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Co-Pilot Ein Hoch auf den Busfahrer

Die Volksstimme-Redakteure haben einen Tag hinter die Kulissen anderer Jobs geschaut, dieses Mal bei Busfahrer Ronald Seidel in Burg.

Von Susanne Klose 05.10.2018, 08:00

Burg l „Boah, krass, guck dir das an!“ Ja, das mache ich. Aber nur aus der Ferne. Es ist Schulschluss am Burger Roland-Gymnasium. Ein Haufen Schüler und Schülerinnen wartet an der Haltestelle Rolandgymnasium/Brüderstraße an einer der vier Haltestellen. Und ich bin mittendrin. Die Stimmung ist ausgelassen bis übermütig, irgendwann fliegt eine Dose Limo auf die Straße. Die Schüler lachen. 14.07 Uhr. Der Bus kommt. Mein Bus. Zumindest heute.

Mit der 745 fahre ich von Burg nach Genthin. Natürlich nicht selbst, dafür fehlt mir leider der Führerschein. Aber quasi als Co-Pilotin von Herrn Seidel. Das verrät mir das hellgrüne Schild direkt vorne bei der Eingangstür. Herr Seidel heißt mit Vornamen Ronald, ist 59 Jahre alt, fährt insgesamt seit 20 Jahren Bus und sitzt an diesem sonnigen Tag hinter dem Lenkrad „meiner“ 745.

Ich sitze zwar nicht dahinter, aber fast. Also, rechts schräg hinten daneben. Immerhin ganz vorne. Gut gelaunt lächele ich voller Elan die Schüler an und ... nichts. Kein Hallo, Guten Tag oder nur den leisesten Anflug eines Lächelns. Stattdessen Fahrkarten im Anschlag, schnurstracks in den hinteren Teil des Busses. Mein Blick wandert zu Herrn Seidel. „Ja, so ist das eben. Die wenigsten sagen auch nur Hallo.“ Sagt er, zuckt mit den Schultern und drückt den Knopf. Tür zu und ab geht‘s nach Genthin.

Schon nach wenigen Minuten bin ich froh, dass das nicht meine Hände am Steuer dieses fahrenden Ungetüms sind. Für mein Kleinwagen-gewöhntes Augenmaß sind die Straßen Burgs viel zu eng und unübersichtlich für einen Bus. Ronald Seidel meistert die Ecken im tätowierten Handumdrehen. Die Schüler rechts hinter mir im Vierersitz interessieren seine Fahrkünste nicht. „Ey guck mal, kennst du die?“, fragt das Mädchen mit dem Zopf ihre Nachbarin. „Ne, kenn ich nicht.“ Die Blicke gehen zurück auf das jeweilige Smartphone. Weiter hinten im Bus sitzt noch eine ältere Dame. Den Blick aus dem Fenster in die Ferne gerichtet. Woran sie wohl denkt? Eine alte Jugendliebe?

„Na, heute ist wirklich nicht viel los“, reißt mich mein ganz persönlicher Busfahrer aus den Gedanken. „Normalerweise ist es relativ laut. Da hilft es nur noch, die Ohren auf Durchzug zu stellen.“ Viel machen darf er da eh nicht. Und kann er auch nicht, denn was für mich so leicht aussieht, erfordert viel Konzentration und einen guten Orientierungssinn. Säße ich am Steuer, ich wäre schon längst in den Irrungen und Wirrungen des Jerichower Lands verloren gegangen.

Straße hoch, Straße runter, immer wieder grüßt Ronald Seidel Taxifahrer, Müllmänner im Fahrzeug – man kennt sich. Ich wiederum lerne ganz neue Ecken von Burg und seiner Umgebung kennen. Immer tiefer sinke ich in meinen rot-weiß gemusterten erste-Reihe-Platz. Inmitten durch grüne Bäume geht es weiter auf dem grauen Asphalt über Parchen vorbei an der Leinölmühle über Wiechenberg bis nach Genthin. Ronald Seidel macht pro Tag rund sieben Fahrten zwischen 1,5 bis zwei Stunden, erzählt er mir. Ankunft am Genthiner Bahnhof. „Wir machen hier jetzt eine Pause“, erklärt mir Ronald Seidel. Er parkt den Bus ein Stück weiter. Bus aus, Zigarette an.

„Hier hatte ich auch meinen bisher schlimmsten Moment als Busfahrer“, verrät der 59-Jährige zwischen zwei Zügen. Ein Junge auf einem Fahrrad fuhr ohne auf den Verkehr zu achten an seinem stehenden Bus vorbei – und vor das Auto einer Frau. „Er flog durch die Luft“, erinnert sich Seidel. Und blieb dann auf der Straße liegen. Er sei dann sofort mit Erste-Hilfe-Kasten zu ihm, habe den Notarzt gerufen. „Der Junge wollte aufstehen, mit seinen verdrehten Armen und Beinen. Ich habe seinen Kopf gestützt und ihm gesagt, dass er bloß liegen bleiben soll“, erinnert sich der Busfahrer. Die Zigarette ist aus, weiter geht es mit der heute gar nicht so wilden 745.

In Genthin sammeln wir noch eine handvoll Schüler ein. „Warum hat die eine Kamera“, fragt einer beim Einsteigen. Der Rest kichert. Auch um 15:40 Uhr kein Guten Tag in Sicht. Dann eben nicht.

Ronald Seidel schließt die Tür. Wir fahren der Sonne entgegen zurück nach Burg. Wieder über grüne Straßen, wieder wandern meine Gedanken in Endlosschleifen. Vielleicht ist Busfahren das neue Yoga? Zumindest wenn der Bus beinah leer ist. Für mich endet der meditative Roadtrip am Breiten Weg. Ronald Seidel grüßt zum Abschied. Jetzt kennt man sich.