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Pfarrer im Ruhestand Bernd Richter feiert morgen seine silberne Ordination In der alten Heimat eine neue gefunden

Von Donald Lyko 16.07.2011, 06:33

Vor 25 Jahren wurde Pfarrer im Ruhestand Bernd Richter ordiniert. Dieses Jubiläum wird morgen in seinem alten und seit einigen Jahren auch wieder neuen Heimatort Algenstedt mit einem Gottesdienst gefeiert. Nach Jahrzehnten auf der anderen Seite der Mauer war Bernd Richter nach deren Fall in die altmärkische Heimat heimgekehrt.

Algenstedt. "Da, das bin ich", sagt Bernd Richter und zeigt auf seinen Namen. Er steht in der obersten Reihe des Stammbaumes der Familie Schulz, der Familie mütterlicherseits, die in Algenstedt bis zum Dreißigjährigen Krieg im 17. Jahrhundert nachweisbar ist. Sogar in dem Haus, in dem Bernd Richter seit Jahren mit seiner Frau Anne-Dore wieder wohnt. Doch bis zum Wiedereinzug in das Gebäude, das zeitweise den Algenstedter Kindergarten beherbergt hat, gingen einige Jahrzehnte ins Land. Jahrzehnte, die der am 6.Oktober 1951 in Gardelegen geborene Bernd Richter im anderen Teil Deutschlands verbrachte.

"... als ¿Ketzer\' und ¿evangelischer Flüchtling\' beschimpft"

"Meine Eltern gehörten zu den größeren Bauern im Ort", erzählt der Pfarrer. Weil diese Bauern im beginnenden Sozialismus unter Druck gesetzt worden seien, "sind von den zehn Großbauern im Ort acht geflüchtet", erinnert sich Bernd Richter. Auch seine Familie ging diesen Weg, floh Ende 1953. "Mit der Kleinbahn sind wir von Neuendorf am Damm nach Stendal gefahren, dann weiter nach Berlin und mit der S-Bahn in den Westen." In Berlin angekommen, erkrankten er und seine Schwester. Bernd Richter hat die schwere Kinderkrankheit überlebt, seine Schwester nicht. Verzögert wegen der Erkrankung, wurden Richters erst am 16. Juni 1953 - einen Tag vor dem Arbeiteraufstand im Osten - nach Westdeutschland ausgeflogen. Es folgten Aufenthalte in mehreren Aufnahmelagern, bevor die Familie im Oktober 1954 eine Mietwohnung bezog - in Billerbeck in Westfalen.

Die erste Zeit im "goldenen Westen" war auch für den Jungen Bernd nicht einfach. "Es war eine katholische Gegend, da wurde ich als ¿Ketzer\' und ¿evangelischer Flüchtling\' beschimpft", erzählt der heute 59-Jährige. Wegen der Anfeindungen entschlossen sich die Eltern, "mit ganz viel Willen und Energie", ein eigenes Haus zu bauen. In den Neubau im westfälischen Dülmen zogen Richters im Jahr 1959 ein, da gehörte auch schon ein zweiter Sohn zur Familie.

Nach der Schule führte der Weg Bernd Richters nicht gleich zur Theologie, sondern erst zu einer Banklehre. Als er den Abschluss als Sparkassen-Kaufmann in der Tasche hatte, machte er das Fachabitur und absolvierte anschließend ein Studium zum Religionspädagogen. Um sich das Studium zu finanzieren, gab er Religionsunterricht. "Dann schloss sich das Theologiestudium an", sagt Bernd Richter. Der berufliche Wechsel vom Bankgeschäft zur Theologie sei für ihn damals "ein folgerichtiger Schritt" gewesen. Den Grundstein habe die kirchliche Kinder- und Jugendarbeit in seiner damaligen Gemeinde gelegt, erzählt Richter. "Zudem war meine Großmutter eine sehr fromme Frau, die ich sehr geachtet habe." Sie hat ihm viele biblische Geschichten erzählt. Das half dem jungen Mann später beim Konfirmandenunterricht. Unter den etwa 90 Konfirmanden seines Jahrganges wurde er ausgezeichnet für "mein ziemlich gutes Wissen".

Noch während der Banklehre war er zum Vorsitzenden des Jugendchores Dülmen gewählt worden. Der Chor hatte auch biblische Musicals im Repertoire. "Darum gab es eine sehr gute Zusammenarbeit mit den Pfarrern." Bernd Richter engagierte sich mehr und mehr in der christlichen Jugendarbeit, machte daraus sogar das Thema seiner Diplomarbeit als Religionspädagoge: internationaler Jugendaustausch als Aufgabe evangelischer Jugendarbeit. Richters Maxime: "Wenn man sich kennt, schießt man nicht aufeinander."

Nach dreijährigem Vikariat in Münster wurde er am 12. Juli 1986 in Waltrop - Gardelegens spätere Partnerstadt - ordiniert. "Dann habe ich ein Jahr lang die Jugendarbeit aufgebaut", so der Algenstedter. Bei seiner gesamten Arbeit habe er immer eine Devise gehabt: "Christliche Gemeinschaft kann etwas bewegen." Und auch die Jugendarbeit hat ihm während der gesamten Dienstzeit am Herzen gelegen. Mit Kollegen hat er zum Beispiel Konfirmanden darin geschult, selbst den Konfirmandenunterricht zu halten und zu gestalten.

