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Kulturgeschichte Einkaufen im Zelt auf wackligen Bohlen

Persönliche Erinnerungen standen am Sonntag im Mittelpunkt des Podiumsgespräches über den Handel im Genthin des 20. Jahrhunderts.

Von Natalie Häuser 02.02.2016, 20:11

Genthin l Keine Ausstellung ohne Exponate. Gerade bei regionaler Geschichte ist ein Museum auf private Leihgaben angewiesen. Und auf Menschen, die so jüngste Geschichte in Form von Dokumenten, Gegenständen oder als Erzählungen für die Nachwelt konservieren. So geschehen bei der Sonderausstellung zum „Handel und Gewerbe im Genthin des 20. Jahrhunderts“ im Kreismuseum Jerichower Land in Genthin. Im Rahmen einer Abschlussdiskussion, die angesichts der Verlängerung der Schau bis zum 28. Februar, mehr ein spätes Zwischenspiel war, nutzte Lisa Wolf, Vorsitzende des Fördervereins Genthiner Stadtgeschichte die Chance, einige Leihgeber persönlich zu ehren. Darunter auch Genthiner Klaus Zelmanski. Seine Sammlung an alten Fotoaufnahmen, die in etwa um 1900 entstanden sind, sind eine Dauerleihgabe ans Kreismuseum. „Die habe ich selbst gemacht“, scherzt er, als er aus den Händen von Sebastian Kroll als Dankeschön die Dokumentation „Ein nicht alltägliches Geschichtsbuch“ des Fördervereins erhält.

Dass die Genthiner großes Interesse an der Geschichte zeigen, lässt sich nicht nur anhand der zahlreichen Leihgeber ablesen, sondern auch an den Besucherzahlen. Statistisch war jeder zehnte Genthiner im Museum. Dazu kommen Auswärtige. So bilanzierte Museumsleiterin Antonia Beran am Sonntag für das interessierte Publikum eine Zahl von 1 200 Ausstellungsbesuchern, die mit der Quote der vergangenen Bismarck-Ausstellung etwa gleichauf ist. Die aufgestellten Stühle reichen kaum, um die Interessenten im Raum unterzubringen. Ziel des Podiumsgespräch war es, Aussteller, Leihgeber und Besucher zusammenzuführen und Eindrücke über das Gesehene zu teilen oder zu ergänzen. Die Idee für die Schau brachte Museumsleiterin Antonia Beran einst aus Magdeburg mit, wo im Kulturhistorischen Museum eine der wichtigsten Achsen Magdeburgs, der Breite Weg, in Bildern vor und nach der Zerbombung im Zweiten Weltkrieg sowie mit Blick auf die gegenwärtige Gestaltung zu sehen war.

Moderator und Altbürgermeister Wolfgang Bernicke weckte mit seinem persönlichen Abriss jüngster Genthiner Geschichte viele Erinnerungen bei den Gästen. Darunter Momente des Umbruchs in Genthin, als ein Einzelhändler nach dem anderen in der Innenstadt dicht machen musste, weil Supermärkte die Kanalstadt eroberten. Allen voran stellte damals die Pennymarkt-Kette 1990 ein Zelt auf, in dem die Genthiner ihren Einkaufswagen über schwankende Holzbohlen schoben, um begehrte Westprodukte zu ergattern, weil es am Freitag in bunten Reklameblättchen angekündigt wurde. Bald darauf gesellten sich andere Ketten wie Edeka und Kaufland dazu, die so auch den letzten Lebensmittelhändler aus der Innenstadt verjagten. „Es war eine andere Zeit angebrochen“, so Bernicke.

Neben der Werbung und den großen Konkurrenz-Märkten, war auch die zunehmende Motorisierung ein Grund, warum Einzelhändler das Nachsehen hatten. Schließlich kam man nun auch woanders hin zum Einkaufen. „Und heute kaufen die Leute im Internet ein, weil es bequem ist und schnell geht.“ Heimatforscher Otto Schulze ergänzte die industriellen Anfänge der Stadt, um ein Gefühl dafür zu vermitteln, wie sehr sich Handel und Gewerbe innerhalb eines Jahrhunderts gewandelt haben. Letztlich sei diese Entwicklung nur aufzuhalten, wenn jeder über sein eigenes Einkaufsverhalten nachdenke, sagt Bernicke.

Zwei Besucherinnen der Gesprächsrunde waren dem Aufruf gefolgt und haben dem Museum Leihgaben mitgebracht. „Das ist ein Handbuch für den Altkreis Genthin“, sagt Antonia Beran über das von 1949 durch Gerda Zinke überlassene Büchlein in A6-Größe, dass neben Adressen von Ämtern, Geschäftseintragungen und weitere behördliche Einrichtungen auflistet. Einen alten Keramikaschenbecher holte Irmgard Zander aus der Tasche. Er stammt aus dem Lokal Schrader in Altenplathow und soll als Leihgabe ins Kreismuseum. Zum Ende der Runde fasste Lisa Wolf zusammen: „Uns geht es darum, geschichtliche Erinnerungen wachzuhalten und sie fortzuschreiben.“