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Integration Wichtiges Thema - aber keiner kommt

Die Ausstellung "Kulturelle Selbsterfahrung in der neuen Heimat" ging mit einem Vortrag der Organisatorin zu Ende.

Von Petra Hartmann 10.10.2018, 03:00

Gardelegen l Gähnende Leere am Montagabend in der Bibliothek. Die Schautafeln mit den Bildern von Jugendlichen aus Magdeburg und jungen Migranten, die in der Stadt eine neue Heimat suchten und fanden, sind noch nicht abgebaut. Referentin Katrin Nodorf, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Uni Magdeburg am Beamer erzählt etwas über das Projekt der Otto-von-Guericke-Universität. Aber nur fünf Zuhörer haben sich an diesem Abend eingefunden, an den Gardelegern scheint das Thema vollkommen vorbei gegangen zu sein.

Ein Phänomen, das sich seit Eröffnung der Ausstellung am 17. September beobachten ließ. Schon die Auftaktlesung des syrischen Schriftstellers Ammar Awaniy lockte nur gut eine Handvoll Zuhörer in die Bibliothek. Auch die Ausstellung selbst hätten nur sehr wenige Besucher angeschaut, wie Bibliotheksleiterin Laura Zerneke berichtete. Wenn Schulklassen zum Arbeiten in die Bibliothek gekommen seien, hätte manchmal der Lehrer einen Blick auf die Schautafeln geworfen. Einzig der Kalligrafie-Workshop hätte zahlreiche Teilnehmer gehabt, so Zerneke.

Die Resonanz sei in keiner Weise vergleichbar gewesen mit der Ausstellung „Die Rosen von Ravensbrück“, die im Frühjahr in der Bücherei zu sehen gewesen sei. Beide Ausstellungen waren von der Gedenkstätte Feldscheune Isenschnibbe nach Gardelegen geholt worden.

„Kulturelle Selbsterfahrung in der neuen Heimat“ war ein Projekt der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Studenten und junge Migranten aus Syrien, dem Irak, dem Iran, Afghanistan und Libyen entdeckten gemeinsam die Stadt Magdeburg und waren auf der Suche nach Heimat. In ihrem Vortrag stellte Katrin Nodorf nun die Hintergründe und das Konzept vor. Sie berichtete, wie die Jugendlichen den Weg von der Natur zur Zivilisation nachvollzogen und entdeckten, dass es in Deutschland offenbar überall in der Natur befestigte Wege gibt.

Geborgenheit war ein wichtiges Stichwort auf der Suche nach Heimat, das Erfahren von Gemeinschaft und das Entdecken des neuen Landes mit allen fünf Sinnen. Für die Jugendlichen, die sich in der Zeit von April 2016 bis Januar 2017 die Stadt anschauten, auf jeden Fall eine Entdeckungsreise, die wertvolle Erfahrungen und eine Hilfe beim Ankommen in Deutschland bot.

Heimat – was ist das eigentlich? In jeder Sprache gebe es Wörter wie „Muttererde“ oder „Vaterland“, führte Nodorf aus. Heimat, das bedeute „familiäre Verbundenheit mit konkreten Orten, auch mit Menschen an diesen Orten“. Sie sei überaus wichtig für die Identität eines Menschen, nicht nur für die Frage: „Wer bin ich?“, sondern auch für die Fragen „Wer will ich sein“ und „Wer will ich werden?“ Migration sei eine universelle menschliche Erfahrung, ja inzwischen geradezu ein „Prototyp moderner Lebensführung“ und der Versuch einer grundlegenden Einflussnahme auf das eigene Leben, betonte Nodorf.

Ein wichtiges Thema des Vortrags und der anschließenden Diskussion war die Situation der Lehrer, die zumeist vollkommen unzureichend auf den Umgang mit jungen Migranten vorbereitet sind. „Die Lehrkräfte in Deutschland sind in einem Lernprozess“, stellte Nodorf fest. Die Rahmenbedingungen und Herausforderungen interkulturellen Lernens seien vor allem darum problematisch, weil es keine entsprechenden Zusatzqualifikationen für Deutschlehrer – und Lehrer anderer Fächer – gebe.

Ganz wichtig sei es, mit den Schülern unterwegs zu sein und für sie die Umgebung erfahrbar zu machen: „Ich gehe durch Gardelegen, und ich muss den Schülern erklären, warum auf dem Ortsschild ‚Hansestadt‘ unter dem Stadtnamen steht“, nannte sie als Beispiel.

Sehr aufmerksam wurden die Zuhörer, als Katrin Nodorf die aus dem Projekt entstandene Lehrerbroschüre mit Arbeitsblättern für den Unterricht vorstellte. Die Gardeleger Bürgermeisterin Mandy Zepig nahm gleich zwei davon mit, eine für die Gardeleger Integrationsbeauftragte. Vielleicht findet sich das Heimatprojekt bald an Gardeleger Schulen wieder.