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Jagdschein Familientradition und Liebe zur Natur

Immer mehr Frauen machen ihren Jagdschein. Auch Dajana Wagener aus Niegripp hat das grüne Abitur bestanden.

Von Mario Kraus 05.01.2021, 05:00

Niegripp l Der Wind steht gut, das Licht ist mit zunehmendem Mond ausreichend. Es könnte alles passen, wenn die Wildschweine aus der Dickung über eine Freifläche zum angrenzenden Feld wechseln wollen. Wenn sie wirklich kommen, die Sauen, und die erfahrene Bache die ganze Rotte nicht woanders entlang ziehen lässt. Ja, das Wörtchen „wenn“ spielt bei der Jagd eine große Rolle und lässt den Jäger so manche Abende wieder allein oder mit Hund nach Hause ziehen. Jagdgöttin Diana ist nicht immer hold, und das ist auch gut so. Sonst gäbe es weder Spannung, Abwechslung noch wahre Tradition. Sonst würde kaum ein Weidmann oder eine Weidfrau das abendliche Vogelgezwitscher oder warnende Gekrächze des Eichelhähers so richtig vernehmen und deuten. Jeder Jagdtag ist anders. Das weiß Dajana Wagener schon lange. Sie hat die Eindrücke in Feld und Flur oft genug erlebt, bei ihrem Vater und Großvater, die die Leidenschaft quasi weitergegeben haben. Die echte Leidenschaft – mit dem ganzen Brauchtum, das die Jagd erst ausmacht. Der saubere Schuss mag dabei die Krönung sein, aber längst nur ein Bruchteil dessen, was zum Weidwerk gehört oder gehören sollte.

Wieder dreht sich das Gespräch zwischen Vater Horst und Tochter um den Wind. Während das Elbdorf langsam zur Ruhe kommt, ein Licht nach dem anderen ausgeknipst wird, ist die Entscheidung getroffen. Es geht los. Gemeinsam. Beide machen sich auf den Weg in den wenige Kilometer entfernten Revierteil, in dem Horst Wagener junior und auch dessen Vater Horst so manche Sau überlistet haben. Und Wildschweine gibt es seit eh und je reichlich. Das steht schon schwarz auf weiß in den alten Aufzeichnungen, die die Familie bewahrt. „Die drohende Afrikanische Schweinepest ist auch ein wichtiger Antrieb, möglichst oft zur Jagd zu gehen“, sagt Wagener. Ganz besonders natürlich für Dajana. Die 38-Jährige will ihren Vater und die Niegripper Jagdgruppe so oft es geht unterstützen und an diesem Abend ihren ersten Schwarzkittel zur Strecke bringen, nachdem sie Mitte September die Jägerprüfung erfolgreich bestanden hat. „Das war kein Spaziergang“, sagt sie während der Fahrt in den Wald. Klar ist ihr die Jagd mit in die Wiege gelegt worden, die Prüfung „aber mit all den Komplexen, einschließlich Schießen, zu bestehen, noch etwas anderes.“ Sie entschied sich für einen zweiwöchigen Kompaktlehrgang bei einer Jagd- und Naturschule im benachbarten Salzlandkreis. Und das hieß: Lernen, lernen, lernen. Ob Fächer wie jagdbare Tiere, Hege- und Jagdbetrieb, Ökologie/Naturschutz, Jagdhundewesen, Behandlung erlegten Wildes, Jagdwaffen und Jagdrecht – „das alles muss mit vielen Einzelthemen und Fragen in den Kopf“, resümiert die junge Frau. Manche Abende hat sie dann noch mit ihrem Vater gebüffelt und den Stoff wiederholt. Mit Erfolg. Die Prüfungsfächer und auch das praktische Schießen hat sie mit Bravour gemeistert und ihren Vater damit zum 65. Geburtstag ein ganz besonderes Geschenk gemacht. Nun zählt sie zu den Jungjägerinnen, „wobei es nicht darauf ankommt, immer Strecke zu machen“, schränkt Vater Horst ein. „Man muss auch in der Lage, den Finger gerade zu lassen.“ Das kann Dajana. Es ist gar nicht lange her, als ein noch junger Rehbock unter ihrer Ansitzleiter am Feld stand. „Der soll noch einige Jahre haben und für Nachwuchs sorgen“, urteilte die Weidfrau damals. Immer wieder hat sie ihre Freude daran, wenn er unbekümmert und regelmäßig am Waldstreifen entlang zieht.

