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Zehnt-und Elftklässlerinnen des Gymnasiums führen durch Ausstellung über 17. Juni 1953 Legendäre Tage, die zur Tragödie wurden

Von Anke Kohl 18.06.2013, 03:18

Der 17. Juni 1953 - ein geschichtsträchtiger Tag in der Vergangenheit der Deutschen Demokratischen Republik. Diesen arbeiteten Schüler der zehnten und elften Klassen des Gardeleger Gymnasiums gemeinsam mit ihren Lehrern auf.

Gardelegen l Ganz neue Informationen und Einblicke in das Thema des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953 bekam der Schulleiter des Geschwister-Scholl-Gymnasiums in Gardelegen, als er sich - sozusagen inkognito - schon vorab an den Tafeln für die Ausstellung informierte. Das gab er gestern Vormittag zur Eröffnung der Ausstellung in der Aula des Gymnasiums unumwunden und gern zu.

Er selbst sei ja in genau diesem System, gegen das sich der Unmut des Volkes an jenem Tag entlud, aufgewachsen. Nahezu totgeschwiegen worden sei das Thema während seiner Schulzeit, sagte er, der 1955 geboren wurde. Von einem ferngesteuerten, faschistischen Putsch wurde in seinem Geschichtsunterricht damals gesprochen. Und das dieser anscheinend nur in den großen Städten und Industriezentren vom kapitalistischen Feind des Arbeiterstaates angezettelt worden sei, war ihm gelehrt worden. Auf dem flachen Lande, in den ländlichen Regionen der Altmark habe dergleichen nicht stattgefunden, hieß es immer. Dass dem nicht so war, bestätigte Dietmar Collatz. Wenn auch in nicht so spektakulärem Rahmen wie in den Zentren Berlin, Halle oder Görlitz, so hatte es doch lautstarke Proteste in Salzwedel oder Stendal beispielsweise gegeben.

Dass Schüler für Schüler diese Ausstellung gemacht haben, darüber freute sich Collatz besonders und bedankte sich insbesondere bei Vanessa Knies, Franziska Bauke, Marlene Giggel, Karina Potthast und Hanna Gäde, die gemeinsam mit Geschichtslehrerin Andrea Müller die Exposition vorbereitet haben. In Abwesenheit von Franziska Bauke führten die vier Zehnt- und Elftklässlerinnen gestern zunächst ihre Mitschüler der Klasse 9c durch das Thema. Ausgangspunkt war das Gedicht "Die Lösung" von Bertolt Brecht, in dem der Dichter abschließend fragte, ob es seitens der Regierung nicht einfacher wäre, das Volk aufzulösen und ein anderes zu wählen.

Die Unzufriedenheit der Arbeiter, deren zu erfüllende Normen immer höher geschraubt wurden, ohne dass ihnen dafür eine werte Gegenleistung in Aussicht gestellt wurde, hatte letztlich zu den massenhaften Protesten geführt. Dietmar Collatz brachte es mit der Feststellung auf den Punkt, dass immer mehr Leistung mit immer weniger Maschinen von den Arbeitern gefordert wurde. Denn insbesondere Industrieanlagen und große Maschinen mussten von der DDR als Reparationskosten an die Sowjetunion abgegeben werden.

Dass die Regierung der DDR versuchte, die Arbeiter und ihre Familien mit billigen Ausflugsfahrten, so etwa für 50 Pfennige mit dem Dampfer über die Berliner Spreekanäle, zu beruhigen, klappte irgendwann nicht mehr. Dazu kamen Losungen der SED, die ungewollt noch mehr Unzufriedenheit auslösten. "So wie ich heute arbeite, kann ich morgen leben", lautete etwa ein motivierender Spruch. Als es aber auch acht Jahre nach dem Krieg im Ostsektor noch immer Lebensmittel nur auf Zuteilung gegen Marken gab, ließ sich ein Großteil der Bevölkerung nicht mehr mit markigen Sprüchen oder Versprechungen abspeisen.

"So wurde der 17. Juni 1953 zu dem herausragenden Ereignis in Deutschland seit der Revolution von 1848", sagte Vanessa Knies als erste der Rednerinnen und berichtete, wie sich im Juni 1953 Panzer durch die Straßen Berlins bewegten. Ein Bild, das nach 1945 eigentlich nicht wiederholen sollte. Sie hinterfragte: "Kann es denn sein, dass sich Arbeiter gegen den Arbeiterstaat erheben?"

Massiv und mit Gewalt wurde gegen die Protestierenden vorgegangen, deren Leben bis dahin kein leichtes gewesen war. Marlene Giggel berichtete anschaulich vom Alltag in der DDR.

Und von einem Brief, den Bauarbeiter an den Ministerpräsidenten Otto Grotewohl schrieben, in dem sie die Rücknahme der erhöhten Normen fordern. Bereits einen Tag später gab es die Absage seitens des Zentralvorstandes der Gewerkschaft Bau.

Dies geschah am 15. und 16. Juni 1953 und war der zweite Stein des Anstoßes, der schließlich zum Volksaufstand und seiner blutigen Niederschlagung führte, berichtete Hanna Gäde. Denn die ersten kleinen Wellen setzten sich am 13. Juni bei einem jener Brigadeausflüge in Bewegung, die doch beruhigend wirken sollten. Dabei wurde natürlich über die Normen diskutiert und zu fortgeschrittener Stunde verkündet ein Maurerbrigadier: "Am Montag (17. Juni 1953) streiken wir!"

Und tatsächlich zog die Radiomeldung über den Streik in Berlin weitere Kreise. In Halle, Jena, Leipzig, Magdeburg, Gera und rund 700 Städten der DDR gingen die Menschen auf die Straßen. Nunmehr nicht nur bessere Arbeitsbedingungen fordernd, sondern auch freie Wahlen. Und dass diese für die regierende Sozialistische Einheitspartei Deutschlands nicht gut ausgehen würden, schien sicher.

Massenhafte Verhaftungen angeblicher Aufwiegler, willkürliche Verurteilungen und sogar standrechtliche Erschießungen waren die Folgen des Tages, "der so hoffnungsvoll begann und so tragisch endete", sagte Karina Potthast in ihrem Teil der Führung. Und so wurden diese dramatischen Tage, von denen ältere Kollegen den Lehrlingen berichteten, dass man es "denen da oben" tüchtig gezeigt hat, zur Legende.