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  7. Auf der Suche nach seinen Vorfahren begegnet Arthur von Pieschel in Burg seinem Vorbild

Ur-Ur-Ur-Ur-Großvater des US-Amerikaners ermöglichte mit Vermächtnis die Gründung der Pieschelschen Anstalt Auf der Suche nach seinen Vorfahren begegnet Arthur von Pieschel in Burg seinem Vorbild

06.08.2012, 03:29

Lange lebte die Familie Pieschel im Jerichower Land. Über England und Argentinien hat es sie in die Vereinigten Staaten verschlagen. Von dort hat sich Arthur von Pieschel auf die Reise begeben: Er will die Geschichte seiner Vorfahren ergründen.

Burg/Maryland l Die Frage, die Arthur von Pieschel antreibt, stellt sich jeder Mensch irgendwann in seinem Leben. Manchmal ist die Antwort darauf naheliegend. Manchmal muss man aber auch nach ihr suchen. Arthur von Pieschel ist einer, der nach ihr sucht. Viele Jahre ist er schon unterwegs, um eines herauszufinden: Wo komme ich her?

Die Geschichte der Familie Pieschel ist keine dieser klassischen Auswanderungserzählungen der Weltkriegszeit, in denen Menschen nach Deutschland kommen, um die Spuren ihrer Vorfahren zu entdecken. Auf Spurensuche ist Arthur von Pieschel auch - doch den Spuren, denen er nachgeht, führen weiter zurück. Arthur von Pieschel möchte in das Leben seines Ur-Ur-Ur-Ur-Großvaters eintauchen. "Denn sein Leben erzählt eine Geschichte, die mich inspiriert. Und sie lehrt einen guten Umgang mit Geld", sagt Arthur von Pieschel.

Die Geschichte um seinen Ur-Ur-Ur-Ur-Großvater beginnt im 18. Jahrhundert: In Magdeburg wird Carl August Gottfried Pieschel 1751 geboren, schon als junger Mann verlässt er Deutschland in Richtung London. Dort beginnt für ihn ein kometenhafter Aufstieg, durch seine Tätigkeit im Handel wird er ein sehr reicher Mann. "England war aber nie sein Zuhause. Oft hat er Magdeburg besucht, seine Heimat war ihm immer wichtig", berichtet Arthur von Pieschel von den Ergebnissen seiner Forschungen. Als der Kaufmann 1821 in London stirbt, berücksichtigt er seine Heimat. In seinem Testament verfügt er, dass in Magdeburg oder der Umgebung eine Einrichtung zur Erziehung von Kindern gebaut werden soll. 300 000 Pfund Sterling hinterlässt er dafür, 1831 wird sie auf Anweisung des preußischen Königs in Burg gebaut. Mehr als 90 Jahre kann die Erziehungsanstalt von dem Geld unterhalten werden: Waisen wurden erzogen und ausgebildet. Für viele Kinder war es in dieser Zeit die einzige Chance auf einen guten Start ins Leben.

Als Arthur von Pieschel, der in den USA als Ingenieur bei IBM tätig war, 1999 das erste Mal nach Burg kommt, will er die Pieschelsche Anstalt sehen. Viel hat er bereits über Carl August Gottfried Pieschel herausgefunden, die Großzügigkeit und Güte seines Vorfahren begeistert ihn. Doch als der Amerikaner die Berliner Chaussee betritt, ist davon nichts mehr zu sehen. Es steht nur noch ein verwahrlostes Gebäude. Arthur von Pieschel muss niemanden fragen, um zu wissen: Hier setzt seit Jahren niemand mehr das Erbe seines Ur-Ur-Ur-Ur-Großvaters fort.

"Die Pieschelsche Anstalt war nur noch eine Ruine. Das war traurig", sagt der 70-Jährige. Die "good story" schien ein trauriges Ende genommen zu haben. "Doch es war noch zu erkennen, welche Größe das Gebäude einmal gehabt haben muss. Da wurde mir bewusst: Die Art und Weise, wie Carl August Gottfried Pieschel seinen Reichtum eingesetzt hat, ist vorbildlich. Er hat die Prinzipien eines christlichen Lebens umgesetzt."

Prinzipien - darum geht es Arthur von Pieschel. Seine Reise auf den Spuren seiner Vorfahren ist auch die Suche nach dem Sinn des Lebens. "Carl Pieschel hatte ein offenes Herz, er hat sein Geld nicht nur für sich selbst genutzt. Diese Haltung bewundere ich", sagt er.

Dass Arthur von Pieschel noch immer auf der Suche danach ist, wo er herkommt, liegt an der Geschichte seiner Familie. Seine Vorfahren lebten lange im Jerichower Land, unter anderem in Altenplathow und Theeßen. Er ist wie sein Vater Arthur Edward in Argentinien geboren. Arthur Edward von Pieschel lebte nach einer zwischenzeitlichen Rückkehr der Familie bis 1937 sogar noch ein paar Jahre in Deutschland, er ging in Burg zur Schule. "Aber über die Zeit in Deutschland hat er nie mit mir gesprochen. So habe ich auch lange nichts über die Pieschelsche Anstalt erfahren. Ich hatte sehr viele unbeantwortete Fragen", sagt Arthur von Pieschel, der später in die USA zog und heute in Maryland lebt. Nach seinen Wurzeln sucht er aber in Burg.

Vor einigen Wochen hat er dort auf viele seiner Fragen Antworten gefunden. Zum zweiten Mal ist Arthur von Pieschel nach Deutschland gekommen. Eine Ruine hat er diesmal nicht am Platz der Pieschelschen Anstalt vorgefunden: Das Gebäude erstrahlt wieder im alten Glanz. Im Jahr 2006 hat das Deutsche Rote Kreuz ein Seniorenzentrum eingerichtet. Als Arthur von Pieschel von Marion Struckmann durch die Räumlichkeiten geführt wird, kommt ihm immer wieder ein Wort über seine Lippen: "Amazing" - "Erstaunlich". "Dass das Gebäude heute wieder so toll genutzt wird, ist unglaublich. Das Erbe von Carl August Gottfried Pieschel wird auf diese Weise würdig weitergeführt, die Pflege älterer Menschen wäre mit Sicherheit in seinem Sinne gewesen", sagt Arthur von Pieschel stolz. Der 70-Jährige ist gerührt, die während des Rundgangs manchmal feuchten Augen lassen sein Glücksgefühl erahnen. Er genießt jede Minute in der Pieschelschen Anstalt. Nur in einer Frage schwingt eine Sorge mit. "Trägt sich denn die Einrichtung?", fragt er. Als ihm Marion Struckmann dies versichert, zeichnet ein Lächeln sein Gesicht. Wenn er Burg wieder besuchen kommt, wird er nicht wieder eine Ruine vorfinden.

Arthur von Pieschel möchte ein Buch über das Leben seiner Vorfahren schreiben. Er will, dass seine Kinder und weitere Nachkommen von der Großzügigkeit von Carl August Gottfried Pieschel erfahren, er will sie inspirieren. "Manche Sachen laufen nicht gut. Aber man weiß nie, was daraus wird. Aus einer Ruine kann manchmal etwas Faszinierendes entstehen", sagt er. "Das Handeln von Carl Pieschel ist ein Beispiel dafür. Wir sind dazu berufen, unser Herz zu öffnen und Gutes zu tun." Arthur von Pieschel hat auf die Frage, wo er herkommt, eine Antwort gefunden. Es hat eine Weile gedauert. Doch es war die Mühen wert: Auf dieser Reise ist er seinem Vorbild begegnet.