Urteil gegen Gardelegerin, die von Cannabis-Plantagen ihres Mannes wusste / Sie gab Kokain- und Speed-Konsum zu Rote Bälle im Busch: Cannabis als Tomaten getarnt
Zu 20 Monaten Freiheitsstrafe, ausgesetzt auf drei Jahre Bewährung, verurteilte das Schöffengericht eine 40-jährige Gardelegerin, die von mehreren Cannabis-Plantagen ihres Mannes wusste und selbst Speed und Kokain konsumiert hatte. Der Prozess gegen ihren bereits inhaftierten Ehemann wird fortgesetzt.
Gardelegen l Den 27. September 2011 werden Tanja* (40) und Stefan W.* (46) nie mehr vergessen: Kurz nach sechs Uhr morgens riss die Polizei die beiden Gardeleger mit einen Durchsuchungsbefehl aus dem Schlaf. Und die Beamten wurden fündig.
Minutenlang verliest Staatsanwalt Bernd Blascyk während der Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht, was die Polizei bei dem Ehepaar alles gesichert hatte: mehrere Tüten Marihuana, Kokainbestecke neben den Betten und mehr als 40 große Cannabispflanzen. Einige fanden sich in einer professionellen Indoor-Zuchtanlage im Keller, viele im Garten ein paar Kilometer entfernt, einige davon im Gewächshaus, bis zu vier Meter hoch. Gesamtergebnis: 4,36 Kilogramm rauchbares Marihuana. Den Pflanzen im Keller ging es prächtig, denn Stefan W. hatte sich für die Zuchtanlage Natriumdampflampen und eine Klimaanlage besorgt. Damit nichts auffällt, hatte er die dunklen Fenster luftdicht verschlossen.
"Das ist wirklich nicht typisch, dass man mit 32 das erste Mal Drogen nimmt."
Außerdem werden Tanja W. in 22 und ihrem Mann in 32 Fällen unerlaubter Handel mit Betäubungsmitteln vorgeworfen. Die 40-jährige Gardelegerin soll mehrfach Amphetamine und Kokain gekauft haben, hauptsächlich 2011. Das gibt sie in einer Erklärung, die ihre Pflichtverteidigerin Mandy Zepig verliest, auch zu. Und sie erzählt, dass sie vor acht Jahren das erste Mal Drogen probiert habe. Richter Axel Bormann ist das alles sehr suspekt: "Das ist wirklich nicht typisch, dass man mit 32 das erste Mal Drogen nimmt. Warum denn? Besserer Sex?" Tanja W. blickt verlegen nach unten, ihre Anwältin schaut sie ermutigend an. Ganz leise und peinlich berührt antwortet sie auf Bormanns Frage: "Ja." Der Richter beugt sich nach vorn: "Und hat es geholfen?" Tanja W.: "Ich hätte auch ein Glas Wein trinken können."
Aus diesem ersten Kontakt mit Kokain, das sie damals gemeinsam mit ihrem Mann zur sexuellen Stimulation nahm, wurde ein gelegentlicher Kokain- und Speed-Konsum. Ein teures Vergnügen: ein Gramm Kokain kostet bis zu 100 Euro. Erst zögernd, dann aber doch offen, berichtet die 40-Jährige von ihrem Drogenkonsum, Eheproblemen und schließlich von den Cannabis-Plantagen ihres Mannes, von denen sie zunächst nichts mitbekommen haben will. Diese Aussagen, die ihren Mann, der neben ihr sitzt, schwer belasten, rechnet ihr das Gericht hoch an: "Die Chancen, die ich Ihnen eingeräumt habe, haben Sie genutzt", so Bormann in der Urteilsbegründung.
2009 habe Stefan W. die ersten Cannabis-Pflanzen im Keller gezüchtet. "Aber das war nichts geworden, da war Ungeziefer drin", berichtet Tanja W. Ihr Ehemann bestätigt: "Das war absolut unprofessionell. Ich hatte mir Samen besorgt und Setzlinge gezogen." Doch wenig später unternahm der Gardeleger den nächsten Versuch: Er belas sich im Internet und besorgte sich Equipment.