Aber heute Abend sollte es schon klappen. Die Schleierwolken verziehen sich allmählich. Angekommen im Wald wird der Wagen am Rand abgestellt. Dajana prüft den Wind mehrmals. Die Jäger auf dem Hochsitz würde die Rotte nicht wahrnehmen, wenn der Wind nicht noch einmal drehen oder an der Kante küseln sollte. Oben auf der Jagdkanzel sind Waffen und Rucksack verstaut. Der Tag verabschiedet sich zusehends, während sich das Augenlicht auf die Nacht und ihre Umrisse einstellt. Die Freifläche ist ausreichend hell. Dajana nimmt die Gegend mit dem Fernglas ins Visier. Weiter weg äsen zwei Rehe auf dem Feld, ein Hase hoppelt hin und her. Einige Autos sind noch zu hören. Dann, gegen Mitternacht, wird es noch ruhiger im weiteren Umfeld. Aus Sekunden werden Minuten, aus Minuten doch Stunden. Bis das Knacken im Unterholz so laut wird, dass es niemals nur einige trockenen Äste seien können, die im leichten Wind aneinander stoßen und abfallen. Diana kennt diese Momente, die sie vorher in vielen Abenden und Nächten mit ihrem Vater erlebte und meistens die Kamera dabei hatte. „Das könnten sie sein, die Sauen“, sagt sie leise. Die Rotte beißt sich etwas und spielt untereinander, bis die Leitbache wieder zum Weitermarsch anfeuert. Es dauert noch eine gefühlte Ewigkeit, bis die Wildschweine die gut einsehbare Schneise erreicht haben. Dajana hat die Waffe längst im Anschlag und entsichert jetzt. Etwas abgesondert steht ein einzelner Frischling. Ein lauter Knall durchdringt die Stille der Nacht. Den hat das junge Wildschwein nicht mehr gehört. Während die Sauen mit lautem Getöse von dannen ziehen, setzt bei Dajana so langsam das Jagdfieber ein. Es hat geklappt. Bei Vater Horst fällt die Spannung ab. Jetzt erstmal durchatmen und die Augenblicke noch einmal Revue passieren lassen. Das erste Schwein liegt im Feuer. Wenig später wird der Frischling geborgen, versorgt und zum Auto bugsiert. Vater und Tochter sind nicht nur zufrieden, sondern glücklich darüber, dass sich eine lange Familientradition so fortsetzt wie gewünscht, dass die Jagd mit der Achtung vor dem Wild in eine neue Generation einfließt. Zu Hause angekommen, hängen beide den Frischling in die Kühlzelle. Dann geht’s an den Küchentisch, um anzustoßen.

Das Lächeln in den Gesichtern will nicht so schnell weichen. Der Mond lässt die Nacht nun zum Tag werden, die Elbwiesen sind hell ausgeleuchtet. Und damit werden viele Erinnerungen wach. Dajana will sich noch auf den Weg machen in Richtung Gommern zu ihrem Wohnort. Sie ist jetzt erst recht putzmunter. „Das war etwas Besonderes, sowas vergisst man nicht“, sagt sie. Auch deshalb, weil überhaupt wieder ein wichtiges Ziel im Leben geschafft wurde. Denn der Jagdschein ist eine Voraussetzung für die Falknereiprüfung, die sie auch noch ablegen will. Damit ist sie dann in der Lage, die Beizjagd mit einem Greifvogel auszuführen.

So wird sie der Jagd mit all ihren Facetten treu bleiben – wie immer mehr Frauen in Deutschland und im Landkreis. Und mit Achtung vor der Kreatur.