Genthiner Tinnitus-Selbsthilfegruppe besteht seit fast zehn Jahren "Es hilft, mit anderen Betroffenen zu reden"
Mehr als ein kurzfristiges Ohrgeräusch ist Tinnitus. Der Dauerton im Kopf nervt und mindert die Lebensqualität. Die Mitglieder der Genthiner Tinnitusgruppe treffen sich regelmäßig, um über den Erfahrungsaustausch mit den Anderen, besser mit den störenden Tönen umgehen zu können.
Genthin l "Besonders schlimm ist es am Abend vor dem Einschlafen", sagt Irmgard Albrecht. Sie leidet genau wie die anderen am Tisch unter einen störenden Dauerton, dem Tinnitus. Regelmäßig treffen sich die Mitglieder der Tinnitus-Selbsthilfegruppe in Genthin zum Erfahrungsaustausch. Die Ursachen für die Erkrankung sind individuell unterschiedlich. Stress, eine laute Wohnumgebung oder auch ein geräuschintensiver Arbeitsplatz, können Auslöser sein. "Ich habe als Baumaschinenschlosser gearbeitet", erzählt Horst Hentze. Zu der Zeit habe man sich um einen Gehörschutz keine Gedanken gemacht, sagt er. Geblieben sei ihm ein Pfeifen und Rauschen im Ohr.
Manchmal wird der Tinnitus auch nicht sofort bemerkt. "Ich habe an lauten Maschinen im Bekleidungswerk gearbeitet", sagt Irmgard Albrecht. Nach der Akkordarbeit sei sie stets müde ins Bett gefallen. Erst nach dem Berufsleben, als sie mehr Ruhe hatte, fiel ihr etwas auf. "Irgendwann habe ich dann eine Art Piepton gehört." Allen Höreindrücken gemein ist, dass es keine unmittelbare äußere Schallquelle dafür gibt. "Das Geräusch ist im Kopf, nicht im Ohr. Die Ohren sind bei fast allen in der Runde in Ordnung", sagt die Leiterin der Gruppe, Doris Seidel.
Wie die eigentlich nicht vorhandene Geräuschwahrnehmungen zustande kommen, liegt nach wie vor im Dunkeln. Auch Ärzte können darüber nur spekulieren. Deshalb ist es wenig verwunderlich, dass viele Nichtbetroffene mit Unverständnis reagieren. "Außenstehende erkennen das Problem gar nicht", so die einhellige Meinung. "Du mit deinen Ohrgeräuschen", heiße es oft eher abwertend. Abhilfe wollte die damalige Leiterin der Selbsthilfe-Kontaktstelle des Vereins "Aufbruch", Hadmuth Mielke, schaffen und rief die Tinnitus-Selbsthilfegruppe vor zehn Jahren ins Leben. "Wichtig war, Räume für Treffen zur Verfügung zu stellen und Betroffene miteinander ins Gespräch zu bringen", erläutert sie das Konzept, das bis heute funktioniert.
Etwa 13 bis 15 Teilnehmer hat die Gruppe. "Dankenswerterweise stellt uns der Verein Aufbruch bis heute die Räumlichkeiten zur Verfügung", so Mielke. Zurzeit ist die Runde die einzige Tinnitus-Selbsthilfegruppe im Jerichower Land.
Ganz plötzlich kann der Störenfried auftauchen. Bei Doris Seidel hat der Tinnitus an einem Donnerstag um 14.30 Uhr zugeschlagen. "Plötzlich war der Ton da." Trotz sofortiger medizinischer Behandlung blieb er als Dauerstörer im Kopf.
Wenn das Geräusch länger als drei Monate anhält, nennen es Ärzte einen chronischen Tinnitus. Davon betroffen sind nach Schätzungen von Experten rund drei Millionen Menschen in Deutschland. Sie müssen lernen, mit dem Dauerton zu leben. "Es hilft nichts, sich ständig Gedanken darüber zu machen", so Seidel. Dadurch werde der Ton nur noch präsenter und schränke das Leben nur immer weiter ein.
Oft entsteht ein Tinnitus nach einem Hörsturz. Dann setzt der Arzt häufig zunächst Infusionen oder verschreibt durchblutungsfördernde Medikamente. Alle Anwendungen von Sauerstofftherapien bis zu Entspannungsübungen, Musiktherapien oder technischen Geräten wie Noisern, die ein Gegengeräusch erzeugen, dienen letztlich nur zur Verminderung des Ohrtones. Aber sie heilen die Krankheit nicht. Oft ist die Überlagerung durch andere Geräusche dennoch hilfreich. "Ich empfinde es als angenehm, wenn ich mit Kopfhörern Musik höre", sagt Horst Hentze. Überhaupt sei Ablenkung das A und O. Ob beim Sport oder bei einem Hobby wie Kochen und Backen. "Man konzentriert sich auf etwas anderes als den Ton im Kopf", so die Teilnehmer. Zur Ablenkung trägt auch das monatliche Treffen der offenen Gruppe bei.
"Wir versuchen, in einer freundlichen Runde eine gute Atmosphäre zu schaffen: "Der gemeinsame Austausch helfe mit den Störgeräuschen im Alltag zurechtzukommen. "Es tut gut mit anderen zu sprechen, die das gleiche Problem haben", so Doris Seidel. Zu sehen, dass man nicht allein betroffen sei, helfe bereits und stärke das Selbstbewusstsein.
Wer sich der Gruppe anschließen möchte, kann das jederzeit tun. Das nächste Treffen findet am 30. April um 16 Uhr beim Verein "Aufbruch" in der Friedenstraße 5a statt.