Walternienburg Mit Tassen und Töpfen kommt ein Dorf zu Weltruf
Die Walternienburger Kultur verschafft dem kleinen 850 Jahre alten Dorf in Zerbst ein Alleinstellungsmerkmal - sie ist weltweit einzigartig.

Walternienburg - Nur der Ehrlichkeit und Blickigkeit von Heinrich Gierspeck (1850 bis 1938) hat Walternienburg sein Alleinstellungsmerkmal zu verdanken. Nach dem idyllischen Dorf in der Elbaue, das zur Einheitsgemeinde Stadt Zerbst gehört, ist eine Kulturepoche benannt – die „Walternienburger Kultur“. Zirka 3350 bis 3100 vor Christi ist diese Kultur der Jungsteinzeit zuzuordnen, einer Zeit als Jäger und Sammler zu sesshaften Bauern wurden, als sich die neolithische Revolution und damit drastische Änderungen in der Lebensweise der Menschen vollzog.
Feste Wohnstätten wurden errichtet, die Menschen gingen zu Ackerbau und Viehzucht über, betrieben Fischfang. Sie besaßen Dinge, trugen Kleidung und legten Vorräte an. Sie benutzten Gefäße, Geschirr und Werkzeuge. Ihre Toten wurden begraben. Ihnen wurden Beigaben mit ins Grab gelegt. Die Jungsteinzeitmenschen an der Nuthe wählten ihren Friedhof auf einem Sandrücken in der Nähe…
Eine Steinpackung mit zwei Schädeln
Die Bauern Gierspeck, Möbius und die Witwe Naumann wohnten um 1900 an jenem Sandrücken an der Hauptstraße Walternienburgs. Auf dem Grundstück Naumann war es wohl zuerst, dass eine Steinpackung mit zwei Schädeln gefunden wurde. Dem wurde aber keine Beachtung geschenkt. Vielmehr wurde der Sandrücken, der von der eiszeitlichen Dünung stammte, in den Gärten weiter abgetragen, um den Boden fruchtbarer zu machen. Der Sand konnte nach Barby verkauft werden.
Heinrich Gierspeck war es, der meldete, was dabei zum Vorschein kam. Die Sicherstellung wurde in die Wege geleitet. Es war 1906, dass Professor Alfred Götze das neolithische Gräberfeld sachgemäß ausgrub. 1907 wurde die wissenschaftliche Untersuchung des Areals fortgesetzt durch K. Reuß. Viele Funde stammten von den Grundeigentümern und wurden den Archäologen übergeben. Skelette wurden keine gefunden, nur wenige Knochenreste wurden entdeckt. Pro Grabstelle gab es nicht mehr als vier Keramiken.
Von den 135 Stücken, die vollständig oder wiederherstellbar geborgen wurden, gelangten 66 Stücke ins Museum für Völkerkunde Berlin, 44 ins Landesmuseum Halle, 15 ins städtische Museum Magdeburg. Fünf verblieben in einer Privatsammlung in Barby, weitere fünf besaß wohl einst der Lehrer Voigt aus Walternienburg. Leider wurden während des Zweiten Weltkrieges zahlreiche Gefäße zerstört, etwa 60 Prozent der Fundstücke.
Unter den Fundstücken waren Steinwerkzeuge, Pfeilspitzen, Steinbeile, Löffel, Spinnwirtel, eine doppelschneidige Streitaxt, Beil, Hammer, Anhänger aus Knochen. „Die Menschen hatten Geschmack“, stellte Holger Bressel fest, der sich in Vorbereitung der 850-Jahrfeier seines Dorfes mit der Walternienburger Kultur auseinandersetzte. Die formvielfältigen Gefäße, sind mit kunstvollen Ornamenten verziert, weisen schöne und gleichmäßige Muster auf. Die Gefäße waren nicht nur Gebrauchsgegenstände, sondern auch Zierde, an der die Menschen Freude hatten.
Vermutungen über die Doppeltasse
Es war der ehemalige Bürgermeister Heinz Reifarth, der besonders für das Zwillingsgefäß schwärmte. Eine Doppeltasse, die am Boden der Zwischenwand eine Öffnung besitzt, so dass sich die Flüssigkeit vermischen kann. Ob man sich damit etwa vor einem Giftanschlag schützen wollte? Wofür die Doppeltasse verwendet wurde, bleibt ein Geheimnis. Entlang der Elbe von Havelberg bis Coswig und an die untere Saale wurden ebensolche Funde gemacht. Hätte es an anderer Stelle jemanden gegeben, der ein Objekt entdeckt hätte, hätte es die „Walternienburger Kultur“ nicht gegeben, sie würde dann anders heißen.
Vielleicht sollte man dem Heinrich Gierspeck eine Gedenktafel im Dorf errichten, regte Holger Bressel an. Den Stolz auf die Walternienburger Kultur trägt auch der jetzige Ortsbürgermeister Jörg Hausmann nach außen. Weltgeschichte hat sein Dorf damit geschrieben. Es gibt sie die Archäologen und Historiker und Interessierte weltweit, denen die Walternienburger Kultur ein Begriff ist.


Von Mai bis Juli diesen Jahres waren zuletzt einige der 5000 Jahre alten Fundstücke an ihren Fundort zurück gekehrt. Die Ausstellung auf der Walternienburger Burg stieß auf eine große Resonanz. Auch das Zwillingsgefäß war zu bestaunen, welches zurück gekehrt ist an seinen Platz im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle.
Der örtliche Heimatverein hatte die Ausstellung nach Walternienburg geholt. Das Jubiläum war der geeignete Anlass dafür. Nun hofft man, dies bald wiederholen zu können. Einen Anlass gibt es auch schon, wie Erika Reifarth vom Heimatverein verrät. 1924/25 war es - also vor 100 Jahren – dass Nils Niklasson eine Doktorarbeit über die Walternienburger Kultur schrieb.
Jubiläum mit vielen Höhepunkten
Auf den Spuren der Vergangenheit lässt es sich gut in Walternienburg wandeln. Die Burganlage kann zu den Öffnungszeiten besichtigt werden. Es gibt eine Kirche in Form der biblischen Arche. Das Dorf lädt zum Verweilen ein. Kurze Rundwege sind für Spaziergänger da. Die Elbe ist gleich vor der Haustür, das Umweltzentrum in Ronney bietet Kurse an. Bis zum Ende des Jahres sind die Einwohner noch im Feiermodus mit verschiedenen Höhepunkten in jedem Monat. Ein Abstecher lohnt sich.