Heute Abend um 19.30 Uhr Bürgerforum mit Wolfgang Tiefensee zum Lärmschutz Politik versucht, Bürgerwillen mehr Geltung zu verschaffen
Der ehemalige Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee, der auch Ostbeauftragter der Bundesregierung gewesen war, wird heute Abend ab 19.30 Uhr in Biederitz zu einem Bürgerforum erwartet. Dass es bei diesem Gedanken- und Meinungsaustausch vorrangig um den für Biederitz notwendigen Schutz vor Schienenlärm gehen wird, liegt auf der Hand. Die Volksstimme hatte sich zum gleichen Thema an die für die Region zuständigen Mitglieder des Landtages und des Bundestages gewandt.
Biederitz. Auf der Gründungsversammlung, der ersten und der zweiten Mitgliederversammlung der Bürgerinitiative (BI) Lärmschutz Biederitz hatten Politiker, unter ihnen Matthias Graner und Markus Kurze, ihre Bereitschaft geäußert, mit ihren speziellen politischen Möglichkeiten die Forderung der Biederitzer Bürger nach aktivem Schallschutz zu unterstützen.
Dass dies ein langwieriger Prozess sein wird, war und ist allen Beteiligten klar. Auf der zweiten Mitgliederversammlung der Bürgerinitiative im März hatte der verkehrspolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion Frank Scheurell gar bemerkt, dass eine unmittelbare Mitwirkung der Politik jetzt nicht mehr möglich sei. Die Politik habe keinen Einfluss mehr, hatte der CDU-Mann damals postuliert, aber eingeräumt, dass die Bundestagabgeordneten über einen gesetzgeberischen Prozess Einfluss auf die Wertung und Wichtung des Problems Schienenlärm ausüben könnten.
Die Volksstimme hakte bei den Bundestagsabgeordneten Waltraud Wolff (SPD) und Manfred Behrens (CDU) sowie bei den Landtagsabgeordneten Markus Kurze (CDU) und Matthias Graner (SPD) schriftlich nach, was ihre Positionen zu diesem Umstand sind, welche konkreten Maßnahmen und Initiativen sie selbst ergriffen haben und wie sie künftig im langen Prozess der politischen Arbeit für das Problem Lärmschutz in Biederitz wirken wollen.
Im Gegensatz zu seinem Parteikollegen Scheurell ist Markus Kurze der Auffassung, dass er als direkt gewählter Abgeordneter die Anliegen der Bürger seines Wahlkreises ernst nehme und glaubt, dass mit politischer Unterstützung deutlich gemacht werden könne, dass der Lärmschutz für Biederitz nicht einfach vom Tisch gewischt werden dürfe. Von Kurze stammt auch die Aussage, dass in der Lärmfrage Biederitz genauso behandelt werden müsse wie Köln. Versuche, die Ostdeutschen unterzubuttern, weil sie Widerstand kaum wagen, seien nicht zu akzeptieren.
Die Bundestagsabgeordnete Waltraud Wolff macht eine klare Forderung der Politik auf: Der Schienenbonus, der der Bahn einige Dezibel mehr Lärm zubillige als dem Straßenverkehr, gehört abgeschafft. Wolff weiter: "Wie alle Bürgerinnen und Bürger, so muss sich auch jedes Unternehmen an geltende Gesetze und Vorschriften halten. Für deren Inhalt und Durchsetzung sind Politik und staatliche Organe zuständig. Im Fall Biederitz stellt sich doch die Frage, inwiefern die Berechnungsgrundlagen für die Errichtung von Schallschutzwänden von der Bahn AG korrekt angewendet wurden. Der Schienenbonus ist längst nicht mehr zeitgemäß und gehört abgeschafft. Denn die Zeiten, in denen damit das junge Verkehrsmittel Eisenbahn gefördert werden musste, sind lange vorbei."
Von Manfred Behrens und Matthias Graner waren trotz Nachfrage per Mail bzw. angebotener Fristverlängerung keine Antworten auf die Fragen der Redaktion eingegangen.
Matthias Graner hatte sich im Vorjahr mit einer Kleinen Anfrage zum Bahnausbau in Biederitz an die Landesregierung gewandt. Neben dem Lärmproblem ging es ihm auch um die langen Schließzeiten der Bahnschranken, wenn sich die Zugfrequenz drastisch erhöhen wird. Graner konstatierte nach dem Erhalt der Antwort der Landesregierung: "Ich bin erschrocken, wie wenig die Regierung davon weiß". In einem Gespräch mit der Volksstimme zu Jahresbeginn versicherte Graner, er werde an dem Thema dranbleiben.
Der Bundestagsabgeordnete Manfred Behrens hatte auf einer Protestdemonstration im Juni versprochen, die Kommission Ost, eine Vereinigung von Bundestagsabgeordneten aus dem Osten, für die Biederitzer Lärmproblematik zu sensibilisieren.
Markus Kurz blickt zurück und fasst zusammen: "Ich habe das Problem unmittelbar an den Verkehrsminister und Staatssekretär des Landes, den Bundesverkehrsminister und den Bahnvorstand Dr. Volker Kefer herangetragen. Der Staatsekretär folgte alsbald auch einer Einladung vor Ort." Weiterhin habe er dem Bundestagsabgeordneten Manfred Behrens vorgeschlagen, sich parteiübergreifend im Verkehrsausschuss des Bundestages der Problematik anzunehmen, da ja auch über diesen Weg Lärmschutzmaßnahmen umgesetzt werden können.
Waltraud Wolff berichtet über ihr persönliches Engagement: "Anfang März traf ich mich mit Vertretern der Bürgerinitiative Lärmschutz, Bürgermeister Kay Gericke und dem SPD-Landtagsabgeordneten Matthias Graner. Am 17. März gab es ein Treffen der Landesgruppe Ost der SPD-Bundestagsfraktion mit dem Vorstand der Deutschen Bahn AG in Berlin. Dort habe ich unter anderem auch das Problem des Lärmschutzes in Biederitz angesprochen. Am 6. April habe ich mich dazu noch einmal mit Jobst Paul, dem Konzernbeauftragten der Bahn AG für Sachsen-Anhalt, in meinem Berliner Büro konsultiert."
Inzwischen sind Biederitzer Bürger vor Gericht gezogen, um wirksame Lärmschutzwände zu erstreiten. Laut Planfeststellungsbeschluss des Eisenbahnbundesamtes sollen sie mit Lärmschutzfenstern abgespeist werden. Das Ringen um akzeptable Lösungen, den krankmachenden Lärm einzudämmen, geht weiter. Heute Abend ist bei dem Bürgerforum mit Wolfgang Tiefensee Gelegenheit, darüber zu debattieren, wie Bürgerwille wirkungsvoll bei der Planung großer Infrastrukturvorhaben einfließen kann.