Volksstimme-Interview mit drei Medizinern des Burger Krankenhauses Diagnose Krebs: "Es lohnt sich zu kämpfen, Depressionen senken Heilungschancen"
Die Diagnose Krebs löst bei Betroffenen einen Orkan an Emotionen aus - Trauer, Wut, Verzweiflung und die Frage, warum gerade ich. Verschiedene Abteilungen des Burger Medigreif-Krankenhauses beschäftigen sich täglich mit Diagnosen und Therapien. Volksstimme-Redakteur Falk Heidel sprach darüber mit drei Medizinern.
Volksstimme: Der heutige 4. Februar ist Weltkrebstag. Die Krebsgesellschaft hat festgestellt, dass dieses Thema noch immer zu häufig tabuisiert wird. Haben wir heute mehr Krebsfälle als unsere Großeltern vor 50 Jahren?
Prof. Paul Janowitz: Eher nicht. Gravierend verändert haben sich die Bedingungen. Die Menschen werden sehr viel älter. Und die Möglichkeiten für die Diagnosen haben sich enorm weiterentwickelt. Fest steht, dass das Risiko an Krebs zu erkranken mit dem Alter zunimmt.
Dr. Martin Lehmann: Es ist heute kein Geheimnis, dass früher Menschen mit oder an Krebs gestorben sind, ohne dass dies jemand bemerkt hat.
Volksstimme: Egal, wo sich die Menschen über Krankheiten unterhalten. Das Thema Krebs und Tumor ist omnipräsent. Viele Leute fragen sich, was hat sich in der Forschung getan? Warum gibt es so selten Heilung?
Dr. Gerd Müller: Dieser Eindruck täuscht. Die Forschung hat sowohl bei Diagnostik als auch Therapie enorm viel verändert. Die Diagnose Krebs ist schon lange kein Todesurteil mehr. Die Menschen leben heute sehr viel länger mit diesem Krankheitsbild. Wenn wir ihn in manchen Fällen auch nicht heilen können, so kann die moderne Medizin unter anderem das Leben des Patienten verlängern.
Prof. Paul Janowitz: Vor einigen Jahren war beispielsweise noch undenkbar, dass Leukämie heute heilbar ist.
Dr. Martin Lehmann: Gleiches gilt für Tumore im Magen-Darm-Trakt. Hier kann die Medizin unter anderem mit chirurgischen Eingriffen sehr erfreuliche Ergebnisse erzielen. Das kann man auch für Befunde an Brust oder Prostata so einordnen. Aber natürlich sind die Heilungschancen abhängig vom Stadium der Krankheit. Statistisch gesehen überleben 62 Prozent der Patienten aller Krebsformen mehr als fünf Jahre. Auch diesen Wert kann man als Erfolg der Forschung werten, weil diese Zahl vor zehn Jahren noch wesentlich kleiner war.
Dr. Gerd Müller: Abgesehen von der Heilbarkeit ist es auch möglich, gewisse Krankheitsbilder zu stabilisieren. Einfacher gesagt, die Mediziner sorgen dafür, dass sich der Krebs nicht vergrößert und ausbreitet. Bei einem Prostata-Karzinom ist es durchaus möglich, dass ein Patient bei gleichbleibender Intensität zehn Jahre lang damit lebt. Und das sogar ohne Chemotherapie und operativem Eingriff. Ähnlich verhält es sich bei Brustkrebs. In solchen Fällen ordnen die Mediziner den Krebs als chronische Krankheit ein.
"Krebs ist ein bösartiger Wachstum, den der Körper aus eigener Kraft nicht besiegen kann."
Dr. Gerd Müller
Dr. Martin Lehmann: Der bedeutendste Fortschritt aus meiner Sicht ist die Tatsache, dass heutzutage verschiedene Fachbereiche intensiv zusammenarbeiten. Sehr viel individueller und komplexer wird die Behandlung festgelegt. Ergebnis einer solchen Konferenz unter den Ärzten der verschiedenen Fachrichtungen ist eine optimale Therapie für den Patienten.
