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Neues Projekt Filzen auf Deutsch ist Integration

Ein Dutzend Frauen aus Afghanistan und Indien lernt in einem „Filzwerkstatt“-Projekt weit mehr als die alte Handwerkstechnik.

Von Egmar Gebert 25.07.2015, 02:00

Stendal l Sunita Shah kommt aus Indien, Razie Bashiri war in Afghanistan zu Hause. Beide Frauen leben nun in Deutschland, sind dabei, in Stendal eine neue Heimat zu finden, anzukommen. Dazu gehört für sie und zehn weitere Frauen aus diesen beiden Ländern auch, sich vom Montag bis zum Freitag einer jeden Woche in einer zur kleinen „Werkstatt“ umgestalteten, ehemaligen Wohnung in der Stadtseeallee zu treffen. Seit zwei Wochen lernen sie dort, Schafwolle zu filzen, daraus schöne Dinge zu formen. Und sie lernen „nebenbei“ noch sehr viel mehr: in der Gemeinschaft zu arbeiten, Wertschätzung für diese Arbeit zu erfahren, und nicht zuletzt die deutsche Sprache und den praktischen Umgang mit ihr. Letzteres geschieht vor allem durch die und während der täglichen vier Stunden Arbeit in der Filzwerkstatt. Ob Eleonore Loof von der Freiwilligen-Agentur, die das praktische Projekt leitet, ihre Kollegen Henning Sander und Ingetraut Sanftleben oder Stefanie Wischer, die das Dutzend Frauen mit den Techniken des Filzens vertraut macht: sie alle reden ausschließlich deutsch mit ihren neuen Kolleginnen, erklären auf Deutsch, geben Ratschläge auf Deutsch, helfen ihnen beim Erledigen von Einkäufen auf Deutsch, zeigen ihnen das Wohngebiet und die Stadt – auf Deutsch. „Handlungsbegleitendes Erlernen der deutschen Sprache“ nennt das Hans-Jürgen Kaschade. Er hatte die Idee zu dem Filzwerkstatt-Projekt, das von der Kaschade-Stiftung finanziert wird.

Warum das Erlernen der Sprache so wichtig ist, erklärt Daniel Jircik: „Es kommen immer mehr Migranten auch zu uns, wohnen bei uns. Da ist Integration das große Thema, und dazu braucht es Kommunika- tion. Da ist die deutsche Sprache ganz wichtig. Ohne sie geht es nicht.“ Der SWG-Geschäftsführer ist ein Teil des Netzwerkes, das dieses Projekt umsetzt, es im kommenden halben Jahr tragen und begleiten wird. Für Jircik war es keine Frage bei diesem Projekt mitzumachen, als Hans-Jürgen Kaschade ihn ansprach. „Wir haben das Projekt bewusst als das eines Netzwerkes angelegt, weil wir der Ansicht sind: Wenn jeder für sich allein etwas tut, wird das nichts. Wir müssen es gemeinsam angehen“, so der Initiator.

Ein Netzwerk also, in das auch die Stadtwerke eingebunden sind. Unternehmenssprecher Rolf Gille: „Es passt zu unserem sozialen Engagement, ist ein ganz wichtiger Beitrag zum Zusammenleben. Herr Kaschade musste also keine große Überzeugungsarbeit leisten.“ Die Stadtwerke liefern Strom, Wasser und später auch Heizenergie für das Filzwerkstatt-Projekt. Mit im Boot ist zudem die Stendaler Hochschule: Prorektor Wolfgang Patzig: „Wir haben ein wenig zur Ausstattung beigetragen. Künftig werden wir Studierende einbeziehen, die sich jetzt bereits in verschiedenen Projekten dem Thema Integration widmen.“

Und auch bei der Freiwilligen-Agentur rannte Projektvater Hans-Jürgen Kaschade „offene Türen ein“, wie es deren Chefin Marion Zosel-Mohr ausdrückt. „Für so ein Projekt braucht es engagierte Leute. Da war die Frage ‚Wer macht es?‘ schnell beantwortet. Solche Leute finden Sie bei uns.“

Das Wissen darum war ein, aber nicht der einzige Grund, warum Hans-Jürgen Kaschade auf die Freiwilligen-Agentur zuging. Hier lebt das Ehrenamt und das Filzwerkstatt-Projekt sollte genau hier angesiedelt werden, zwischen Ehrenamt und Wirtschaft. Den Teilnehmern würden so Dinge vermittelt, die wesentlich sind für das Funktionieren unserer Gesellschaft, erläutert Kaschade. Zum einen ist es das ehrenamtliche Engagement, zum anderen das Arbeitsleben, das Schaffen und Vermarkten von Werten.

Aus letzterem Grund wird die Filzwerkstatt der Migrantinnen auch einen Basar organisieren, auf dem ihre Produkte verkauft werden. Die Erfahrung, dass ihre Arbeit einen Wert hat, soll für die Frauen erlebbar werden.

„Dieses Projekt soll ein Modell sein. Wir wollen daraus für künftige Projekte lernen, die wir versuchen, für Menschen anzukurbeln, die zu uns kommen. Bis Dezember läuft dieses erste Beschäftigungsprojekt. Danach werden wir uns zusammensetzen und Antworten auf Fragen suchen, die da zum Beispiel wären: Was können wir leisten und was den Teilnehmern solcher Projekte zumuten? Schließlich sollen beide Seiten davon profitieren. Und dann sind wieder wir als Unternehmer gefragt, neue Ideen zu entwickeln.“

Dass dieses erste Netzwerk- Beschäftigungsprojekt ein erfolgreiches werden könnte, scheint sich jetzt bereits abzuzeichnen. Das Dutzend Frauen der Filzwerkstatt versteht sich gut. Die lockere Atmosphäre spricht dafür.

Und dass sie ihre Begabungen und Fähigkeiten mit einbringen, selbst Gestaltungsideen entwickeln können, trägt dazu bei, dass sie Freude an ihrer Arbeit haben. So wie Razie Bashiri. Sie stickt für ihr Leben gern und wird die gefilzten Unikate mit ihren Stickereien verzieren.