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Grundschulärger Rote Nase für den Klassenkasper?

In den vergangenen Monaten gab es an der evangelischen Grundschule in Gardelegen Situationen, die bei Eltern Fragen laut werden lassen.

Von Gesine Biermann 15.12.2018, 05:00

Gardelegen l Er geht gern in seine erste Klasse. Stolz erzählt er jeden Tag, was er gelernt hat. Doch plötzlich sind da diese seltsamen „Bauchschmerzen“, wenn er morgens los muss. Seine Mutter wundert sich. Redet ihm gut zu. Fragt nach. Doch er will nichts erzählen. Irgendwann bricht es dann doch aus dem Siebenjährigen heraus: Er wird von Mitschülern verprügelt. Regelmäßig. Seine Eltern sind fassungslos. Noch mehr, als die Lehrerin zugibt, davon zu wissen. Sie könne aber nichts machen, sagt sie, habe die Kinder schon mehrfach belehrt, doch die würden nicht hören. Die Eltern, die der Volksstimme davon berichten, möchten ihren Namen nicht in der Zeitung lesen. Sie haben ihren Sohn mittlerweile von der Schule genommen.

Im Unterricht in einer anderen Klasse treibt ein Junge Schabernack. Die Lehrerin holt ihn nach vorn, setzt ihm eine rote Nase auf und stellt ihn vor die Klasse. Alle lachen ihn aus. Viele Eltern sind schockiert. „Das ist an einer christlich orientierten Grundschule passiert, das will uns nicht in den Kopf“, sagt die Mutter eines der Klassenkameraden des Jungen (Name der Redaktion bekannt).

Auch ein Brief der Schulleitung an die Eltern der Zweitklässler sorgt für Empörung. Darin verwahrt sich Direktorin Katrin Niemeyer gegen Gerüchte, dass Lehrer mit der Aufsicht über die Schüler bei einer Klassenfahrt überfordert gewesen wären und bittet die Eltern, solche „falschen Beschuldigungen in Zukunft zu unterlassen.“ „Wir wurden damit ja alle unter den Verdacht gestellt, dass wir hier falsche Anschuldigungen verbreiten“, sagt eine Mutter empört. Ratlosigkeit herrscht auch bei anderen Eltern. Denn natürlich werden diese Vorfälle weiter getragen, werden in der Elternschaft ausgewertet und besprochen.

Als Ausgangspunkt sehen viele Eltern falsche Personalentscheidungen. Die Fluktuation innerhalb der Lehrerschaft sei hoch, bemängeln sie. Englischunterricht ab der ersten Klasse – noch vor acht Jahren Alleinstellungsmerkmal – findet seit Monaten nicht mehr statt. Die Lehrerin ist in Elternzeit. Die Hortbetreuung funktioniert nur noch, weil Lehrer einspringen. Die Eltern wurden gebeten, wenn möglich ihre Kinder aus dem Hort zu nehmen. In der vierten Klasse wird eine Wochenstunde Deutsch zu wenig unterrichtet, dafür eine Stunde Mathe mehr. Im zweiten Halbjahr soll ein Ausgleich erfolgen, doch dann wird ein Lehrer die Schule bereits wieder verlassen haben. „Wie also soll das funktionieren?“, fragt die Mutter eines Viertklässlers besorgt. Dann nämlich gibt es nach jetzigem Stand nur noch drei Lehrer für vier Klassen und Honorarkräfte für Sport oder Musik.

Der Englischstoff sei vorgearbeitet worden, die individuelle Verteilung von Stunden gebe es in vielen Schulen, „und wir haben nach wie vor volle Stundentafeln“, betont Katrin Niemeyer, die die Schule seit gut sechs Jahren leitet. Die Hortbetreuung sei tatsächlich schwierig, aber abgesichert. In Absprache mit dem Jugendamt habe man deshalb die Eltern um Unterstützung gebeten.

„Aber es stimmt schon, wir würden uns freuen, wenn wir eine Aushilfshonorarkraft finden würden“, räumt Michael Bartsch, Vorstandsvorsitzender der Evangelischen Johannes-Schulstiftung ein. Er sei aber optimistisch, dass Lösungen gefunden werden.

