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Artensterben Genthiner Natur ist nicht verloren

Im Bericht zur „Lage der Natur“ wird ein dramatisches Artensterben aufgezeigt. Im Jerichower Land zeigt sich die Situation milder.

Von Mike Fleske 03.06.2020, 01:01

Genthin l Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) war bei der Vorstellung des Berichtes zur Lage der Natur deutlich: „Besonders kritisch ist die Lage bei Schmetterlingen, Käfern, Libellen.“ Im Wald und in den Städten wachse die Zahl der Vögel, aber in der Agrarlandschaft nehme sie ab. „Wir haben heute nur noch ein Zehntel der Rebhühner und Kiebitze, die wir vor 25 Jahren hatten.“

Diesen Trend bestätigt auch Sven Königsmark vom NABU Jerichower Land. Er verweist auf eine Publikation des Bundesamtes für Naturschutz, der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten und des Dachverbandes Deutscher Avifaunisten. „Auch hier wird ein teilweise alarmierendes Bild gezeichnet.“ Zwischen 2004 und 2016 hätten demnach die Bestände eines Drittels der Brutvogelarten abgenommen, die restlichen Arten zeigten stabile oder zunehmende Bestände. „Hochrechnungen des 24-Jahres-Trends von 1992 bis 2016 zeigen allerdings, dass Deutschland in diesem Zeitraum 14 Millionen Brutvögel verloren hat.“

Auch aus seiner Erfahrung und der Mitarbeit an Erfassungsprogrammen könne er die Zahlen bestätigen: „Da der ländliche Raum besonders durch die Agrarlandschaften geprägt ist, fallen die Bestandsabnahmen hier auch entsprechend aus. In den Wäldern sieht es aufgrund der derzeitigen intensiven Nutzung nicht besser aus.“ Königsmark fordert einen Wandel zu einer ökologischen Land- und Forstwirtschaft, ansonsten werde sich auch zu künftig nichts ändern.

„Jeder Einzelne kann einen Beitrag dazu leisten, den heimischen Vogelarten zu helfen.“ In den Gärten könne auf Pflanzenschutzmittel und Insektiziden verzichtet werden. „Kleine wilde Ecken im Garten, ein Reisighaufen oder Kompost, Vogelkästen und Wildblumen bieten nicht nur Brut- und Versteckmöglichkeiten, sondern fördern auch die Insekten, die für die Aufzucht der Nestlinge oft unverzichtbar sind und deren Bestände in den letzen Jahren rasant abgenommen haben.“ Insgesamt sei es ein guter Schritt, wenn wir wieder mehr Natur um uns herum zulassen würden.

Ein Ansinnen, dass sich der Verein Bienenweide e.V. aus Magdeburg auf die Fahnen geschrieben hat. In Genthin werden drei Naturflächen für Insekten betrieben. „Das Bewusstsein für die Natur ist da“, sagt Nils Lichtenberg, erster Vorsitzender des Bienenweidevereins. Bei vielen Organisationen werden Patenschaften für Blühfelder angeboten, auch Landwirte würden sich an solchen Aktionen mittlerweile beteiligen. Allerdings ist das kein Trend, wenn ich zwischen Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen im Zug unterwegs bin, sehe ich draußen kaum bunte Wiesen, sondern die normalen landwirtschaftlichen Flächen.“ Dass sei auch kein Wunder, meint Lichtenberg. Die Bauern bedienen einen Bedarf und das sei die Verbraucher-Nachfrage nach Fleisch.

„Erst wenn die Nachfrage nach Fleischprodukten zurückgeht, braucht es etwa den intensiven Anbau an Futtermais viel weniger, die Felder könnten wieder mit mehr Wiesenstreifen umrahmt werden. Das sei aber nur ein Aspekt von vielen. Zur Differenzierung mahnt auch Peter Deumelandt vom Kreisbauernverband Jerichower Land: „Natürlich hat die Landwirtschaft einen Einfluss auf die Natur, gerade auf den Feldern und Wiesen, auf denen gewirtschaftet wird“, bestätigt er und verweist aber auf folgende Zahlen im Naturbericht: „50 Prozent der Arten und 54 Prozent der Lebensräume haben einen stabilen oder sich verbessernden Trend, 34 Prozent beziehungsweise 41 Prozent einen sich verschlechternden.

Bei den Brutvögeln weisen jeweils rund ein Drittel der Arten stabile, abnehmende und zunehmende Bestände auf.“ Deumelandt findet, dass es sich das Bundesumweltministerium zu einfach in seinen Schlussfolgerungen und einseitigen Schuldzuweisungen mache. „Die gesamte Gesellschaft hat in den letzten Jahrzehnten viele Veränderungen in unserer Umwelt vorgenommen, die auch einen negativen Einfluss haben können“, sagt er mit Blick auf Windräder, LED-Straßenbeleuchtung oder dem zunehmenden Verkauf von Rasenrobotern.

„Der Misthaufen hinter dem Haus ist verschwunden und die „hübschen“ Steingärten und Thujahecken bieten auch keine guten Bedingungen für Vögel und Insekten.“ Allerdings sei seines Erachtens die Situation im Jerichower Land nicht aussichtlos. 2019 seien über 140 Hektar Blühflächen und -streifen angelegt worden, es gäbe Hunderte Hektar Schon- und Pufferstreifen und darüber hinaus noch 2400 ha Brachflächen. „Die Landwirte hier in der Region sind bereit, mehr im Vertragsnaturschutz zu tun, aber es bestehen bürokratische Hemmnisse und mangelnde Anreize.“

Die Naturschutzpolitik setze immer noch viel zu stark auf staatliche Auflagen in der Bewirtschaftung, was mit hohen Kosten für die Landwirte verbunden sei. Dabei seien auch sie an einer guten Zusammenarbeit mit anderen Interessengruppen interessiert. „Die Landwirte, die hier wirtschaften, leben in der Region und sind mit ihr verbunden und haben natürlich auch ein hohes Interesse an einer intakten Natur.“