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Meister surrealer Collagen Promi-Geburtstag vom 29. Juni 2017: Ror Wolf

Als "Fußball-Poet" und "Wortmusiker" hat sich Ror Wolf an großen Themen und scheinbaren Nebensachen wie dem Fußball abgearbeitet. Auch wenn das zu seinem 85. Geburtstag Vergangenheit ist - an seinem umfangreichsten Projekt arbeitet er noch.

Von Christian Kretschmer, dpa 28.06.2017, 23:01

Mainz (dpa) - Die "Schmach von Córdoba", die die deutsche Fußball-Nationalmannschaft 1978 gegen Österreich erleidet, wird für Ror Wolf zur Sternstunde. Als einer der ersten Intellektuellen widmet er sich dem Volkssport Fußball, auf seine ganz eigene Weise.

Der Autor nimmt Kommentarfetzen und Interviewpassagen und setzt sie zu amüsanten Hörspiel-Collagen zusammen. Mit Werken wie "Cordoba Juni 13 Uhr 45" wird er so als "Fußball-Poet" bekannt. Doch Wolf ist mehr als das - er wirkt als Schriftsteller, Lyriker, bildender Künstler. Am Donnerstag (29.6.) wird er 85 Jahre alt.

Seit mehr als 25 Jahren lebt Ror Wolf in Mainz. Die Stadt habe er seit fünf Jahren nicht mehr verlassen, sagt Wolf. Er sei nach einer schweren Operation gesundheitlich angeschlagen. Zuvor war er rastlos: Über 30 Mal ist er umgezogen, wohnte in New York, London, Frankfurt. Lässt sich die Arbeit mit Collagen auf seine zahlreichen Lebensstationen beziehen? "Das weiß ich, dass das so ist", sagt Wolf. "Das ergibt sich notwendigerweise aus so einem Leben."

1932 wird Ror Wolf in Thüringen geboren. Bevor er 1953 die DDR verlässt, arbeitet er zwei Jahre als Bauarbeiter, seine Bewerbungen zum Studium werden zunächst abgelehnt. 1954 beginnt er in Frankfurt Literaturwissenschaft, Soziologie und Philosophie zu studieren. Sein erstes Buch, der Roman "Fortsetzung des Berichts", erscheint 1964, eine auf Papier gebrachte Traumlandschaft in Anlehnung an Franz Kafka.

Anfang der 70er Jahre betritt er ein ganz anderes Terrain: die Fußballstadien. Vor allem aus dem Stadion der Frankfurter Eintracht schreibt er Texte und nimmt Radiostücke auf, die ihn bekannt machen. In seiner Jugend sei ihm Fußball noch fremd gewesen, erzählt Wolf. Den Sport lernt er bei Fans in Stuttgart kennen, wo er als Hilfsarbeiter tätig ist. Die Weltmeisterschaft 1954 habe dort "Bewegung in die Köpfe gebracht". 

Bewegung in die Köpfe bringt Wolf selbst durch seine Prosa- und Poesie-Texte, die immer wieder herausfordern und die Erwartungshaltung des Lesers brechen. So veröffentlicht er 2012 den Horror-Roman "Die Vorzüge der Dunkelheit", in dem er den Ich-Erzähler auf einen surrealen Streifzug durch Absteigen und Kaschemmen schickt. Anlässlich seines 85. Geburtstags erscheint ein Sammelband mit seinen Gedichten - die sind mal komisch, mal melancholisch, bleiben aber überraschend.

Skurril bis grotesk sind die meisten seiner Bücher. Immer wieder beschäftigt er sich mit der Welt und ihrer Wirklichkeit und dem Auseinanderdriften von beidem. Eine allgemeinverbindliche Wirklichkeit gebe es für ihn als Autor ohnehin nicht, sagt Wolf. Es zählt vor allem das Erlebte: "Die Realität ist eine Mischung, die im Laufe der Jahre zustande kommt." Sein rhythmischer Umgang mit der Sprache verschafft ihm in der Literaturkritik den Beinamen "Wortmusiker". Ein Kompliment, das ihm "sehr recht" ist.

Vielfach wird er für seine Werke ausgezeichnet, zuletzt etwa 2016 mit dem Schiller-Gedächtnispreis des Landes Baden-Württemberg. Die Jury urteilte: "Für die zersplitterte Gegenwart, in der wir leben, hat Ror Wolf wie kein anderer literarische Formen entwickelt, die mit den tröstlichen Verbindlichkeiten des konventionellen Erzählens nichts zu tun haben."

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) würdigt sein Werk als einmalig: "Ror Wolfs unverwechselbarer Ton, seine besondere Beobachtungsgabe und seine Fähigkeit, Alltagsthemen eine neue Dimension zu verleihen, machen sein literarisches Werk einmalig."

Auch als bildender Künstler betätigt sich Wolf, schafft auch hier - wie könnte es anders sein - Collagen. Surreal wie in den Büchern geht es zu, Wolf überträgt das Spiel mit dem Verfremden ins Optische. Seine Arbeit an den Bildcollagen sei aber nur eine "gewollte Nebenbeschäftigung" sagt er, ein Ausgleich zum Schreiben.  

Derzeit arbeitet Wolf an seiner Biografie. "Ich verstehe das nicht mehr als Arbeit", sagt er. "Ich bin dabei, mich auszuruhen." Dafür geht er Notizen und Bücher durch. In 85 Jahren habe sich so einiges angesammelt. Wann die Biografie abgeschlossen ist? "Ich bin mittendrin", sagt Wolf.

Website über Ror Wolf