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  7. Depression: Selbsthilfegruppe kann Therapie gut ergänzen

In der Tagesklinik des Awo Fachkrankenhauses Jerichow ist neue Gruppe geplant / Erstes Vorgespräch zu Situation und Zielen Depression: Selbsthilfegruppe kann Therapie gut ergänzen

Von Sigrun Tausche 21.11.2012, 02:14

Eine für alle Betroffenen offene Selbsthilfegruppe Depression soll in der Tagesklinik des Awo Fachkrankenhauses Jerichow angesiedelt werden. Eine erste Zusammenkunft jener, die diese Gruppe mit auf den Weg bringen wollen, fand jetzt statt.

Jerichow l Betroffene, die derzeit in der Klinik behandelt werden oder in der Region wohnen, waren noch nicht dabei. Wohl aber Betroffene, die schon seit Jahren in anderen Selbsthilfegruppen von Menschen mit Depressionen und Angsterkrankungen aktiv sind. Und die wissen: Es dauert geraume Zeit, bis so eine Gruppe zustande kommt. Mit ganz wenigen Mitgliedern haben alle angefangen, jetzt aber "platzen" die Gruppen in Burg und Genthin förmlich aus den Nähten. Der Bedarf ist riesig.

Es sei der Wunsch von Patienten im Awo Fachkrankenhaus Jerichow gewesen, dass sie schon während ihrer Behandlung eine Möglichkeit haben, sich auch mal untereinander austauschen zu können - unabhängig von Therapie und Gruppengesprächen, sagte Katrin Rose-Siebert. Sie ist Projektkoordinatorin des "Bündnis gegen Depression in Magdeburg und Halle (Saale) - Sachsen-Anhalt", das dieses Jahr als eines von nunmehr etwa 70 Bündnissen deutschlandweit seine Arbeit aufgenommen hat. Sie alle sind Teil des "Deutschen Bündnisses gegen Depression", das 2001 gegründet wurde.

In einem kurzen Vortrag zu Beginn der Runde machte Katrin Rose-Siebert deutlich, warum dem Thema Depression inzwischen deutlich mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird: "Etwa acht Prozent der Bevölkerung erkrankt im Laufe eines Jahres an einer Depression. Im Jerichower Land sind das bei etwa 90 000 Einwohnern 7 600 Betroffene."

Über 10 000 Suizide allein 2010 in Deutschland

Und noch erschütternder sind die folgenden Zahlen: "Im Jahr 2010 wurden in Deutschland 774 Drogentote, 3 942 Verkehrstote, 478 Opfer von Mord und Totschlag, 455 Aids-Tote, aber 10 021 Suizide registriert!" Und die Dunkelziffer, deren Größe kaum zu überblicken ist, kommt noch dazu.

"Eine Depression bleibt oft unerkannt, wird von körperlichen Symptomen überdeckt", nannte Katrin Rose-Siebert die Schwierigkeit. "Zudem haben viele Betroffenen Angst, sich in Behandlung zu begeben."

Ziele des Bündnisses seien Aufklärung, Angebote für Betroffene und Angehörige, die Stärkung der Selbsthilfe und Schulung von Multiplikatoren wie Lehrern und Erziehern.

Ganz wichtig sei die Zusammenarbeit mit Hausärzten. Das unterstrich auch Anke Grünbeck, Leiterin des Therapiezentrums im Awo Fachkrankenhaus: "Es ist wichtig, dass Hausärzte eine Depression erkennen und nicht weiter gegen Symptome wie Rückenschmerzen behandeln." Dann aber müssen diese Patienten an Fachleute überwiesen werden.

