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Schule In Trauer in die Sommerferien

Der Tod eines Mitschülers hat an der Berufsbildenden Schule "Conrad Tack" in Burg alles geändert. Es gibt Mobbing-Vorwürfe.

Von Andreas Mangiras 28.06.2018, 01:01

Burg/Jerichow l Der Vater wirkt in diesem Moment äußerlich gefasst. Im Inneren dürfte es ihn vor Schmerz regelrecht zerreißen. Es seien diese vielen offenen Fragen, die ihn zusätzlich verzweifeln ließen. Ein Unglück hat die Familie getroffen. Der 19-jährige Sohn hat sich in der Berufsschule in Burg (BBS) am 12. Juni aus dem Fenster gestürzt. Den Sturz aus dem 4. Stockwerk überlebte er nicht.

Warum konnte es dazu kommen? Hat niemand etwas bemerkt? „Es hat Hilferufe gegeben“, sagt der Vater der Volksstimme mit leiser klarer Stimme. Von wem alles und wer genau diese Signale nicht vernommen haben soll, damit werde sich eventuell ein Anwalt der Familie beschäftigen. Der Vater sieht die Schule in einer besonderen Verantwortung, so oder so. Nur noch so viel: „Man kann und darf nicht einfach darüber hinweggehen.“

Das Bildungsministerium habe die Schule in den vergangenen Tagen intensiv begleitet, sagt Stefan Thurmann. „Ab dem ersten Tag waren die Schulpsychologen tätig. Aus unserer Sicht läuft dort alles in vernünftigen Bahnen. Und dennoch soll es nach den Sommerferien weitere Maßnahmen geben“, kündigt der Ministeriumssprecher an. Auf Empfehlung der Schulpsychologen soll ein anerkannter Experte zum neuen Schuljahr in die Berufsschule geschickt werden. „Die Schule braucht jetzt in erster Linie einmal Ruhe. Das heißt nicht, dass irgendetwas ungeklärt bleiben soll.“

Wer dieser ausgesprochene Fachmann sein soll, lässt Thurmann offen. „Wir kennen den Polizeibericht noch nicht, die Untersuchungen laufen. Somit kennen wir auch die genauen Bedarfe nicht. Auf jeden Fall wird der Experte die nötige Sensibilität mitbringen, er ist pädagogisch und psychologisch besonders ausgebildet. Bei seiner Arbeit in der Schule können Konflikte eine Rolle spielen, kann Mobbing eine Rolle spielen, kann Wertschätzung eine Rolle spielen.“ Die Schulleitung sei über das Vorhaben des Ministerium informiert und halte diese für sinnvoll. „Der Schule wird nichts übergestülpt.“

Die Einrichtung wird von 1500 Schülern besucht. „Die Schule ist alles andere als klein. Da können schon einmal Konflikte auftreten.“

Durch die Gespräche der Schulpsychologen mit Schülern gebe es bereits erste Einblicke. „Es ist wie ein Puzzle, das zusammengesetzt werden muss“, meint Thurmann. Eines lasse sich schon mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit sagen: „Bis zu dem tragischen Todesfall hat es keine Meldungen gegeben, auf die man hätte reagieren können, um das Unglück zu verhindern. Das heißt nicht, dass es keine Probleme gegeben haben kann. Inwieweit Dinge vorgefallen sein können, die nicht ausreichend gewichtet wurden, muss nun genau betrachtet werden.“

Die Schulpsychologen hätten ab dem ersten Tag viele Einzelgespräche geführt. Der Bedarf war groß.

Wie die Arbeit vom Experten des Ministeriums aussehen wird, kann Thurmann noch nicht sagen. „Ob es eine Tagesveranstaltung in großer Runde sein wird, ob es mehrere Seminare geben wird oder ganz etwas anderes, muss sich zu Beginn des neuen Schuljahres zeigen. Uns ist wichtig, was der Schule in Burg wirklich hilft. Unser Fachmann hat viel Erfahrung im Bereich Konfliktlösung, und Mobbing ist eine Dimension davon.“

Die Schule hat am Montag den traditionellen Treppenlauf abgesagt. Die Schulleitung um Leiter Stefan Bruns und Dr. Marco Dominé hatte am Sonntag das Lehrerkollegium zusammengerufen. Sie wollten mit der Entscheidung der weiterhin „angespannten Lage“ an der Schule Rechnung tragen.