Dass er überhaupt Cannabis anbaute, begründet er vor Gericht so: Nach dem Tod des Vaters habe er Depressionen gehabt und dadurch sexuelle Probleme: "Eine Kollegin hat mir damals geraten, Kokain auszuprobieren." Das habe auch stimulierend gewirkt, aber "ich konnte nicht mehr schlafen". Marihuana habe ihm geholfen runterzufahren, "einfach mal wieder durchzuschlafen", so der arbeitslose Mann. "Und irgendwann musste ich feststellen, dass die Qualität schlecht war, weil es gestrecktes Material war." Stefan W.: "Dafür war mir meine Gesundheit zu schade."
"Meine Frau züchtet im Keller Blumen, die in Deutschland eigentlich nicht wachsen."
Er besorgte sich 2009 Natriumdampflampen und machte mit 20 Pflanzen einen neuen Zuchtversuch. Der gelang auch, "nur dann hat mich eine Nachbarin wegen des Geruchs angesprochen". In Gardelegen sei schon das Gerücht rumgegangen, dass er Cannabis anbaue. Stefan W. bekam Angst: "In einer Nacht habe ich alles abgebaut." Die Pflanzen seien nur für den Eigenbedarf gewesen, "meine Frau hat nie konsumiert". Nur an zwei Bekannte seiner Frau habe er auch etwas abgegeben, für sieben Euro das Gramm. Die Bekannten, die als Zeugen geladen sind, erhalten in Kürze einen Strafbefehl, weil sie mit dem Marihuana-Kauf gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen haben.
Stefan W. hatte die neugierige Nachbarin beruhigt, "dass meine Frau ganz besondere Blumen im Keller züchtet, die wir verschenken, und dass die in Deutschland eigentlich nicht wachsen". Ende 2010 hatte Stefan W. kein Marihuana mehr, "der Vorrat war aufgebraucht". Anfang 2011 "hat Stefan mir gesagt, dass er wieder anbauen will", berichtet seine Frau. Es folgten umfangreiche Baumaßnahmen im Keller, denn noch einmal sollte niemand draußen etwas riechen. Um nicht mit hohen Stromkosten aufzufallen, zapfte W. schwarz Strom. Die Fenster waren geruchs- und luftdicht, eine an den Schornstein angebaute Klimaanlage brachte die Abluft ungefährlich nach draußen. W.: "Das war mein Ding."
Die 23 Pflanzen gediehen so prächtig, dass der 46-Jährige auf die Idee kam, auch im Garten Cannabis anzubauen: "Ich hätte nicht gedacht, dass die so riesig werden und mit dem Klima bei uns so gut zurechtkommen." Von seinem Gewächshaus musste W. das Dach abnehmen, damit die Pflanzen gen Himmel sprießen können. Bormann: "Die sind ja richtig schick geworden. Haben Sie gut gezüchtet!" Auch von dieser Plantage wusste seine Frau, auch wenn sie sich nicht um die Cannabis-Pflanzen kümmerte. Als diese höher wurden, "bin ich auf die dumme Idee gekommen, da rote Bälle reinzuhängen", schildert der Mann - Cannabis als Tomate getarnt.
Während die Angeklagte reinen Tisch macht, verstrickt sich Stefan W. vor Gericht immer wieder in Widersprüche zu seinen Aussagen im Verhör. Einige Beschuldigungen gegen andere Tatverdächtige nimmt er zurück, der Polizei wirft er vor, ihm Aussagen vorgegeben zu haben. Um das zu klären, wird der Prozess gegen den 46-Jährigen, der in U-Haft sitzt, am 16. Februar fortgesetzt. Ihn erwartet eine mehrjährige Freiheitsstrafe.
"Es geht mir ohne Drogen besser. Ich kann besser schlafen und bin ausgeglichener"
Tanja W. wird vom Schöffengericht wegen Beihilfe zum Handel mit Betäubungsmitteln in mehreren Fällen und wegen deren unerlaubten Erwerbs zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten, ausgesetzt auf drei Jahre Bewährung, verurteilt. Sie muss die Verfahrenskosten tragen und 150 gemeinnützige Arbeitsstunden leisten. Tanja W. ist erleichtert, das Gefängnis bleibt ihr erspart. Seit Oktober nimmt sie an Drogenscreenings und einer Therapie teil. "Es geht mir ohne Drogen besser. Ich kann besser schlafen und bin ausgeglichener. Ich will damit nichts mehr zu tun haben."(*Namen geändert)