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Justizvollzug Wurzel: „Wie in einem Dorf“

Thomas Wurzel, Ex-Leiter der JVA Burg, ist seit Juni im Justizministerium tätig. Im Interview spricht er über seine Zeit im Jerichower Land.

23.07.2017, 04:00

Führungswechsel in der Leitungsebene der Burger Justizvollzugsanstalt: Nach sechseinhalb Jahren wurde Thomas Wurzel im Juni an das Justizministerium abgeordnet und mit der Wahrnahme der Aufgaben eines Abteilungsleiters beauftragt. Seine Stellvertreterin Ulrike Hagemann übernimmt seine Aufgaben in Burg. Im Gespräch mit Tobias Dachenhausen spricht er über das Leben in einer JVA.

Volksstimme: Herr Wurzel, Sie haben 39 Jahre im Vollzug gearbeitet. Jetzt der Wechsel ins Ministerium. Warum?
Thomas Wurzel: Im Ministerium wurde eine Stelle als Abteilungsleiter für Justizvollzug und Infrastrukturangelegenheiten frei. Es wurde jemand mit Erfahrung im Vollzug gesucht und ich wurde vom Vorgänger empfohlen. So wurden die Weichen gestellt. Zudem wollte ich schauen, ob mir die ministerielle Arbeit liegt.

Sie sind seit knapp zwei Monaten in Magdeburg. Fehlt Ihnen bereits etwas?
Dass ich keinen unmittelbaren Gefangenenkontakt habe, ist auf jeden Fall ungewohnt.

Wie unterscheiden sich die Aufgaben eines JVA-Leiters von denen eines Abteilungsleiters im Ministerium?
Das sind Welten. Im Ministerium bekomme ich den großen Gesamtüberblick. Wir untersetzen die alltägliche inhaltliche Arbeit vor Ort mit personellen und finanziellen Mitteln. Zusätzlich sind wir zuständig für alle Bauten der Justiz. In der JVA war ich ein Mitglied der Struktur und des Lebens der Anstalt. Ich hatte mit Inhaftierten, Angestellten und auch Besuchern zu tun. Und natürlich mit deren Problemen und Sorgen.

Nach einer langen Zeit in Naumburg und einem Stopp in Dessau sind Sie Anfang 2011 nach Burg gekommen. Was hat Sie an dieser Aufgabe gereizt?
In Burg habe ich den Vollzug noch einmal ganz neu kennengelernt. Es war eine neue Einrichtung, ein neues Betätigungsfeld, auch in der Zusammenarbeit mit den Gerichten und der Staatsanwaltschaft. Zudem hatten wir mit den Bedenken und Ängste der Bürger zu kämpfen. Mittlerweile sind wir aber angekommen und auch die Anstalt nimmt die Kommune mit ihren Problemen wahr.

Wie kann man sich den Alltag in einem so großen Gefängnis vorstellen?
In Höchstzeiten waren in Burg über 600 Häftlinge untergebracht. Dazu kamen 300 Bedienstete und 100 Mitarbeiter privater Firmen. Das ist wie in einem Dorf – mit allem drumherum. Da gibt es Jubiläen und Streitereien. Was fehlt, sind die Geburten.

Das bedeutet für einen Leiter viel Verwaltungsaufwand. Wie viel Kontakt zu den Häftlingen hatten Sie?
Häufig habe ich die 20 Gefangenen gesehen, die in der Küche beschäftigt waren. Ich habe immer eine Probe vom Essen genommen. Es hielt sich hartnäckig das Gerücht, dass ich ein anderes Essen bekäme. Dem war aber nicht so. Viele Gefangene habe ich aber auch schon aus meiner Zeit in Naumburg gekannt und die mich auch.

Wie haben Sie die Gefangenen gesehen?
Es ist auch für mich als Anstaltsleiter wichtig, den Menschen zu kennen und das nicht nur aus der Akte. Man läuft dann Gefahr, voreingenommen zu sein. Letztendlich soll der Vollzug ja keine Strafe sein, sondern demjenigen helfen, aus seiner Situation herauszukommen.

Haben Sie eine Entscheidung auch mal bereut?
Ein Insasse durfte einmal hinaus und war dann für mehrere Tage verschwunden. Da fragt man sich schon, was man falsch gemacht hat. Die Situation war für alle sehr belastend. Allerdings ist niemand zu Schaden gekommen und der Häftling wurde in Berlin von der Polizei ergriffen.

Welche Konsequenzen hatte das in der JVA Burg?
Seit dem haben wir noch verstärkter darauf geschaut, wer eine Chance verdient hat, mal rauszukommen. Jeder Häftling wird nun auch vorab fotografiert, um ein aktuelles Bild zu haben, falls doch mal was passiert.

Sie hatten engen Kontakt mit Schwerstkriminellen. Nimmt man das mit nach Hause?
Man nimmt es überall mit hin. Aber ich habe das nie als Nachteil empfunden. Jedoch in den Urlaub, wenn ich wirklich weggefahren bin, hab ich nie mein Diensthandy mitgenommen.

Hatten Sie je Angst?
Nie. Angst lähmt im Vollzug. Drohungen, die durchaus mal ausgesprochen wurden, sind meistens bei den Entlassungen vergessen.

Wie hat sich die JVA in den vergangenen Jahren verändert?
Aufgrund der Größe und der Spezifik der Justizvollzugsanstalt musste man immer mit neuen Herausforderungen umgehen lernen. Wir haben beispielsweise die Untersuchungshaft mit 60 Plätzen bei uns untergebracht. Dazu haben wir die Sozialtherapeutische Abteilung aus Halle übernommen, da dort überwiegend Gefangene aus Burg hingegangen sind. Ein Meilenstein war auch, als wir nach einer Gerichtsentscheidung die Räume der Sicherungsverwahrten vergrößern mussten. So gab es immer mal wieder Herausforderungen, die es zu meistern galt.

Sehen Sie ihre Aufgabe in Burg als erfüllt?
Wir haben ein Etappenziel erreicht. Die Anstalt ist auf einem guten Weg. Dieser Weg muss aber ständig gepflegt werden. Letztlich sind wir für die kommenden Jahre aber sehr gut aufgestellt.

Jetzt haben Sie im Ministerium den Gesamtüberblick. Was kann und muss sich im Vollzug noch verbessern?
Die personelle Ausstattung muss stabilisiert und konsolidiert werden. Wir wollen die inhaltlichen Behandlungsmethoden, wie zum Beispiel die Suchtberatung in der JVA Burg, auf ein höheres Level heben. Zudem muss es uns gelingen, noch mehr ehrenamtliche Mitarbeiter zu gewinnen. Sie werden anders wahrgenommen als ein JVA-Beamter. Und sie stellen mit ihren Angeboten eine Abwechslung im Vollzugsalltag dar.

Im kommenden Jahr feiern Sie ihr 40. Dienstjubiläum. War es denn ein Berufswunsch im Vollzug zu arbeiten?
Das kann man nicht sagen. Ich habe 1978 ein Lehrerstudium abgeschlossen und dann aufgrund besserer Verdienstmöglichkeiten im Jugendvollzug unterrichtet. Es schloss sich ein Studium zum Diplomökonom an. Nach der Wende wurde ich dann kurzzeitig Leiter der Jugendanstalt in Halle. Und dann ging es über Magdeburg, Naumburg und Dessau nach Burg. Der Weg wurde so geebnet. Ich habe in vielen Ecken des Vollzuges Staub gewischt und konnte so das System verstehen. Der Weg war nicht der schlechteste.