Kinderklinik Trauer und Wut über Schließungspläne
Die mögliche Schließung der Gardelegener Kinderklinik macht einen Mann besonders betroffen und wütend: Kinderarzt Dr. Rainer Genseke.
Gardelegen l Er war quasi der Urvater der Gardelegener Kinderklinik „Dr. Albert Schweitzer“: Dr. Rainer Genseke. 40 Jahre hat er als Kinderarzt gearbeitet, davon 30 in Gardelegen – von 1987 bis März 2017, als er offiziell in den Ruhestand ging. Aber noch immer ist er Mitglied im Förderverein der Kinderklinik namens Kindertraum. Und natürlich interessiert er sich nach wie vor für seine Kinderklinik. Die aktuelle Situation mit den Plänen des Trägers der Klinik, der Salus Altmark Holding, die Kinderklinik zu schließen, würden ihn traurig und wütend zugleich machen.
„Ich kann das nicht verstehen“, sagt Genseke im Volksstimme-Gespräch. Gardelegen liege im Zentrum des Einzugsgebietes des Altmark-Klinikums mit seiner Kinderklinik. Die Patienten kämen aus den Bereichen Haldensleben, Oebisfelde, Winterfeld, Uchtspringe, Börgitz. Und Gardelegen liege mittendrin. „Das war schon früher so, und das wird auch künftig so sein“, so Genseke. Es könne nicht sein, dass Eltern mit ihren kranken Kindern jetzt bis nach Salzwedel, Magdeburg, Stendal oder Wolfsburg fahren müssen. Dazu käme noch ein weiterer, entscheidender Aspekt. Kranke Kinder und Jugendliche könne man nicht isoliert betrachten.
Die Bindung zur Familie, zu Eltern und Großeltern, sei ganz wichtig, betont Genseke mit Blick auf die Mutter-Kind-Zimmer, die in der Gardelegener Kinderklinik eingerichtet worden waren, und auf das im Bau befindliche Mutter-Kind-Zentrum. Diese Kontakte seien bei einem Klinikaufenthalt von Kindern und jugendlichen Patienten ganz wichtig, auch für Großeltern.
„Ich gehe straff auf die 70 zu. Ich könnte nicht mehr jeden Tag nach Magdeburg fahren, um meinen Enkel zu besuchen“, so Genseke. Die Verantwortlichen und Entscheidungsträger sollten sich die UN-Charta „Das Kind im Krankenhaus“ über den Schreibtisch hängen. „Diese Charta hat die Bundesregierung unterschrieben“, betont Genseke. Und damit garantiere sie, dass die festgeschriebenen Punkte auch eingehalten werden. „Ortsnah, familienfreundlich und unkompliziert, so was steht da nämlich alles drin“, so Genseke. Darauf weise auch immer wieder die Deutsche Krankenhausgesellschaft hin.
„Wenn ich höre, dass dann gesagt wird, die Eltern fahren doch auch nach Magdeburg zum Shopping, nach Stendal zum Theater und nach Salzwedel zum Kino, dann können die doch auch dorthin zur Kinderklinik fahren, dann macht mich das wütend“, sagt Genseke. Wer so etwas sage, „der tritt die Würde eines kranken Kindes einschließlich die seiner Angehörigen mit Füßen, der missachtet Artikel 1 des Grundgesetzes“. Er könne es aber fast gar nicht glauben, dass eine Schließung der Kinderklinik überhaupt ernsthaft diskutiert wird, aber wenn man den Text der Ausschreibung für die Chefarztstelle lese, sei das schon eine Düpierung aller Beteiligten, die sich für den Erhalt der Kinderklinik einsetzen. Das sehe schon so aus, als ob man Tatsachen schaffen will.
Eine Kinderklinik sei auch mit Blick auf die Entbindungsstation ganz wichtig. „Wir wissen alle, dass aus einer normalen Geburt auch ganz schnell mal eine komplizierte Geburt werden kann. Und da braucht es sofort Fachärzte vor Ort“, stellt Genseke klar. Dazu gehören auch Kinderärzte. Hochachtung und Respekt zollt Genseke all jenen Menschen, die sich für den Erhalt der Kinderklinik stark machen: der Förderverein der Kinderklinik, viele, viele Bürger, was schon allein die knapp 15 000 Unterschriften deutlich machen, Gardelegens Bürgermeisterin, der Stadtrat, die Stadträte der umliegenden Kommunen, der Kreistag. Da könnten Politik und Klinik-Träger gar nicht anders entscheiden, als die Einrichtung zu erhalten.
Mit großem Interesse verfolge er auch die Initiative von Mecklenburg-Vorpommern zur Änderung der Finanzierung von Kinderkliniken. „Endlich“, so Genseke. Dieser Initiative hat sich auch Sachsen-Anhalt angeschlossen. Dringend erforderlich sei aber eine bundesweite Debatte. „Ich hoffe, die Politiker denken angesichts der Corona-Pandemie anders“, sagt Genseke. Denn es sei fatal, die Kinder- und Jugendmedizin ausschließlich unter wirtschaftliche und finanzielle Aspekte zu stellen.
Ende Mai war bekannt geworden, dass der Träger, die Salus Altmark Holding, plant, im Rahmen von Umstrukturierungen die Kinderklinik in Gardelegen zu schließen. Unter anderem soll es Spezialisierungen in den Häusern in Gardelegen und Salzwedel geben. In Gardelegen soll eine ambulante Versorgung angeboten werden und in Salzwedel eine stationäre. Hintergrund seien finanzielle und personelle Probleme. Es fehle medizinisches Fachpersonal, hieß es.
Unterdessen hat es zahlreiche Aktionen gegen die Schließungspläne gegeben. Der Förderverein hatte eine Unterschriftensammlung gestartet. In gerade mal zwei Wochen waren knapp 15.000 Unterschriften zusammengekommen, die Sozialministerin Petra Grimm-Benne übergeben worden waren. Für großen Frust hat auch eine aktuelle Stellenausschreibung des Trägers gesorgt. Demnach wird ein ärztlicher Leiter für zwei Standorte gesucht, der den Umstrukturierungsprozess – ein ambulantes pädiatrisches Zentrum Gardelegen und ein stationäres pädiatrisches Zentrum in Salzwedel – aktiv mitgestalten soll. Entscheidungen sind laut Träger bisher noch nicht getroffen worden. Bis Ende August soll zunächst ein Zukunftskonzept erstellt werden.