf die mahnenden Wissenschaftler des Club of Rome zurückgeht, wieder hochaktuell. Und auch das nach wie vor gefragte "Umdenken" steht seit damals im Duden: "Es bezeugt Zweifel am bisherigen Denken und verspricht einen Richtungswechsel (...) Kein Wunder, dass das Wort bei Vordenkern der Ökologie, der Ökonomie und der Pädagogik beliebt ist."

Auch in den 80er Jahren kamen viele ernste Wörter auf: das "Waldsterben" zum Beispiel ("Die Folgen des sauren Regens und des Ozonsmogs: 1984 sind über 50 Prozent der deutschen Wälder schwer geschädigt, abgesehen von der Verwüstung, die der real existierende Sozialismus im Wald des Riesengebirges anrichtet"). Ins Wörterbuch gerieten auch Begriffe wie "Neonazi", "Aids" und "Langzeitarbeitslose" ("Das wiedereinsetzende Wirtschaftswachstum entkoppelt sich vom Arbeitsmarkt").

Neu sind damals auch "Grüne" ("Als sie die politische Bühne betreten, wirken sie wie ein bunter Haufen schräger Vögel") und der "Computerfreak" ("Sie Freaks zu nennen, bezeugt das für manche Befremdliche ihres Tuns, das sie an die Bildschirme fesselt").

Außerdem bestimmen die 80er Typen wie "Popper" ("Wichtig ist ihnen, dass die Marken stimmen") und "Yuppies": "Der adrette Auftritt des "young urban professionals" drängt den Schlendrian der Hippies, Punks und anderer Gegenkulturen an den Rand."

Hans Hütt: Die 70er - Ein Jahrzehnt in Wörtern, 128 Seiten, 12 Euro, ISBN 978-3-411-74244-8
Hans Hütt: Die 80er - Ein Jahrzehnt in Wörtern, 128 Seiten, 12 Euro, ISBN 978-3-411-74245-5
Bereits im Frühjahr erschienen:
- Hans Hütt: Die 50er - Wörter eines Jahrzehnts, 128 S., 12 Euro, ISBN: 978-3-411-74242-4
- Hans Hütt: Die 60er - Ein Jahrzehnt in Wörtern, 128 S., 12 Euro, ISBN: 978-3-411-74243-1

Duden.de

Christine Pfund
Christine Pfund
dpa
Rolf Haid
Rolf Haid
dpa