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Radtour Radler mit Krimi-Spürsinn

Die Tatort-Radwanderung in Gommern feierte am Wochenende Premiere. 30 kilometer ging es mit Wegewart Steffen Grafe auf Tour.

Von Manuela Langner 15.06.2020, 01:01

Gommern l In letzter Minute! Dass Steffen Grafe nicht überpünktlich zu seinen Radtouren erscheint, nicht der Erste ist, der alle Teilnehmer nach und nach begrüßt, kennen die Gommeraner gar nicht von ihm. Am Sonnabend passierte es. Aber der Wegewart hatte einen guten Grund, erst im letzten Moment auf dem Platz des Friedens in Gommern einzutreffen. Unterwegs aus seinem Wohnort Dornburg in die Stadt war er am Plattensee auf zwei Radtouristen mit Panne getroffen. Steffen Grafe wechselte schnell den kaputten Schlauch.

Bevor die Tatort-Radtour am Sonnabend ihre Premiere feiern konnte, mussten sich alle Teilnehmer in die Anwesenheitsliste, die aufgrund der Coronakrise bei allen Veranstaltungen obligatorisch ist, eintragen.

Durch die „Helle“, gerne auch „Hölle“ genannt, starteten die 26 Radler in Richtung Dornburg. Weit mehr Teilnehmer hatten sich angemeldet, aber wegen der Unwetterwarnung auf einen Start verzichtet.

Mit Blick auf einen der insgesamt drei besetzten Storchenhorste in Dornburg wurde erste Rast in Höhe der Kirche St. Christophorus gehalten. Steffen Grafe berichtete vom Roten Höhenvieh im Harz, das von den umliegenden Wiesen versorgt werde, und den Kölner Radtouristen, mit denen er kürzlich unterwegs war, die sich nicht vorstellen konnten, dass noch Oberleitungen existieren. Aber welch ein schönes Bild die sich sammelnden Schwalben im Herbst bieten, warfen einige Radler ein. Steffen Grafe erinnerte auch an die Zeit, als Dampfer aus Magdeburg bei Dornburg hielten und die Städter zur Sommerfrische in das Dorf und seine vier Gasthäuser strömten.

Bei Rückenwind und Sonnenschein war bald die Hoplake bei Lübs und kaum einen halben Kilometer weiter das ehemalige Forsthaus Grüneberg erreicht. Nur wer dessen Standort kennt, hält an der richtigen Stelle an. Sonst fährt man an den überwucherten Mauerresten einfach vorbei.

Der Zerbster Frank Faßbutter, der früher in dem Forstrevier gearbeitet hat, wartete schon auf die Gruppe und hatte einen Tipp parat: Im Winter wiederkommen, dann versperrt die Vegetation nicht den Blick auf den noch zu erkennenden Brunnen oder Holzplatz des Forsthauses.

Frank Faßbutter stellte den Teilnehmern das Biosphärenreservat „Mittlere Elbe“ vor, erklärte ihnen, weshalb sich die Elbe ein immer tieferes Bett gräbt und welche Folgen das hat, und kam schließlich auf Förster Aloys Birkenfeld zu sprechen. Sein gewaltvoller Tod vor 101 Jahren gab schließlich den Anlass zur Tatort-Radtour.

Das Forsthaus war zwischenzeitlich als Landschulheim genutzt worden, 1986 fiel das Haus einer Brandstiftung zum Opfer. Die Stasi gab der Ruine den Rest: Aus Angst vor einem „konspirativen Ort“, der für einen Anschlag auf die nahegelegene Brücke über die Elbe genutzt werden könnte.

Wie Förster Birkenfeld machten sich die Radler auf zum täglichen Dienstgang. Das notwendige Fachwissen brachte Frank Faßbutter mit. Er stellte ihnen die Bäume vor, die aus Versuchspflanzungen von vor 100 Jahren übrig geblieben sind. Einzelheiten der Versuchsreihe sind nicht bekannt, da bislang keinerlei Unterlagen gefunden werden konnten. Es ist gut möglich, dass sie durch Umsiedler nach dem Zweiten Weltkrieg als Heizmaterial im Ofen des Forsthauses gelandet sind.

Von den Japanischen Kaisereichen, deren Blätter sich wie Leder anfassen, gibt es nur noch ein Exemplar. Wohl fühlt sich die Baumart bei uns nicht. Für den Laien sind Eschen und Schwarznüsse sehr schwer zu unterscheiden, Frank Faßbutter gab Hinweise, wie es gelingen kann.

Hickorybäume konnten die Radler ebenfalls aus nächster Nähe kennenlernen. Bei allen Stopps während des „Dienstganges“ durch den Forst war stets Aufmerksamkeit gefordert. In beiden Richtungen waren ständig Radfahrer auf dem Elberadweg unterwegs. Auf manchen ländlichen Wegen auch sehr viele Autofahrer.

Ob Schwarznuss oder Hickory, beide Bäume im Garten wären gut gegen Mücken, erklärte Frank Faßbutter, als die Radler zu Fuß den ehemaligen Grenzwall zwischen Preußen und Anhalt überquerten. Durch unwegsames Gelände, wo Brennesseln piekten, Äste Stolperfallen boten und hohes Gras zu durchqueren war, mussten die Teilnehmer, um den Tatort zu erreichen. Ein großer Findling am Grenzstein erinnert an den gewaltsamen Tod des Försters durch eine Kugel aus der Waffe eines Wilderers. Das Tragische daran: Der Grenzstein lenkte die Kugel ab, so dass sie Aloys Birkenfeld in der Brust traf und tötete. Die Einschlagstelle der Kugel ist heute noch zu erkennen.

Die Radler atmeten auf, als sie den Rückweg durch das unwegsame Gelände geschafft hatten. „Das war die strapaziöseste Wanderung so weit“, sagte Steffen Grafe. Nicht alle Teilnehmer hatten den Weg mitgemacht, einige waren umgedreht. Denen, die auf die Fahrräder aufgepasst hatten, galt der Dank, derer, die zum Gedenkstein gelaufen waren.

Da der Himmel noch keine Anzeichen eines Gewitters trug, entschied sich mehr als die Hälfte noch nicht einzukehren, sondern nach Gödnitz zur letzten Ruhestätte des Försters weiter zu radeln. Dabei fiel den Radlern nicht zuletzt die hübsche, neugotische Kirche St. Marien auf.

Anstrengend sei die Tour gewesen, sagte Steffen Grafe. Von „sehr interessant“ bis „schön“ lautete das Urteil der Teilnehmer. Die Mischung aus Kriminalgeschichte und Wissenswertem zu Flora und Fauna kam an. Die nächste Tour in das Steinzeitdorf nach Randau haben sich schon jetzt viele vorgemerkt, und nach aktuellem Corona-Stand dürfte die Veranstaltung stattfinden.