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Amtsgericht Gardelegen Zeugen bestochen: Minderjährige sorgt für überraschende Wende im Prozess gegen Schläger

Mit einem Beweisstück, dass sie dem Richter nur unter vier Augen zeigen wollte, sorgte eine 16-Jährige im Prozess gegen einen vorbestraften Schläger für eine unerwartete Wendung.

Von Stefanie Herrmann 02.04.2024, 18:01
Eine Körperverletzung unter Bewohnern des Jugendförderungszentrums Gardelegen wurde vor dem Amtsgericht Gardelegen verhandelt.
Eine Körperverletzung unter Bewohnern des Jugendförderungszentrums Gardelegen wurde vor dem Amtsgericht Gardelegen verhandelt. Foto: Soeren Stache/dpa

Gardelegen - Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs wurde einem 24-Jährigen Bewohner des Jugendförderungszentrums Gardelegen vorgeworfen. Im Laufe der Verhandlung vor dem Amtsgericht kam aber noch ganz anderes ans Licht, auch dank einer gewieften jungen Zeugin...

Am frühen Nachmittag des 20. September 2023 war ein Streit unter Bewohnern des JFZ eskaliert. An der Stendaler Straße, nahe eines Einkaufsmarktes, kam es zu einem Angriff. Dafür musste sich ein 24-Jähriger vor Gericht verantworten. Er soll er dem ihm auf dem Fahrrad entgegenkommenden Opfer mit einem Fahrradschloss auf den Brustkorb geschlagen haben.

Angefangen hatte die Auseinandersetzung aber wohl schon Stunden vorher im JFZ, wo die Kontrahenten Zimmernachbarn waren. Das spätere Opfer soll sich mit seiner Lebensgefährtin gestritten haben – lautstark. Der Angeklagte, der wenige Tage zuvor seine Mutter verloren hatte, fühlte sich gestört. Es kam zu einer Diskussion auf WhatsApp mit gegenseitigen Beleidigungen.

Angeklagter streitet ab, ein Fahrradschloss zu besitzen

Dass er am Nachmittag dann zuschlug, stritt der Angeklagte auch nicht ab, erklärte aber: „Ich hatte kein Fahrradschloss, ich hab ja nicht mal ein Fahrrad. Ich hab ihm mit der Faust gegen die Brust gehauen. Das gebe ich zu.“

Die Faust, mit der er zugeschlagen hatte, wollte Richter Axel Bormann vom Angeklagten sehen. Darauf tätowiert: A-C-A-B, was allgemein für eine Beleidigung gegen Polizeibeamte steht. Der 24-Jährige hatte allerdings eine eigene Interpretation: „All colors are beautyful, heißt das.“

Richter präsentiert Fotos der Verletzungen des Opfers

Ähnlich schwer zu glauben war, dass seine Faust jene Hämatome auf dem Körper des Opfers verursacht haben sollte, die der Richter dann auf Fotos präsentierte. Die zeigten einen langen Striemen quer über den Oberkörper.

„Die könnten vielleicht von einer Bierflasche stammen“, vermutete der Angeklagte. Bei einem zweiten Aufeinandertreffen soll es nämlich erneut einen Zusammenstoß gegeben haben, bei dem den Radfahrer, der dieses Mal von hinten auf den 24-Jährigen zuhielt, eine solche Flasche traf. Weil aber nicht klar war, ob dies in Notwehr oder versehentlich geschah, wurde dieser Anklagepunkt gestrichen.

„Ob Sie mir glauben oder nicht, ist ja Ihre Entscheidung“, ahnte der Angeklagte wohl, dass es dem Vorsitzenden schwer fallen würde, ihm seine Version abzukaufen. „Gut, das haben Sie schon mal verstanden“, entgegnete Bormann zwar gelassen, gab aber zu, dass er lange mit sich gerungen hatte, ob er dem 24-Jährigen nicht zumindest einen Pflichtverteidiger zur Seite stellen sollte, weil mehr als ein Jahr Haft zu erwarten sei. Davon ging wohl auch der Staatsanwalt aus, der dem Mann vorhielt, dass er nur zwei Monate nach seiner letzten Haftentlassung wieder zugeschlagen hatte.

Minderjährige Lebensgefährtin des Opfers sagt aus

Trotzdem wurden zunächst die Zeugen vernommen. Die 16-jährige Lebensgefährtin des Opfers bestätigte den Beziehungsstreit in der Nacht zuvor und dass es ihrerseits zu einer Beleidigung gekommen war, welche die Mutter des Angeklagten einschloss. Beim eigentlichen Vorfall sei sie nicht dabei gewesen, aber dafür hätte sie andere brisante Informationen.

„Wenn ich noch ein Beweisstück hätte, kann ich Ihnen das unter vier Augen zeigen? Es wäre wirklich wichtig“, machte sie den Richter neugierig. Es handele sich um eine Audio-Datei. Darauf sollte zu hören sein, wie der Angeklagte dem Opfer 100 Euro für die Aussage anbot, dass kein Fahrradschloss zum Einsatz kam. Auch andere Zeugen hätten das Angebot erhalten.

„Falls das stimmen sollte und wir hier nicht zu einer Einigung kommen, könnte es sein, dass der Staatsanwalt gleich einen Haftbefehl wegen Verdunklungsgefahr erwirkt“, warnte Bormann den Angeklagten, der daraufhin einbrach und gestand.

„Warum haben Sie das nicht sofort zugegeben? Dachten Sie, wir sind blöde?“, wollte Bormann wissen. „Ich hab keine Lust, wieder in Haft zu gehen“, gestand der Mann, der eine von Heimaufenthalten geprägte Kindheit hatte und dessen kriminelle Karriere früh begann.

Haftstrafe wird auf Bewährung ausgesetzt

Aufgrund dieses späten Eingeständnisses kam er letztlich mit einer Haftstrafe von zehn Monaten, ausgesetzt drei Jahre auf Bewährung, davon. Zudem muss er noch 500 gemeinnützige Arbeitsstunden leisten, es sei denn, er beginnt in den kommenden zwei Wochen eine Tätigkeit.

Ärger gab es dann auch noch für zwei Zeugen, die offensichtlich gern das „Bestechungsgeld“ vom Angeklagten genommen hätten.

Den Letzten warf Bormann am Ende sogar aus dem Saal mit den Worten: „Sie sind so frech und dreist, Sie setzen sich hier hin, gucken mich an und lügen mir rotzfrech ins Gesicht. Unverschämt!“