Die jüngsten Vorkommnisse an der Schule – auch die Sache mit der roten Nase – bedauere er zudem sehr, betont Bartsch. „Grundsätzlich ist es natürlich nicht so, dass wir keine Fehler machen, wichtig ist aber, wie man damit umgeht. Es bringt ja auch nichts, wenn wir sagen: Da ist nichts gewesen.“ Die Begebenheit bezeichnet Bartsch zudem ganz klar als „pädagogische Fehlleistung“. Deshalb sei es nun nötig, „dass man mit den Eltern gemeinsam den Sanktionskatalog durchgeht“. Mit den Eltern des betroffenen Schülers sei im Nachgang ein „sehr produktives Gespräch“ geführt worden. „Was natürlich öffentlich geredet wird, liegt nicht in unserer Hand.“

Sie habe den Vorfall längst als abgeschlossen angesehen, betont Schulleiterin Katrin Niemeyer. Die Reaktion der Lehrerin sei pädagogisch anzuzweifeln, aber sie habe dennoch vollstes Vertrauen in die Kollegin. Und eines ist ihr wichtig: „Die Schüler wurden nicht aufgefordert zu lachen!“

In einer Projektwoche sei zudem das Thema respektvoller Umgang noch einmal aufgegriffen worden. Dabei sei die rote Nase aber kein Thema mehr gewesen, die Kollegin habe sich auch nicht bei dem Jungen entschuldigt, räumt Niemeyer auf Nachfrage ein.

Schwer wiegen für Schulleiterin und Stiftungschef indes offensichtlich die Vorwürfe, dass ein Schüler vom Mitschülern verprügelt worden sein soll. Da möglicherweise der Vorwurf der verletzten Aufsichtspflicht im Raum stehe, bitte er um Verständnis, dass es dazu keine Äußerung geben werde, sagt Bartsch. Die Eltern hätten das Kind abgemeldet, bestätigt Niemeyer. An sie persönlich hätte sich in dieser Sache aber niemand gewandt. Sie selbst habe aber auch keinen Kontakt zu den Eltern gesucht.

Die Stiftung habe die jüngsten Vorfälle nun zum Anlass genommen, „im nächsten Schuljahr Bildungsexperten aktiv mit ins Boot zu holen“, sagt Bartsch. „Wir sind auch im Kontakt mit dem Landesschulamt.“ Die Frage, die sich jetzt stelle, sei, „wie wir das Vertrauen in das Klima der Schule wieder stärken können.“

Die Projektwoche kam bei vielen involvierten Eltern in diesem Zusammenhang schon mal gut an. „Kinder, die so etwas miterlebt haben, müssen aufgefangen werden“, sagt Anja Freist, Schulelternratsmitglied, Elternbeirat und als Kitaleiterin selbst Pädagogin. Sie sei froh, dass sich was bewegt, dass man die Vorkommnisse erkannt hat und sehe, „dass oberflächliche Elterngespräche nicht reichen“.

Auch Petra Müller und Oliver Teßmer, Gründungsmitglieder des Schulfördervereines, der die evangelische Grundschule vor zehn Jahren ins Leben rief, sehen die jüngsten Vorfälle mit Sorgen. Der Förderverein distanziere sich davon und habe den Schulträger aufgefordert, zu reagieren, macht Vereinschef Teßmer klar. Er lobt indes auch den „kurzen Draht“, zwischen Eltern und Schule. Das sei nicht überall so. Zudem gebe es nach wie vor viele begeisterte Schüler und Eltern, er selbst zähle sich auch dazu.

„Wir finden es völlig inakzeptabel, was da an unserer Schule passiert“, macht Fördervereinsvorstand Petra Müller auch als Leiterin der evangelischen Kita Arche Noah klar, deren Schützlinge häufig an die benachbarte evangelische Grundschule wechseln. In ihrer Funktion müsse sie darauf vertrauen können, dass „die Kultur des Lernens und des Respektes“, die in der Kita herrsche, auch in der Schule weitergeführt werde. „Wir haben ein großes Interesse daran, dass die Schule eine Option und Wahlmöglichkeit für die Eltern bleibt. Deshalb gehen wir davon aus, dass lösungsorierte Dinge passieren werden.“