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Tierschutz Wolfsschützer nehmen Gegner ins Visier

Verein verteidigt ausgelobte Belohnung nach illegalem Abschuss eines Tieres bei Burg.

Von Marco Hertzfeld 09.08.2018, 01:01

Burg l „Wir wollen keine Menschenjagd im Jerichower Land und schon gar nicht irgendwelche radikalen Tierschützer dazu ermuntern, den illegal getöteten Wolf zu rächen“, beteuert Prof. Peter Schmiedtchen. Er habe Anzeige erstattet. Den Täter zu finden, sei allein Aufgabe der Polizei. Die von der Gesellschaft zum Schutz der Wölfe ausgelobten 3000 Euro sollen den Ermittlern den entscheidenden Hinweis bescheren. „Die Bevölkerung im Landkreis darf nicht dulden, dass Einzelne das Gesetz in die eigene Hand nehmen und einfach so zur Waffe greifen. Das ist Wildwest des 19. Jahrhunderts“, meint der zweite Vorsitzende der bundesweit organisierten Wolfsschützer. „Dabei spielt es auch keine Rolle, ob womöglich eine familiäre Verbindung den Schießwütigen schützt oder sogar die Kameradschaft unter Jägern.“ Kreisweit gibt es 950 Jäger. Unter Generalverdacht wolle er sie natürlich nicht stellen.

Der Kadaver ist im Juli auf einem Feld nahe Lübars gefunden worden. Wer für die Tat verantwortlich ist, scheint nach wie vor offen. Der entscheidende Tipp fehle, lässt Polizeisprecher Falko Grabowski auf Nachfrage wissen. Auch im Wolfskompetenzzentrum im altmärkischen Iden sind keine Hinweise eingetroffen. „Wobei uns die Häufung der Fälle im Jerichower Land schon komisch vorkommt, sagt Leiter Andreas Berbig der Volksstimme. Anders als anfangs vermutet wurde ein zu Beginn dieses Jahres bei Theeßen entdecktes Tier überfahren und nicht erschlagen. Schon 2009 starb bei Tucheim ein Wolf durch die Kugel eines Jägers, der sich selbst anzeigte und das Tier mit einem Hund verwechselt haben will. 2015 wurde ein toter Wolf zwischen Loburg und Lübars gefunden. „Auch im aktuellen Fall wissen wir noch nicht, ob das Tier dort erschossen oder tot abgelegt wurde.“

Wolfsschützer Schmiedtchen ist das letztendlich egal. „Der Wolf gehört hierher und ist nicht fremd wie der Waschbär.“ Isegrim müsste nicht konfliktreich zurückkehren, hätte ihn der Mensch in Deutschland nicht um 1850 so gut wie ausgerottet. „Die Europäische Kommission hat den strengen Schutzstatus des Wolfes in diesem Jahr bestätigt, da kann hier noch so viel diskutiert werden, ob er ins Jagdrecht gehört oder nicht. Eine Aufnahme ins Jagdrecht würde nichts am Schutzstatus ändern.“ Für das Jerichower Land sind drei Rudel bekannt, eines lebt bei Parchen, die anderen nahe Möckern und Altengrabow. Nach einem Bericht des Landesamtes für Umweltschutz zum Beobachtungsjahr 2017/18 aus dieser Woche sind in Sachsen-Anhalt mindestens 13 Rudel und insgesamt 95 Wölfe ansässig. Wie viele Tiere in diesem Jahr geboren wurden, kann noch nicht gesagt werden.

Dieses Raubtier könne in einer Industrielandschaft sehr wohl überleben. Es brauche dafür zwei Dinge: Rückzugsräume zur Aufzucht der Jungen und ausreichend Wild. „Mal ehrlich: Gerade bei uns im Norden Sachsen-Anhalts, in der Altmark genauso wie im Jerichower Land, stolpern sie an jeder Ecke über Wild. Dass es mehr als genug Reh, Wildschwein, Hirsch und andere Beute gibt, belegen auch die alljährlichen Abschusszahlen der Jäger“, findet Schmiedtchen, der von Hause aus Physiker ist und an der Hochschule in Magdeburg das Fach Gefahrenabwehr lehrt. In seiner Arbeit befasst sich der 64-Jährige nicht zuletzt mit Sicherheits- und Notfallkonzepten in Unternehmen. Um ein Sicherheitskonzept gehe es ja gewissermaßen auch für die Nutztierhalter. Der gebürtige Köthener sieht in ihnen die einzige Bevölkerungsgruppe, die vom Rückkehrer Wolf direkt betroffen ist.

