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Hafturlaub Auf Probe entlassen und zugeschlagen

Ein verurteilter Schläger wird aus dem Maßregelvollzug zum "Probewohnen" nach Gardelegen entlassen und schlägt sofort wieder zu.

Von Gesine Biermann 12.10.2018, 23:00

Gardelegen l Es ist eine Schlägerei mitten auf der Straße. In einem belebten Bereich der Innenstadt. Und zwar am helllichten Tag. Ein 26-jähriger Mann schlägt am 19. September in Gardelegen einen viel älteren Mann zusammen. Der 52-Jährige wird dabei so schwer im Gesicht verletzt, dass er mit dem Rettungswagen umgehend ins Gardeleger Altmark-Klinikum gebracht werden muss.

Der Täter will fliehen, wird aber von einem couragierten Zeugen unweit des Tatortes auf- und festgehalten, bis die Polizei eintrifft. Die Beamten wiederum machen kurz darauf bei der Aufnahme der Anzeige im Rahmen ihrer Ermittlungen eine ziemlich beunruhigende Feststellung: Der Schläger ist derzeit eigentlich noch im Maßregelvollzug untergebracht, soll in Gardelegen bei einem sogenannten Probewohnen allerdings an eine Entlassung in die Freiheit gewöhnt werden.

Die Volksstimme berichtet am Folgetag im Rahmen des Polizeiberichtes über den Vorfall. Daraufhin fragen zahlreiche Leser empört: „Wie ist sowas denn überhaupt möglich?“

Auf Nachfrage versucht Oberstaatsanwalt Frank Baumgarten, Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Magdeburg, den Vorfall zu erklären: Der Betroffene, so erläutert Baumgarten, sei 2014 wegen Gewaltdelikten zu einer vierjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden, gleichzeitig sei seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden.

Nachdem zunächst ein Teil der Freiheitsstrafe in einer Haftanstalt vollstreckt worden war, sei der Mann Ende 2015 in das Landeskrankenhaus Bernburg zur Vollziehung der Maßregel überführt worden.

Dort habe sich „der Vollzugsverlauf positiv gestaltet“, so dass dem Gewalttäter ab Ende 2017 Vollzugslockerungen gewährt worden seien – in seinem Fall Ausgang und Urlaub. Diese „verliefen problemlos“, betont Baumgarten. In Folge dessen habe das Landeskrankenhaus Bernburg das Wagnis eines Probewohnens befürwortet. „Die Staatsanwaltschaft stimmte als verantwortliche Vollstreckungsbehörde zu.“ Daraufhin durfte der Straftäter ab August 2018 in einem Gardeleger Wohnheim leben und auch ein und ausgehen.

Zu dem Vorfall am 19. September sei es „im Rahmen eines genehmigten Stadtganges“ gekommen, bei der der Betroffenen „auf eine ihm bekannte Person getroffen“ sei und sich zu einer neuen Gewalttat hinreißen lassen habe. „Das Motiv ist im familiären beziehungsweise persönlichen Bereich zu suchen“, betont Baumgarten.

Nach dem Vorfall in Gardelegen ist der 26-Jährige sofort wieder im geschlossenen Maßregelvollzug in Bernburg untergebracht worden. „Unabhängig des Ausgangs des neuen Verfahrens wird derzeit entschieden, ob er weiter im Maßregelvollzug bleibt oder seine (Rest)Strafe in einer Haftanstalt weiter verbüßt“, informiert der Oberstaatsanwalt.

Doch wenn der Betroffene in Gardelegen einen Bekannten traf, hat er sein Probewohnen dann auf eigenen Wunsch in Gardelegen begonnen? Und war es wirklich sinnvoll, ihn wieder in die Nähe einer augenscheinlich so problembehafteten Umgebung zu entlassen?

Auf diese Fragen findet Baumgarten nur sehr ausweichende Antworten: „Der Erprobungsort“ werde durch die Vollzugseinrichtung und die Strafvollstreckungsbehörde vorgegeben und richte sich nach Eignung beziehungsweise Kapazität der Einrichtung. „Der schwelende Konflikt zwischen dem Betroffenen und dem Tatopfer war so nicht bekannt“, die tätliche Auseinandersetzung sei somit nicht vorhersehbar gewesen.

Für das Opfer, einen 52-jährigen Gardeleger, hatte sich diese fehlende Information allerdings als fatal herausgestellt.