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Tarifvertrag „Auf Augenhöhe“ mit der Chefetage

Im Gardeleger Tochterunternehmen der Boryszew Group gibt es erstmals einen Tarifvertrag. Flächentarif ist aber noch nicht erreicht.

Von Gesine Biermann 20.11.2015, 02:00

Gardelegen l Monatelange Verhandlungen zwischen der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) haben ein für alle Seiten offenbar zufriedenstellendes Ende gefunden: „Die Boryszew Kunsstofftechnik Deutschland GmbH in Gardelegen ist mit Wirkung vom 1. November 2015 erstmalig seit Bestehen des Unternehmens tarifgebunden“, teilte am Mittwoch Gewerkschaftssekretär Jan Melzer mit

Abgeschlossen wurden nach fast achtmonatigen Verhandlungen vier Haustarifverträge, und zwar ein Manteltarifvertrag über die Rahmenarbeitsbedingungen, ein Entgeltrahmentarifvertrag, der die Eingruppierungsgrundsätze regelt „und damit gleiches Geld für gleiche Arbeit“, wie Melzer betonte. In einem Entgelttarifvertrag sind die Einkommen in den jeweiligen Entgeltgruppen verankert und im Tarifvertrag Jahressonderzahlung, wie auch das zuvor umstrittene Weihnachtsgeld. Um die Jahresprämie hatte es vor rund einem Jahr nämlich große Auseinandersetzungen im Unternehmen gegeben. Nachdem die Geschäftsführung die Betriebsvereinbarung gekündigt und die Weihnachtsgratifikation nur anteilig bezahlt hatte, hatten viele Arbeitnehmer dagegen geklagt. „Die meisten davon, rund 400, als Gewerkschaftsmitglieder“, wie Melzer betonte.

Zwar war das Unternehmen zur Nachzahlung verurteilt worden. Den Vertrauensbruch hatte ein Großteil der Belegschaft der Geschäftsführung allerdings schwer übelgenommen, wie zahlreiche Reaktionen in Leserzuschriften an die Volksstimme zeigten. Bereits ein Jahr zuvor hatte eine von der Chefetage gekippte Pausenregelung für Unmut gesorgt. Es hagelte immer wieder offen Kritik an der Umgangsweise Vorgesetzter mit ihren Mitarbeitern. Das alles scheint nun aber der Vergangenheit anzugehören. Mit dem jüngsten Tarifabschluss haben offenbar auch viele Probleme zwischen Belegschaft und Chefetage in Gardelegens größtem Unternehmen ein Ende gefunden. Nachdem die Geschäftsführung im Dezember 2014 in Tarifverhandlungen für die Beschäftigten eingewilligt hatte, habe man diese „gemeinschaftlich“ zu diesem vorläufigen Abschluss geführt, beschreibt Jan Melzer, „und zwar auf Augenhöhe, das war das Entscheidende“. In der Tat ein großes Lob eines Gewerkschafters an die Geschäftsführung. Er kenne aber tatsächlich „auch ganz andere Arbeitgeber“, versicherte Melzer gestern im Volksstimme-Gespräch.

Betriebsratschef und Tarifkommissionsmitglied Michael Hörauf zeigte sich gestern auf Nachfrage besonders froh darüber, dass es nun wieder eine sichere Betriebsvereinbarung im Unternehmen gibt. Die unteren Verdienstgruppen könnten sich sogar „über einen kleinen Zuwachs beim Lohn freuen, da haben wir auch ein bisschen was machen können“. Niemand im Unternehmen erhalte nunmehr nur den Mindestlohn, so Hörauf, der mit dem „rechtlich sicheren, gerechten Tarifsystem“, vor allem auch zukünftig Fachkräfte in Gardelegen halten will – wenngleich auch der Flächentarif der Branche noch lange nicht erreicht sei.

Natürlich gebe es auch nach den jüngsten erfolgreichen Verhandlungen noch einige „Baustellen“, gab auch Gewerkschafter Jan Melzer zu. Der Haustarifvertrag sei aber „eine Basis, auf der wir weiterarbeiten können“. Gültig ist er bis zum Herbst des kommenden Jahres. Dann sei er – theoretisch – kündbar, erinnerte Melzer. Gestern wurde während einer Betriebsversammlung schließlich auch die Belegschaft über den Abschluss der Verträge in Kenntnis gesetzt.