Dr. Gerd Müller: Dabei sind sich die Mediziner weiß Gott nicht immer einig. Da ist der Chirurg mitunter ganz anderer Meinung als der Onkologe. Unterm Strich ist es dann eine komplexe Methode, die für den Patient das beste Ergebnis verspricht. Ein Komplex wäre beispielsweise zunächst eine Chemo, dann eine Operation und danach eine weitere Chemo. Solche Fragen werden tatsächlich individuell für den Betroffenen festgelegt.
Volksstimme: Stellen Sie sich vor, Sie sollen einem fünfjährigen Knirps aus dem Kindergarten den Begriff "Krebs" erklären.
Dr. Gerd Müller: Krebs ist ein bösartiges Wachstum, das der Körper nicht will und nicht aus eigener Kraft besiegen kann. Solche Veränderungen im Gewebe breiten sich häufig ganz schnell aus.
Dr. Martin Lehmann: Die bösartigen Krebszellen breiten sich aus, bis einzelne Organe ausfallen.
Volksstimme: Sind die Ursachen für Krebserkrankungen bekannt?
Prof. Paul Janowitz: Nicht in jedem Fall. Aber wir wissen zum Beispiel, dass Alkoholkonsum und Übergewicht das Krebsrisiko um das 20-fache erhöht. 95 Prozent der Lungenkrebs-Patienten sind aktuelle oder ehemalige Raucher. Ein ganz wichtiger Indikator ist zudem die Familiengeschichte. Wer beispielsweise einen Darmkrebs-Betroffenen in der Familie hat, sollte jede Voruntersuchungs-Möglichkeit nutzen.
"Schwache Akzeptanz der Vorsorgeuntersuchungen. Frauen gewissenhafter als Männer"
Prof. Paul Janowitz
Dr. Gerd Müller: Umweltfaktoren spielen bei der Krebsursache auch eine erhebliche Rolle. Oft sind Bergarbeiter überproportional gefährdet, weil sie mit Strahlungen in Kontakt kommen. Tankwarte kommen mit schädlichem Benzol in Berührung. Asbest-Risiken treten bei Bauarbeitern auf.
Volksstimme: Was kann jeder Einzelne tun, um sein Krebsrisiko zu minimieren?
Prof. Paul Janowitz: Über gesunde Lebensweise haben wir schon gesprochen. Auch Sport wirkt sich positiv aus. Leider ist die Akzeptanz für Vorsorgeuntersuchungen noch nicht so wie gewünscht. Frauen sind diesbezüglich sehr viel gewissenhafter als Männer.
Dr. Gerd Müller: Neben der Früherkennung, hierzu gehört auch die Mammografie, sollte jeder ab und an in sich hineinhorchen und bestimmte Symptome ernstnehmen. Wenn ein plötzlicher Leistungsabfall auftritt oder eine unbegründete Gewichtsabnahme, sollten die Anzeichen von einem Arzt abgeklärt werden. Das gilt auch für Veränderungen beim Stuhlgang oder für Blut im Urin. Das alles können Vorzeichen einer Krebserkrankung sein, müssen aber nicht.
Volksstimme: Welche Rolle spielt die psychische Verfassung des Patienten bei der Behandlung?
Prof. Paul Janowitz: Eine große Rolle. Betroffene mit Depressionen haben definitiv geringere Heilungschancen. Daher hat eine psychosomatische Betreuung der Patienten einen sehr, sehr hohen Stellenwert. Es lohnt sich zu kämpfen - jeder Zweite überlebt mit Sicherheit.
Dr. Martin Lehmann: Ich bin fest davon überzeugt, wer offensiv und positiv mit dieser Krankheit umgeht, hat beste Aussichten auf Erfolg. Das gilt aber auch für die Zeit nach erfolgreicher Behandlung. Da sind Rehabilitations-Kuren ein gutes Instrument.
Dr. Gerd Müller: Wir hatten schon Patienten, die trotz Chemo ihrer Arbeit nachgegangen sind. Solche Menschen sind in der Regel hochmotiviert und nicht nur im Job, sondern auch bei der Therapie sehr erfolgreich.
Dr. Martin Lehmann: Auch Selbsthilfegruppen sind ein gutes Instrument, die Diagnose Krebs zu verarbeiten und damit umzugehen. Nicht selten richten sich die Patienten hier gegenseitig auf. Mitunter profitiert einer von den guten Nachrichten des anderen als Motivation. Derzeit befindet sich eine neue Selbsthilfegruppe an der Klinik in Gründung.