Mit Unterstützung der Gesellschaft zum Schutz der Wölfe ist im Frühjahr dieses Jahres der Verein „Herdenschutz plus Hund“ gegründet worden. Zudem kann sie mittlerweile eine „schnelle Eingreiftruppe“ in Wald und Flur schicken. Haben Wölfe eine Herde attackiert, sollen zwei Pyrenäen-Berghunde weitere Risse verhindern, bis der Schäfer eigene tierische Aufpasser hat. „Das ist unser Beitrag, weitere sind natürlich möglich und nötig“, unterstreicht Schmiedtchen gegenüber der Volksstimme. Im Jerichower Land soll es mehr als ein Dutzend größere Schafhalter geben. Die Tür des neuen Vereins stehe allen offen. Die erste Prüfung von Herdenschutzhunden steht für den 27. August im Kalender und findet wahrscheinlich bei Haldensleben statt. Schmiedtchen: „Wir müssen den Herdenschutz neu erlernen, das ist das A und O.“ Sachsen-Anhalts bündnisgrüne Umweltministerin Claudia Dalbert ist zur Premiere des Vereins eingeladen.

„Ich habe 1995 bei einem Überlebenstraining in den schwedischen Wäldern zum ersten Mal Wölfe heulen hören, ein unglaubliches Erlebnis.“ Noch etwas länger lebt der Physiker in Dolle (Landkreis Börde). Regelmäßig ist er in der Colbitz-Letzlinger Heide unterwegs und bringt Wildkameras an. Vor spätestens sieben Jahren habe der Wolf in die Heide zurückgefunden. Dreimal hat der Hochschullehrer selbst ein Exemplar gesehen, nicht mehr. „Wölfe sind von Natur aus scheu. Sind sie es nicht, stimmt etwas nicht.“ Die Wolfsschützer befürworteten etwa den Abschuss eines Wolfes mit dem Spitznamen „Kurti“ in Niedersachsen, der Menschen gefährlich nah gekommen war. Schmiedtchen und Mitstreiter unterstützen genauso das Ende von Wolf-Hund-Mischlingen in Thüringen, des Artenschutzes wegen.

Die Gesellschaft zum Schutz der Wölfe, ein eingetragener Verein, setzt auf den Herdenschutz aus Elektrozaun und imposanten Hunden. „Das Land sollte allerdings vor allem den Unterhalt der Tiere fördern. Fressen und Tierarzt kosten Geld.“ Der einmalige Zuschuss für die Anschaffung habe nur zu einem geführt: „Ein Hund kostet je nach Rasse zwischen 5000 und 7000 Euro, vor der Förderung lag der Preis unter 1000 Euro.“ Eine Initiative der Wolfsschützer für Hundepatenschaften soll den Schäfern helfen und die Akzeptanz für das Modell erhöhen. „Menschen im Jerichower Land oder anderswo zahlen monatlich zum Beispiel zehn Euro, bekommen ein Foto ihres Schützlings und tun Gutes.“ Das bedeute natürlich nicht, dass jedes Wochenende ein Ausflug zur Weide ansteht. „Die Schutzhunde sollen schließlich arbeiten und können dabei durchaus streng sein.“

Schmiedtchen sind keine Übergriffe des Rückkehrers Wolf auf Menschen in Deutschland bekannt. Für die Zeit davor scheint die sogenannte NINA-Studie aus dem Jahr 2002 ganz interessant. „Demnach sind neun Fälle für ganz Europa belegt, in denen ein Mensch von einem Wolf getötet wurde. Meistens waren die Tiere an Tollwut erkrankt.“ Von gesunden Wölfen gehe in der Regel keine Gefahr aus. „Meine Sorge: Menschen füttern Wölfe, diese verlieren die Scheu und schnappen irgendwann von sich aus nach dem Leberwurstbrot. Auch Beißvorfälle können wir nicht gebrauchen und sind vermeidbar.“ Das Berliner Theaterprojekt „Fräulein Brehms Tierleben“ habe genau das im Blick und richte sich vor allem an Kinder. Die GzSdW kann die Auftritte an Schulen in Landkreis und Land dank der Erbschaft eines langjährigen Mitglieds finanziell unterstützen.

Mehr als 500 gerissene Nutztiere bundesweit 2017, Ausgleichszahlungen der Länder pro Jahr im sechsstelligen Bereich, Ausgaben für Zäune und Hunde, für Schmiedtchen geht die Rechnung dennoch auf. „Der Wolf ist Teil des Biosystems, er sorgt für ein gewisses Gleichgewicht zwischen Beute und Beutegreifern.“ Mehr als 60 Rudel sollen wieder in Deutschland leben. Die Obergrenze liege irgendwo bei 440. „Es gibt diese Anzahl an Habitaten. Ein Rudel benötigt zwischen 250 und 300 Quadratkilometern und lässt auch kein anderes hinein“, wisse er aus Studien und dem Austausch mit Verhaltensforschern. „Wir können und müssen mit dem Wolf leben. Er gehört einfach dazu.“ In Fällen wie dem im Jerichower Land erschossenen Wolfes drohen dem Schützen eine Geldstrafe von bis zu 50.000 Euro und sogar Gefängnis.