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Klietznick hat vier Tage verhüllte Kirche: Holzwurm und Schwamm mit Gas bekämpft "Das hätte schon eher passieren müssen!"

Von Sigrun Tausche 11.10.2011, 06:27

Der erste Schritt zur Sanierung des morschen Gebälks der Klietznicker Kirche ist geschafft: Im rundum verhüllten Bauwerk ging es Holzwurm und Hausschwamm "an den Kragen". Am Sonnabend wurde die Kirche wieder ausgepackt.

Klietznick l Bereits die dritte Kirche nach der Mützeler und der Schlagenthiner ist die kleine Dorfkirche in Klietznick, die Thomas Böttger aus Dresden und sein Team verhüllt und von unliebsamen Mitbewohnern befreit haben. Als die Männer am Sonnabend die Planen wieder entfernen, klappt alles wie am Schnürchen. Jahrelange Erfahrung geben Sicherheit bei jedem Handgriff, jedoch ohne leichtsinnig zu werden. Denn dass kann sich niemand leisten, der mit tödlichen Giften hantiert.

"Das hätte schon viel eher passieren müssen", lässt Thomas Böttger keinen Zweifel an der Dringlichkeit dieses Unterfangens. Die Bretter auf dem Dachboden zum Beispiel seien schon so perforiert, dass die Gefahr bestünde durchzubrechen.

Der Holzwurm hat überall in Balken und Brettern seine Spuren hinterlassen - aber er ist nichtmal der schlimmste Schädling, sondern auch der Hausschwamm hat sich schon eingenistet. "Er war in einigen balkenauflagen zu sehen und auch schon im Mauerwerk. Sobald Nässe dazu kommt, beginnt er wieder zu wachsen", weiß Thomas Böttger.

Am Dienstag vor einer Woche haben er und seine Mitarbeiter angefangen, die Klietznicker Kirche komplett in Folie zu packen. Die Geschossdecke der Kirche wurde noch zusätzlich eingepackt, um hier das Gift in höherer Konzentration wirken lassen zu können - vor allem wegen des Schwamms.

Am Mittwoch war alles fertig verpackt, und das Gas wurde eingeleitet. Sulfuryldifluorid werde verwendet, erklärt Böttger - ein Gift, das in höherer Konzentration auch die Myzelien des Schwammpilzes abtötet. Es ist auch für Menschen toxisch, denn die Fluoride töten die Zellen ab, erläutert Thomas Böttger. "Früher wurden Blausäure und Metylbromid verwendet, aber damit wurden nur etwa 70 bis 80 Prozent der Eier des Holzwurms abgetötet."

Wegen dieser Gefahr werden Warnschilder angebracht, und das Objekt wird rund um die Uhr bewacht. Auch bei der Klietznicker Kirche war das so. Insgesamt 300 Kilogramm Gas sind hier zum Einsatz gekommen, angeliefert in Stahlflaschen, von denen jede 114 kg wiegt und netto 56,7 kg Sulfuryldifluorid enthält.

Bei manch anderem Einsatzort komme noch weitaus mehr zum Einsatz, betont Böttger. Für die Klietznicker ist es ein einmaliges Ereignis, ihre Kirche so verpackt zu sehen - für die Schädlingsbekämpfer aus Dresden ist es Routine. Deutschlandweit und darüber hinaus sind er und seine Mitarbeiter im Einsatz. "Es gibt nur ganz wenige Firmen in Deutschland, die das machen dürfen." Denn der Umgang mit solchen Giften erfordert lange Erfahrung und Zuverlässigkeit. Diese Erfahrung hat sich Thomas Böttger bei seinem Schwiegervater angeeignet, der 1990 die Firma GROLI Schädlingsbekämpfung in Dresden gegründet hat, nachdem er vorher schon lange in der Branche gearbeitet hat. Das Einsatzspektrum sei breit, sagt Böttger. Auch der Lebensmittelbereich gehöre dazu, und der sogar noch öfter. In großen Getreidemühlen sei jährlich eine Bekämpfung der ungeliebten "Untermieter" notwendig, denn da werde allerhand eingeschleppt, wie Mehlkäfer und co.

Mit diesem Wissen im Hinterkopf können die Klietznicker ihre Kirche ohne Angst wieder betreten. Denn das Gas - so giftig es in konzentrierter Form auch sein mag - ist schließlich für den Lebensmittelbereich zugelassen. "Fluor ist ja auch in der Zahncreme, um Karies-Bakterien abzutöten", erklärt Böttger. In geringer Konzentration ist es für den Menschen unschädlich. In der Atemluft seien das 1 ppm des eingesetzten Gases, die am Arbeitsplatz noch zulässig seien.

Um festzustellen, wie hoch der tatsächliche Wert liegt, haben die Männer von der Schädlingsbekämpfungsfirma Messtechnik, die sehr genau arbeitet. Erst unterhalb des Grenzwerts gehen sie ohne Schutz ins Bauwerk.

Nach der Behandlung, wenn das Gas wieder entfernt werden soll, ist bei jedem Mitarbeiter, der hineingeht, eine Ausrüstung wie bei Feuerwehrleuten notwendig: Eine Atemschutzmaske und Druckluftflasche, Helm mit Visier. Dementsprechend sei auch die Ausbildung der Mitarbeiter: Sie müssen wie Feuerwehrleute die Atemschutz-Teststrecke absolvieren und natürlich entsprechend fit sein.

Nach der Behandlung brauchen die Mitarbeiter die Folie nur zu entfernen und im Bauwerk Ventilatoren anzuschalten, die das Gas einfach ausblasen. Denn in hoher Verdünnung sei es völlig ungefährlich und in der Atmosphäre praktisch nicht mehr nachweisbar.

Acht von insgesamt 17 Mitarbeitern der Dresdner Firma waren in Klietznick im Einsatz. Am Sonnabend beim "Auspacken" waren nur noch sieben dabei - als achter half ehrenamtlich Heinz Cayler vom Gemeindekirchenrat mit. Der Klietznicker hat auch durch die Orgel, die er spielt, eine besondere Beziehung zur Kirche. Doch in nächster Zeit wird er sich mit elektronischem Ersatz begnügen müssen. Denn die Orgel wurde bereits vor der Begasung zum größten Teil abgebaut. Nur wenige Pfeifen sind dringeblieben, denn zur Decke hin musste alles frei sein, damit für den Holzwurm keine Schlupflöcher blieben.

Ein gutes Stück Arbeit steht jetzt noch an, bis dieser Sanierungsabschnitt geschafft ist. Nun werden die Zimmerleute ihre Arbeit tun und die maroden Balken ersetzen. Zum Schluss wird die Orgel wieder zusammen gebaut.

Dank des Leader-Programms ist die Sanierung möglich. 24 000 Euro Fördermittel sind für die Klietznicker Kirche bewilligt worden. Um die Eigenmittel zusammen zu bekommen, werden schon seit vorigem Jahr Spenden gesammelt. Dazu beitragen sollen Aktionen wie der Verkauf von Kerzen mit dem Bild der Kirche sowie der Verkauf von Bildern, die Marian Siwek aus Jerichow bereit gestellt hat. Einige sind immer noch zu haben.