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Erkrankung Eddi Boek und das Chromosom 22q13

Der 58-jährige Burger Eddi Boek leidet seit seiner Kindheit am Phelan-Mc-Dermid-Syndrom. Das ist eine in Europa nur seltene Krankheit.

Von Mario Kraus 12.01.2020, 04:00

Burg l Eddi, wie ihn in Burg viele nennen, sitzt mit seiner Schwester Manuela auf der Couch in seinem Wohnzimmer. Beide schauen sich Bilder von vergangenen Reisen an. Ob Ostsee oder in der näheren Umgebung – Eddi fühlt sich auf solchen Touren immer wohl und lacht viel. „Schön war’s“, sagt er – als würde er am liebsten gleich wieder losziehen. Denn das ist seine Welt. Immer auf Achse sein. In Burg mit seinem Fahrrad kennt ihn fast jeder. Eddi legt schon mal 20, 30 Kilometer am Stück zurück. Nicht etwa, weil der Wille zum Sport ihn dazu treibt; nein, der Bewegungsdrang ist in diesem Fall mit die auffälligste Form einer Krankheit, die es in Europa nur ganz selten gibt – das Phelan-Mc-Dermid-Syndrom, kurz PMD und nach der amerikanischen Ärztin Kathy Phelan benannt.

Wissenschaftlich ausgedrückt fehlt Eddi am Chromosom 22 ein Stück des Langen Arms (22q13). „Das hat letztlich ganz unterschiedliche Folgen“, sagt Manuela Boek, die ihren Bruder betreut und sich intensiv mit der Krankheit auseinandersetzt. Mal ist Eddi ganz außer sich und unternehmungsfreudig, dann auch wieder in sich gekehrt und andere Male auch laut und aufbrausend. „Die Phasen ändern sich“, sagt die 60-Jährige und streicht ihren Bruder über die Schulter. Eddi merkt, dass über ihn gesprochen wird und lächelt ... Immer wieder schaut er sich die Fotos an. Erinnerungen kommen hoch. Darüber zu erzählen fällt ihm jedoch schwer. Aber Manuela Boek weiß damit umzugehen, und beide verstehen sich auch ohne viele Worte. „Vor allem, weil ich seine Entwicklung miterlebt und begleitet habe“, sagt die Burgerin.

Dass Eddi an dieser Krankheit leidet, ist erst seit sieben Jahren bekannt, als eine Ärztin am Institut für Humangenetik der Magdeburger Uni-Klinik nach intensiven Untersuchungen darauf stieß. Die Jahre davor sind die Mediziner davon ausgegangen, dass er eben ein Spätentwickler sei. An eine normale Schulausbildung war deshalb nicht zu denken.

Jetzt aber, nach weitergehenden Forschungen an der Universität und am Reha-Klinikum Ulm, wurde der genetische Defekt festgestellt. Und nun gibt es auch Gewissheit, dass die Krankheit nicht heilbar ist, sondern oftmals mit verschiedensten ergotherapeutischen und physiotherapeutischen Methoden gelindert werden kann. „Man muss Eddi so nehmen, wie er ist und mit ihm seine Stärken entwickeln“, sagt Manuela Boek und blickt auf die medizinischen Unterlagen. Darin ist zu lesen, dass das PMD auch bei Kindern auftritt und auch bei ihnen ganz oft erst nach Jahren der Ungewissheit erkannt wird. Mittlerweile existiert eine Art deutschlandweite Selbsthilfegruppe, die sich regelmäßig trifft und Erfahrungen austauscht.

Und Manuela Boek ist auch froh, dass Eddi bei der Lebenshilfe in Burg nicht nur eine Beschäftigung gefunden hat, sondern in seiner Wohnung qualifiziert betreut und begleitet wird. Bei diesen Worten strahlen Eddis Augen. Denn als Beifahrergehilfe ist er nicht nur zuverlässig zur Stelle, sondern packt auch schnell mit an, ohne dass ihn jemand drängeln muss. „Er steht seinen Mann und fühlt sich gebraucht“, bestätigt Norbert Krüger. Er ist Betreuer bei der Lebenshilfe und speziell in dem Block in der Wilhelm-Kuhr-Straße, wo auch Eddi lebt. Die Bewohner dort sollen sich nicht nur wohl fühlen, sondern, so weit es geht, auch ein eigenständiges Leben führen und gleichzeitig Unterstützung im Alltag finden.

Eddi jedenfalls hat sich gut eingelebt, ist kontaktfreudig und weiß, dass seine Schwester mindestens ein-, zweimal die Woche vorbei schaut und sich Zeit für ihn nimmt. „Manchmal treffe ich ihn auch in der Stadt, wenn er wieder mal auf Achse ist“, sagt sie. „Ja, mit dem Fahrrad“, ergänzt Eddi.