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Lothar Kimpel auf Spurensuche in Burg, wo sein Vater 1944/45 in Munitionsfabrik arbeitete Nach Bombenangriff sofort wieder abgereist

Von Steffen Reichel 08.05.2012, 05:21

Der 72-jährige Lothar Kimpel ist dabei, seine Lebens- und Familiengeschichte aufzuschreiben. Auch für diese Familie war der Zweite Weltkrieg, dessen Ende sich am heutigen 8. Mai zum 67. Mal jährt, eine einschneidende Zeit. Seine Recherchen führten Lothar Kimpel jetzt nach Burg.

Burg l Erste Adresse für Leute wie Lothar Kimpel ist gewöhnlich das Stadt- und Kreisarchiv in der Burger Kapellenstraße 30. Für den 72-Jährigen war die Kapellenstraße 30 nun gleich zweimal ein Volltreffer. Denn, wo heute das Archiv sein Domizil hat, war 1944/1945 die Arbeitsstelle seines Vaters.

Paul Kimpel (1905 bis 1965) lebte Anfang der 1940er Jahre mit seiner Familie in Magdeburg, Neue Neustadt, und arbeitete als Betriebsingenieur in den Krupp-Grusonwerken, einer Panzerschmiede für die Deutsche Wehrmacht. Im Sommer 1944 wechselte der Vater von Lothar Kimpel in einen anderen kriegswichtigen Betrieb, in die "Werkzeugfabrik Burg Fritz Schulz" in der Burger Kapellenstraße 30. "Dort wurde nach meinen Kenntnissen mit Zwangsarbeitern Munition hergestellt", so Lothar Kimpel. Sein Vater wurde mit dem 1. September 1944 endgültig als Betriebsleiter der "Abteilung Wkz. in Burg" eingestellt. Der Arbeitsvertrag, den Lothar Kimpel gefunden hat, weist die monatlichen Brutto-Bezüge des Vaters aus: 720 Reichsmark. Das entspricht der heutigen Kaufkraft von etwa 7200 Euro. Zusätzlich gab es Trennungsgeld von täglich 7,50 Reichsmark. "Das war damals viel Geld", so Lothar Kimpel.

Bei der "Werkzeugfabrik Burg Fritz Schulz" handelte es sich um einen Ableger der Polte Armaturen- und Maschinenfabrik Magdeburg. Als 1944 auch die Polte-Werke in Magdeburg immer wieder von alliierten Bombern angegriffen wurden, entschloss sich die Geschäftsleitung, die kriegswichtige Produktion ins Umland auszulagern. Produktionsstätten außerhalb der Großstadt wurden von den Polte-Werken gepachtet und mit Polte-Maschinen bestückt. "An der Burger Kapellenstraße wurden die Webstühle und andere Maschinen der Paasche-Tuchfabrik abgebaut und die Polte-Maschinen eingebaut", erklärt der Burger Heimatforscher Paul Nüchterlein. Wohl aus Geheimhaltungsgründen nannte sich der Betrieb nicht bei seinem eigentlichen Namen "OHG Polte, Werk Burg" sondern unverfänglich "Werkzeugfabrik Burg Fritz Schulz".

Nachdem Paul Kimpel seinen gut dotieren Arbeitsvertrag in der Tasche hatte, lud er Frau und Kinder, die inzwischen wegen der Bombenangriffe von Magdeburg nach Veckenstedt bei Ilsenburg evakuiert waren, ein, ihn in Burg zu besuchen. Lothar Kimpel erinnert sich: "Eine einzige Nacht dauerte der Besuch. In dieser Nacht fielen in Burg fünf Bomben. Eine Bombe traf das Nachbarhaus. Im Haus, in dem wir untergebracht waren, flogen wir durch den Druck der Explosion aus den Betten."

Tatsächlich sind am 10. September 1944 einige Bomben auf Burg gefallen, über das gesamte Stadtgebiet verstreut. Paul Nüchterlein: "Es war wohl gegen 22 Uhr. Die Einschlagstellen, unter anderem in der Holzstraße, in der Blumenthaler Straße und in der Bruchstraße, sind bekannt, es gibt von den Zerstörungen sogar Fotos."

Am Morgen nach dem Bombenangriff reiste Mutter Kimpel mit ihren beiden Kindern sofort aus Burg ab. Vater Kimpel setzte sich zum Ende des Krieges über die Elbe ab, kam in amerikanische Gefangenschaft, konnte aber flüchten. Die Familie fing in Magdeburg neu an. Einige Jahre später hatte Paul Kimpel wieder eine leitende Position als Diplom-Ingenieur inne, im Schwermaschinenbaubetrieb "Georgi Dimitroff", einem Nachfolgerbetrieb der Polte-Werke.

Seine Eltern zog es 1955 zurück in ihre alte Heimat im Rheinland. Lothar Kimpel ging mit. Als Rentner wählten er und seine Frau Marlene (66) vor einigen Jahren den umgekehrten Weg, ließen sich im Brandenburgischen nieder und pflegen noch viele Kontakte in die Magdeburger Region.