Ein Jahr nach der Ordination wurde Bernd Richter im Bochumer Stadtbezirk Wattenscheid als Gemeindepfarrer eingeführt. Dort arbeitete er bis Ende Oktober 2009. Denn die westfälischen Landeskirche bot Pfarrern der Geburtsjahre 1950/51 an, schon mit 58 in den Ruhestand zu gehen, um so für junge Pfarrer freie Stellen zu schaffen. Bernd Richter nahm dieses Angebot an. Auch, weil er so mehr Zeit für sein neues Vorhaben hatte: den neuen Lebensabschnitt in Algenstedt.

Im Jahr 1993 hatte er das Familienanwesen in der Altmark wieder übernommen. Stück für Stück wurden die Gebäude renoviert. Im September 2009 zog Bernd Richter dann endgültig um, nachdem er und seine Frau immer schon ihre Ferien dort verbracht hatten. Im vorderen Gebäude des Hofes wohnt eine befreundete Pfarrerin im Ruhestand, Marlies Höhne, die bis dahin keine Beziehung zur Altmark hatte. Sie hatte ursprünglich geplant, von Algenstedt aus oft zu Bekannten zu reisen. Doch dazu kommt es kaum, "weil sie es hier so schön findet", erzählt Bernd Richter.

"Wir sind in den vergangenen Jahren kreuzfahrtsüchtig geworden"

Den Kontakt in die Altmark hatten Richters auch in den Jahrzehnten nach ihrem Weggang nicht abreißen lassen. "Mit meinen Eltern war ich seit den 60er Jahren mindestens einmal pro Jahr in der DDR", erzählt der Pfarrer. Die Reisen führten oft nach Holzhausen und Lindstedterhorst, wo die Familie Verwandte hatte. "Am zweiten Weihnachtstag 1989 sind wir zum ersten Mal ohne Einreiseerlaubnis hergekommen."

Noch führt das Ehepaar eine Wochenendehe, denn Anne-Dore Richter arbeitet als Pflegedirektorin zweier Krankenhäuser in Essen. Aber in wenigen Wochen geht auch sie in Altersteilzeit. Dann haben beide noch mehr Zeit für ihre Hobbys. "Garten, Hund, Auto, Reisen", zählt Bernd Richter diese auf. Zum Anwesen gehört ein großer Garten, in dem es immer etwas zu tun gibt. Das große Grundstück bietet auch Hund Knut viel Auslauf. Richters hatten den spanischen Hütehund der Rasse Bardino aus dem Tierheim geholt. Im Herbst kommt ein zweiter Hund dazu.

"Wenn wir von der Atlantiküberquerung zurück sind", erklärt der 59-Jährige und bekennt: "Wir sind in den vergangenen Jahren kreuzfahrtsüchtig geworden." Immer im Januar sind sie mit dem Schiff rund um die Kanaren unterwegs, auch die südliche Karibik haben sie bereist. Für nächsten Monat ist eine Kreuzfahrt auf der Ostsee geplant und für September, wie gesagt, die Tour über den Atlantik. "Und für den Februar im nächsten Jahr steht schon die nordwestliche Karibik fest", blickt Bernd Richter voraus.

Eine Flugreise führte das Paar 2008 für vier Wochen nach Ecuador. "Dort lebt unser Leasing-Sohn", sagt der Pfarrer und holt ein Bild. Das zeigt einen jungen, lächelnden Mann. "Er heißt David und war ab Juli 2006 für ein Jahr als Austauschschüler in unserem Haushalt." Seither kommt er jedes Jahr nach Deutschland, demnächst wieder für sechs Wochen. "Seinen Bachelorabschluss als Bauingenieur hat er schon. Er möchte den Master jetzt gern in Magdeburg machen", so Richter. Eigene Kinder waren ihm und seiner Frau nicht vergönnt. Und als das Paar sich als Adoptiveltern beworben hatte, war es wegen des Alters abgelehnt worden.

"Schon als Student habe ich immer gern im Chor gesungen"

Beim Aufzählen seiner Hobbys hat Bernd Richter noch ein ganz wichtiges vergessen: Chorgesang. "Schon als Student habe ich immer gern im Chor gesungen", sagt er und nennt die Kantorei in Wattenscheid und die Kantorei der Apostelkirche Münster als Beispiele. Jetzt singt er im Lindstedter Kirchenchor und im Lindstedter Männerchor.

Der Weggang von Wattenscheid und der Umzug nach Algenstedt waren für Bernd Richter ein klarer Schnitt. "Vorbei ist vorbei", antwortet er auf die Frage, ob er noch regelmäßig seine alte Kirchengemeinde besucht. Er hat jetzt in der Altmark seine neue, alte Heimat gefunden. Hier hilft er seiner Amtskollegin aus Lindstedt, Pfarrerin Johanna Brilling, vertritt sie. Denn auch im Ruhestand bleibt ein Pfarrer ein Pfarrer, selbst wenn er keine Pfarrstelle mehr besetzt - die Ordination gilt auf Lebenszeit.

Morgen wird Pfarrerin Johanna Brilling zusammen mit Superintendent Matthias Heinrich in der Algenstedter Kirche einen Gottesdienst gestalten, der um 10.15 Uhr beginnt. Der Festgottesdienst findet anlässlich der silbernen Ordination von Bernd Richter statt. Freunde und Kollegen aus Wattenscheid werden kommen und Verwandte aus Berlin, dazu Pfarrerkollegen aus der Umgebung.