„Aus gegebenem Anlass und vor allem in tiefem Mitgefühl gegenüber unserem verstorbenen Schüler Alexander und seiner Familie sagen wir den Treppenlauf 2018 ab“, hat die Schule auf ihrer Internetseite bekannt gegeben. „Wir werden den Tag nutzen, um mit Schülern und Lehrern Gespräche zu führen, als Zeichen für gegenseitige Toleranz und Wertschätzung.“

Den Rückhalt des Kreises als Schulträger und Unterstützung hat Thomas Barz, Beigeordneter der Kreisverwaltung, der Schule zugesagt. „Die Schule hat nach unserer Ansicht mit enormen Einsatz in dieser Situation alles getan.“ Abgeschlossen ist das noch nicht, weiß auch Barz. „Jeder wird mit einem Paket, einer Last in die Ferien gehen.“

Mobbingvorwürfe stehen im Raum. Freunde des Schülers haben sie erhoben. „Ein ganzes Lehrerkollegium wird unter Generalverdacht gestellt“, sagt ein Lehrer. Sein Gesicht ist grau, seine Augen sind rot. „Viele Kollegen sind hier in den letzten Tagen richtig gealtert.

Der Lehrer kann die Vorwürfe nicht nachvollziehen. Es sei schwer im besonderen Rhythmus der Schule mit Blockunterricht, Praktika und Prüfungen genau zu wissen, was in jedem Schüler vor sich gehe. Eine Berufsschule sie keine Grundschule, in der es eine viel größere Nähe gebe.

Ob Mobbing der Auslöser für den Tod des Schülers war, ist derzeit noch vollkommen unklar. Die Polizei hält sich bedeckt. Sie hat ihre Ermittlungen noch nicht abgeschlossen.

Schüler, Freunde des Toten, haben Carsten Stahl, einen selbst ernannten Mobbing-Experten, eingeschaltet. Sie erhoffen sich Hilfe von Stahl. Er plant, Ende der Woche ins Jerichower Land zu kommen. Er will an der Beisetzung des 19-jährigen Schülers teilnehmen. „Mobbing ist ein Geschwür in der Gesellschaft“, sagt Stahl. „Ich will, dass sich etwas ändert. Dafür muss aufgeklärt werden, was war. Ich will der Schule in Burg nicht schaden, ich will hier helfen. Und: Alexander darf nicht vergessen werden.“

Über 100 Schüler und ehemalige Schüler der BBS haben sich nach Stahls Angaben bei ihm seit dem 12. Juni gemeldet, mit Hinweisen und Vorwürfen. Für Stahl ein Indiz, dass etwas nicht stimmen könne. Der Schulleitung in Burg habe er Unterstützung angeboten. Sie habe es nicht angenommen. Stahl will aufrütteln.

Er ist seit gut vier Jahren auf dem Gebiet unterwegs und in den verschiedensten Medien präsent. Nach eigenen Angaben selbst Mobbingopfer hat er einen Verein gründet und die Aktion „Stoppt Mobbing“ ins Leben gerufen. In Brandenburg werde er von Landesbehörden unterstützt. Bundesweit ist er an vielen Schulen mit dem Thema unterwegs. In der vorigen Woche war er auch in Klassen in Bernburg und in Schönebeck. In Schönebeck hatte er zu einer Schweigeminute für den Burger Schüler aufgerufen.

Nicht wenige BBS-Schüler finden es nicht gut, dass der Mobbing-Experte gerufen wurde. Es helfe nicht, sondern sorge nur für noch mehr Aufregung und nicht für Klärung.

Andere werden noch deutlicher, wollen aus Furcht vor Anfeindungen nicht namentlich genannt werden. Was hier passiere, sei Mobbing unter dem Mäntelchen einer Anti-Mobbing-Kampagne.

Dem Auftritt von Carsten Stahl steht auch das Ministerium in Magdeburg skeptisch bis kritisch gegenüber. „Diese Schule braucht vor allem Ruhe und natürlich Aufklärung darüber, wie es zu dem Tod des Jungen kommen konnte.“

Wenn Ihre Gedanken kreisen und Sie daran denken, sich das Leben zu nehmen, versuchen Sie, mit anderen Menschen darüber zu sprechen. Es gibt eine Vielzahl von Hilfsangeboten. Zum Beispiel: die Telefonseelsorge. Sie ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr unter 0 800/ 111 0 111 und 0 800 / 111 0 222 erreichbar.