Zu wenige Psychotherapeuten für ambulante Behandlung

Und genau hier beginnt das Problem. Längst nicht jeder Betroffene ist bereit, sich in stationäre Therapie zu begeben. Doch für die ambulante Behandlung gibt es einen akuten Mangel an Psychotherapeuten. Wartefristen von einem Jahr sind keine Seltenheit - für viele entschieden zu lange. Nur vier Psychotherapeuten haben im Jerichower Land eine Zulassung, zehn und mehr würden gebraucht, war man sich in der Runde einig. "Das Bündnis muss dafür kämpfen, dass mehr Therapeuten zugelassen werden", forderte nicht nur Anke Grünbeck.

Die Diplom-Psychologin warnte davor zu glauben, dass durch die Gründung von Selbsthilfegruppen Therapeuten eingespart werden könnten. "Natürlich wird die Gruppe fachlich begleitet, und zusätzlich zur Therapie ist sie eine gute Sache", stimmte dem auch Katrin Rose-Siebert zu.

Auch die Betroffenen sagten sehr deutlich: "Wer schon einmal an einer Depression oder anderen psychischen Krankheiten erkrankt ist, weiß, dass man da nicht ohne professionelle Hilfe heraus kommt!"

Für zahlreiche Patienten mit Depression oder Angsterkrankungen im Awo Fachkrankenhaus stelle sich die Frage, wo sie sich nach dem stationären Aufenthalt weiter behandeln lassen können, und sie haben große Angst, keinen ambulanten Therapieplatz zu bekommen. "Das ist auch eine Riesenbelastung für niedergelassene Psychotherapeuten, wenn sie immer wieder sagen müssen: Kommen Sie in einem Jahr..." richtete Anke Grünbeck den Blick auf die Situation der Behandelnden. Deshalb müsse das Bündnis auch politisch mehr aktiv werden.

Eine der Betroffenen sagte ganz ungeschminkt: "Ich schätze, 50 Prozent der Leute, die sich umbringen, müssen zu lange auf einen Therapieplatz warten. Ich kenne viele schwer Depressive, die haben keinen Lebensmut mehr. Tabletten haben wir ja genug, da geht es ganz schnell..."

Wie unsensibel die Reaktionen im Alltag sind, insbesondere im Arbeitsleben, wisse sie aus eigenem Erleben: "Der Chef hat oft wenig Verständnis und fragt nach drei Wochen Krankschreibung: Wann kommst du endlich wieder? Es ist ja auch ein wirtschaftlicher Schaden. Die Chefs sollten mehr aufpassen auf ihre Mitarbeiter!"

Ziel der Gruppe ist, persönliche Lebensumstände zu verbessern

Liane Wendefeuer leitet die Selbsthilfe-Kontaktstelle Jerichower Land in Burg. Im Landkreis gebe es derzeit 46 Selbsthilfegruppen für die verschiedensten Erkrankungen, sagte sie. "In einer Selbsthilfegruppe treffen sich Menschen auf freiwilliger Basis, um die Krankheit gemeinsam zu bewältigen. Ziel ist es, die persönlichen Lebensumstände zu verbessern." Es gebe auch negative Meinungen zu Selbsthilfegruppen: Sie werden als "Kaffeetrinkvereine" abgestempelt, weiß sie. "Deshalb ist es wichtig, wie eine Gruppe geführt wird."

Depressive Patienten im Akutstadium werden aber gar nicht erst aufgenommen, weil diese sofort eine Behandlung brauchen, betonte sie.

Nächster Schritt für die Gründung der Selbsthilfegruppe Depression in Jerichow soll eine weitere Zusammenkunft in der Tagesklinik sein, zu der Betroffene auch ganz direkt, aber völlig unverbindlich, eingeladen werden. Auch nach der Klinikentlassung können die Betroffenen dann weiter hierher kommen oder sich einer Gruppe in ihrer Heimat anschließen, und es können auch Betroffene, die in Jerichow und Umgebung zu Hause sind, dazu kommen. Die Information dazu weiter tragen will auch Diplom-Sozialarbeiterin Gundi Linnecke, die beim Sozialpsychiatrischen Dienst des Landkreises tätig ist und weiß, dass ein großer Bedarf da ist.