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Zukunftsforschung Folgen der Digitalisierung

Zukunftsforscher Michael Carl in Lostau: "Das Maß der Veränderung ist unvorstellbar."

Von Anke Reppin 16.05.2019, 01:01

Lostau l Er empfinde es als Privileg, sich mit der Zukunft beschäftigen zu können, sagt Michael Carl den Gästen des Wirtschaftsrates Deutschlands im Lostauer Landgasthof. Es sei überfällig, über die Zukunft der Lebens- und Arbeitswelten zu sprechen.

Womit aber beschäftigt sich ein Zukunftsforscher? Mit den Auswirkungen der Digitalisierung, der sich verändernden Kommunikation und Interaktion der Menschen untereinander, sagt Carl und zeigt ein Diagramm, in dem elf Prozent der Unternehmen angeben, dass die Digitalisierung die Existenz ihres Unternehmens gefährdet. „Das stimmt mich traurig“, betont Carl. Es bedeute, dass 89 Prozent der Unternehmen in Deutschland nach wie vor die Folgen der Digitalisierung nicht begriffen haben. Selbstverständlich sei die Existenz aller Unternehmen in ihrer heutigen Form gefährdet. Und darüber hinaus die aller Organisationen, der Politik und jeden einzelnen Lebensbereiches, wie „wir ihn heute kennen“.

„Die Zukunft entwickelt sich exponentiell.“ Heißt: Einen geradlinigen, konstanten Anstieg gibt es nicht, vielmehr sorgt die Digitalisierung dafür, dass sich die Lebens- und Arbeitswelten frei und unbegrenzt weiter entwickeln. Das Maß der Veränderung sei nahezu unvorstellbar. Jeder könne sich zwar entscheiden, ob er diese Entwicklung mitgestaltet und ihre Chancen ergreift oder, ob er sich von ihr abzukoppeln versucht. Letzteres hält Carl jedoch nicht nur für gefährlich, sondern für schlicht nicht machbar. Denn aufzuhalten ist die Entwicklung nicht.

„In einigen Jahren wird alles um uns herum vernetzt sein“, ist sich Michael Carl sicher. Das „Internet of Everything“, die komplette Verknüpfung zwischen Menschen, Prozessen, Daten und Gegenständen, wird dann Alltag sein. „Einmal nicht vernetzt sein“ werde in Zukunft allenfalls als Wellnessangebot für Gestresste existieren, die Ausnahme sein.

Carl trägt ein Zitat des Bioinformatikers Audrey de Grey vor: „Der erste Mensch, der 1000 Jahre alt werden wird, ist heute vermutlich schon geboren.“ Das sei vielleicht übertrieben, schränkt er ein, aber 250 Jahre seien es „ganz sicher“. Warum er das glaubt? Weil sich die Genanalyse, die Möglichkeit der Veränderung von Genen (Genschere) und der Druck von individuell auf den Patienten abgestimmten 3-D-Organen immer weiter entwickeln. „In der Zukunft werden wir uns vorsorglich ein neues Herz drucken lassen, um es rechtzeitig auszutauschen. Und wir können uns zum Beispiel wünschen, dass es leistungsfähiger ist als das alte“, so Carl. „Und für die Männer: wenn Sie sich das mit einem Herzen nicht vorstellen können, dann versuchen Sie es mit einer Leber.“

Am Wake Forest Institute in North Carolina arbeitet der Forscher Anthony Atala seit Jahren erfolgreich am Druck von Organen. Er nutzt dafür körpereigene Zellen, was eine Abstoßung der gedruckten Organe verhindert. „Maßgeschneiderte Ersatzteile für den menschlichen Körper“ sind nach seiner Einschätzung lediglich eine Frage der Zeit.

Auch die Entwicklung so genannter Brain-Machine-Interfaces, also Schnittstellen zwischen dem menschlichen Gehirn und Computern, werde ein langes Leben ermöglichen, sagt Zukunftsforscher Michael Carl in Lostau, zumindest aber die Übertragung des kompletten Datensatzes eines Gehirns auf ein anderes Medium. Ein Raunen geht durch den Saal des Landgasthofes. Wer das denn wolle?

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„Es gibt keinerlei Grund zu glauben, dass sich solche Technologien nicht durchsetzen“, betont der Zukunftsforscher dennoch. Die Kommunikation mit Maschinen sei der Kommunikation mit Menschen weit überlegen. Smarte Intelligenz kann Anliegen schon heute um ein Vielfaches besser erfassen als der Mensch. Die App „Ada, Deine Gesundheitshelferin“ nutzt smarte Intelligenz, um mehr als 12.000 Krankheitssymptome zu kombinieren und erfasste Daten auszuwerten, um eine Diagnose zu stellen. „Das kann ihr Hausarzt ganz sicher nicht“, sagt Carl. Der zukünftige, individuelle Gesundheitsassistent aber schon. Er wird die Daten eines Menschen über Jahre hinweg erfassen, auswerten, kombinieren und erheblich passgenauere Therapien finden als es Ärzte heute vermögen.

Überhaupt sei die Zukunft vor allem eines: individuell, betont Michael Carl. Sie bedeute das Ende von Standardprodukten und die Einführung adaptiver, das heißt sich an den Kunden anpassender Produkte. Quasi die Weiterentwicklung von „Kunden, die dieses Produkt kauften, kauften auch…“ oder adaptiver Werbung im Internet.

Wo im Gesundheitsbereich Pflegekräfte fehlen, da können künftig Pflegeroboter die Arbeit übernehmen, erklärt Carl und erntet einmal mehr skeptische Blicke. Wer will schon von einem Roboter gepflegt werden?

„Es wird normal sein, dass wir künftig in menschlich-digitalen Teams arbeiten“, sagt Carl. Und das mache unter anderem die Pflege von Menschen menschlicher denn je, weil die Roboter die Bedürfnisse der zu Pflegenden nicht nur besser erfassen, sondern auch schneller und viel zuverlässiger befriedigen könnten.

„Die Frage ist nicht, was alles geht. Die Frage ist, was Unternehmen und Gesellschaft daraus machen“, betont der Zukunftsforscher. Und gibt folgenden Rat: „Kaufen Sie heute für 50 Euro Kryptowährung. Und wenn Sie nicht wissen, was das ist und wie das geht: das ist genau der Punkt. Finden Sie es raus - Sie werden es zukünftig brauchen.“