FDP-Gesundheitspolitiker Jens Ackermann stand bei Pflegedienstleistern im Kreuzfeuer Rundumschlag aus der Praxis gegen den Bürokratismus
Es waren harte Worte, die sich Sachsen-Anhalts FDP-Bundestagsabgeordnete Jens Ackermann, Mitglied im Gesundheitsausschuss des Bundestages, gestern anhören musste. Eigentlich sollte es in dem Gesprächskreis im Seniorenheim Klein Sanssouci II in Kalbe um den Fachkräftemangel in der Pflege gehen. Doch er geriet zum Rundumschlag gegen den Bürokratismus im Gesundheitssystem, der die Dienstleister zunehmend lähmt.
Kalbe. "Wir müssen in der Pflege eine weitere Säule der Finanzierung aufbauen. Denn es ist eine mathematische Gewissheit, dass das umlagefinanzierte System" bei dem herrschenden Nachwuchsmangel "irgendwann rote Zahlen schreiben wird". Als Jens Ackermann (FDP), dessen Partei mit Daniel Bahr den aktuellen Bundesgesundheitsminister stellt, gestern Nachmittag diese Sätze sprach, platzte Frank Müller der Kragen.
Der Chef der Klein Sanssouci gGmbH, die in Kalbe zwei Seniorenheime mit insgesamt 136 Plätzen betreibt, sagte, an Ackermann gerichtet: "Ich höre nirgends, dass mal eingespart werden soll. Wird vielleicht auch mal an die aufgeblähten Apparate der Krankenkassen gedacht?"
Was Müller und viele seiner Kollegen besonders nervt, ist die ausufernde Bürokratie, die für die eigentliche Pflege immer weniger Zeit lässt. "Meine Pflegedienstleiterinnen müssen sich jeden Tag um absolut sinnlosen Papierkram kümmern", so Frank Müller. Denn wenn Einrichtungen durch die Heimaufsicht beziehungsweise den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) kontrolliert würden, gehe es dabei zu wenig um die eigentliche Pflege und zu viel um die Dokumentation. "Überprüfung muss sein", wie der Chef der Klein Sanssouci gGmbH sagte, "aber man kann die Leute doch nicht drangsalieren." Udo Becker, der Vorsitzende des Landesverbandes des Verbandes Deutscher Alten- und Behindertenhilfe (VDAB), der zu dem gestrigen Termin eingeladen hatte, pflichtete Müller bei. "Wir werden ja teilweise kriminalisiert," so seine Worte
Jens Ackermann erwiderte, dass auch er eine "zielorientierte Prüfung" für vernünftiger hielte. "Wir müssen weg von der Prüfung der Akten. Wir wollen, dass mit den Bewohnern gesprochen wird." Frank Müller konnte sich erneut ein bitteres Lachen nicht verkneifen und wollte wissen, wie denn so ein Gespräch bei Demenzkranken, die ja nun einmal einen hohen Prozentsatz der Pflegebedürftigen ausmachen würden, aussehen solle.
Die Bürokratie verstärke das ohnehin existierende Problem des Fachkräftemangels noch zusätzlich, wie auch Dr. Jörg Biastoch und Gisela Gerling-Koehler vom VDAB deutlich machten. Die Heimgesetzgebung schreibe nämlich einen Personalschlüssel von 50 Prozent Fach- und 50 Prozent Hilfskräften vor, wobei auch solche Mitarbeiter als Hilfskräfte gelten würden, die einen staatlichen Abschluss, aber keine dreijährige Ausbildung aufzuweisen hätten. "Das ist eine Vergeudung von Kompetenz", die zudem eine künstliche Verknappung auf dem ohnehin angespannten Fach- kräftemarkt darstelle, wie Dr. Biastoch es formulierte. Hier brauche es auf Länder- ebene und im Zuge des seit 1. Februar geltenden Wohn- und Teilhabegesetzes dringend eine neue Personalverordnung. Mit dieser werde noch vor der Sommerpause gerechnet.
"Bis Sie in die Puschen kommen, sind wir verreckt"
Auch wenn die Heimgesetzgebung Ländersache sei, so Biastoch, würden auf Bundesebene die Rahmenbedingungen geschaffen. Doch generell, so Frank Müller, würden die politischen Mühlen viel zu langsam mahlen. Zu Ackermann sagte er: "Wir brauchen heute Hilfe! Bis Sie da oben in die Puschen kommen, sind wir hier unten verreckt." Müller hatte Ackermann bereits einen Besuch abgestattet, als dieser in Berlin noch in der Opposition saß. Die Hilfe, die damals zugesichert worden sei, wenn die FDP erst einmal in der Regierungsverantwortung sei, so der Unternehmer, vermisse er nach wie vor. Das gelte auch in puncto Ausbildung. Die sei ein erheblicher Kostenfaktor. Die Kalbenser gGmbH bilde dennoch aus, habe derzeit neun Lehrlinge. Doch müsse sie damit rechnen, dass diese Fachkräfte nach erfolgreicher Ausbildung abgeworben würden von denen, die nicht selbst ausbilden würden. Auch hier sei die Politik gefragt, so Müller.
Nach einer aktuellen Studie fehlen derzeit allein in der Altmark mehr als 100 Fachkräfte im Bereich Pflege. Dies ist auch, aber eben nicht nur, dem demograpischen Wandel geschuldet.